hin zu umfassenden und langfristigen Umwandlungspro-
zessen in der Landnutzung. Zu nennen wären hier beispiels-
weise Blühstreifen entlang der Ackerflächen, die Nektar für
Insekten bereitstellen, oder die Förderung von diversifizier-
ten Anbaumethoden, um Monokulturen einzudämmen.
Wiederhergestellte naturnahe Lebensräume auch in den
Städten helfen unseren Kerbtieren ebenfalls (siehe »Emp-
fehlungen des Weltbiodiversitätsrats zur Förderung bestäu-
bender Insekten«, S. 18/19).
Die wenigen langfristigen Studien, die wir haben, zeigen,
wie wertvoll es ist, Insekten über Zeiträume von mehr als
zehn Jahren systematisch und wiederholt zu erfassen. Nur
dadurch erhalten wir zuverlässige Aussagen zu allmähli-
chen Entwicklungen und können wesentliche Ursachen
dieser Trends sowie deren Auswirkungen auf die Ökosyste-
me analysieren.
Die große Mehrzahl unserer Erkenntnisse über den
Insektenschwund – sei es durch behördlich koordinierte
Bestandsabschätzungen wie die Roten Listen, sei es
durch die Krefelder Studie oder das Tagfalter-Monitoring
- gehen auf das Engagement vieler ehrenamtlich tätiger
Insektenkundler zurück. Seit jeher ist die Expertise für
Insekten im Ehrenamt verankert und wird nur durch
wenige professionelle Entomologen ergänzt – wobei
»professionell« lediglich den Sachverhalt beschreibt, dass
diese Experten das Glück haben, für ihre Arbeit bezahlt zu
werden. Umso ärgerlicher war es, als die Krefelder Kolle-
gen anfangs als »Hobby forscher« diskreditiert wurden,
deren Ergebnisse »zweifelhaft« seien. Abgesehen davon,
dass mehr als ein Drittel der Vereinsmitglieder einen
naturwissenschaftlichen Universitätsabschluss besitzen,
schätze ich aus eigener Erfahrung mit Citizen-Science-
Projekten wie dem Tagfalter-Monitoring sehr viele ehren-
amtliche Akteure als ausgewiesene Experten. Ohne deren
Wissen und Engagement wüssten wir fast nichts über
unsere heimische Flora und Fauna.
Die Arbeit der ehrenamtlichen Experten muss fortge-
setzt werden, um so ein dringend notwendiges, standardi-
siertes Monitoring zu etablieren. Die »Bürgerwissenschaft-
ler« brauchen dafür jedoch auch die Unterstützung durch
wissenschaftliches Fachpersonal – finanziert mit öffentli-
chen Geldern. Denn das Ehrenamt stößt etwa bei komple-
xen Auswertungen an seine Grenzen.
Der Insektenschutz betrifft die Landwirtschaft genauso
wie den Forst, die Gestaltung urbaner Bereiche, die Land-
schafts- und Umweltplanung sowie nicht zuletzt die Nut-
zung des eigenen Gartens oder Balkons – also uns alle!
Einheimische Kräuter statt exotischer Zierpflanzen bieten
reichlich Nektar für Wildbienen. Die Tiere freuen sich auch
über Nisthilfen, die man kaufen oder leicht selbst bauen
kann. Wer im Garten Brennnesseln oder andere »Unkräu-
ter« stehen lässt, tut damit dem Nachwuchs von Schmet-
terlingen einen Gefallen. Und gerade Hobbygärtner sollten
sich gut überlegen, ob sie wirklich chemische Schädlings-
bekämpfungsmittel verwenden müssen.
Es geht nicht darum, bestimmte gesellschaftliche Akteu-
re wie Landwirte als Alleinverantwortliche an den Pranger
zu stellen. Jeder kann seinen Beitrag leisten und sich für
den Erhalt der Insekten einsetzen, um so einem drohenden
ökologischen Kollaps Einhalt zu gebieten. Wenn es dabei
noch gelingt, die zahlreichen Aktivitäten in Deutschland zu
vernetzen – auch auf Seiten der zuständigen Bundesminis-
terien –, sollte es möglich sein, den Trend zu stoppen und
sogar umzukehren.
QUELLEN
Habel, J. C. et al.: Butterfly community shifts over two centu-
ries. Conservation Biology 30, 2016
Hallmann, C. A. et al.: More than 75 percent decline over
27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS
One 12, e0185809, 2017
Rada, S. et al.: Protected areas do not mitigate biodiversity
declines: a case study on butterflies. Diversity and Distributions
25, 2019
Sorg, M. et al.: Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten
im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise-Fallen in
den Jahren 1989 und 2013. Mitteilungen aus dem Entomologi-
schen Verein Krefeld 2013/1
Bestandsentwicklung von
Insektenarten in Deutschland
Die Roten Listen des Bundesamts für Naturschutz
liefern langfristige Bestandsentwicklungen von
7444 Insektenarten in Deutschland. Demnach
nahm fast die Hälfte der Arten ab (oben). Kurzfris-
tige Trends über 10 bis 25 Jahre bei 569 Bienen-
und 189 Tagfalterarten zeigen, dass vor allem die
seltenen Spezies bedroht sind (unten).
Rückgang
Zunahme
gleich bleibend
Daten ungenügend
Bienenarten Tagfalterarten
sehr häufige
häufige
mäßig häufige
seltene
sehr seltene
extrem seltene
sehr häufige
häufige
mäßig häufige
seltene
sehr seltene
extrem seltene
100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0 %
100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0 %
13 %
44 %
41 %
2 %
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH BINOT-HAFKE, M. ET AL. (HG.): ROTE LISTE GEFÄHRDETER TIERE, PFLANZEN UND PILZE DEUTSCHLANDS. BAND 3: WIRBELLOSE TIERE (TEIL 1). BUNDESAMT FÜR
NATURSCHUTZ, 2011; GRUTTKE, H. ET AL. (HG.): ROTE LISTE GEFÄHRDETER TIERE, PFLANZEN UND PILZE DEUTSCHLANDS. BAND 4: WIRBELLOSE TIERE (TEIL 2). BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ, 2016