Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

dem Fluss. Obwohl das System nach einer Umdrehung
genau so aussieht wie am Anfang, haben sich Wassermole-
küle während des Vorgangs verschoben.
Die quantenmechanische Version der Archimedes-Pum-
pe von Thouless besteht aus einer eindimensionalen Kette
geladener Teilchen, die periodisch verändert wird, wodurch
sich die Position der Partikel ändert. Überraschenderweise
hängt die topologische Ladungspumpe mit dem Quanten-
Hall-Effekt zusammen: Thouless bewies, dass die Anzahl
der pro Pumpzyklus transportierten Ladungen der Chern-
Zahl entspricht, von der der Hall-Strom im Quanten-Hall-
System abhängt. Diese Erkenntnis war für uns ein Grund
zum Jubeln. Denn das bedeutet, dass es möglich ist, das
zweidimensionale Quantenphänomen durch eine eindimen-
sionale Teilchenkette zu untersuchen.
Diesem Gedanken folgend schlugen Zilberberg und
seine Kollegen vor, dass man den vierdimensionalen Quan-
ten-Hall-Effekt durch eine zweidimensionale topologische
Ladungspumpe studieren könnte. Doch bevor wir uns
dieser Aufgabe widmeten, setzten wir zuerst das ursprüng-
liche Modell von Thouless um.


Eine Wolke ultrakalter Teilchen,
gefangen in einer optischen Falle
Dazu verwendeten wir ultrakalte Atome, die uns als »Quan-
tensimulatoren« dienten (siehe Spektrum September 2016,
S. 30). Solche quantenmechanische Systeme simulieren
andere Quantensysteme. Gerade in der Festkörperphysik
erweisen sich ultrakalte Atome als hilfreich: Während
gewöhnliche Materialien aus über 1023 Teilchen bestehen,
die auf vielfältige Weise miteinander wechselwirken, kön-
nen Forscher ultrakalte Atome gut kontrollieren und zum
Teil sogar die Wechselwirkungen zwischen ihnen steuern.
So können sie einfache Modellsysteme realisieren, die in
realen Festkörpern undenkbar sind.
Zunächst mussten wir die Atome bis knapp
über den absoluten Temperatur-Nullpunkt
abkühlen. Doch wie erreicht man solch niedrige
Temperaturen, die deutlich unterhalb der be-
kannter Kühlmittel wie etwa flüssigem Helium
liegen – zumal sich die Atomwolke in unseren
Experimenten in einer von außen unzugäng-
lichen Vakuumkammer befindet? Die Lösung
liefert die Laserkühlung (siehe Spektrum Juni
2003, S. 28), bei der man Teilchen durch Licht
bremst. Dazu beschießt man sie von verschiede-
nen Seiten mit unzähligen Photonen, die zwar
keine Masse haben, aber dennoch einen Impuls
tragen. Durch ständige Stöße mit ihnen, absor-
bieren die Atome die Lichtteilchen und werden
immer langsamer. Das ist, als würde man einen
Lastwagen mit Tischtennisbällen bewerfen, um
ihn abzubremsen. Glücklicherweise lassen sich
Photonen deutlich einfacher erzeugen als Tischtennisbälle.
Auf diese Weise konnten wir die Atome auf wenige milli-
ardstel Kelvin abkühlen.
Jetzt mussten wir die so entstandene ultrakalte Teilchen-
wolke in einer Kette anordnen, um das Modell von Thouless
umzusetzen. Dazu brauchten wir weitere Laser, die die


Atome wie in einem Eierkarton fangen. Trifft ein Lichtstrahl
auf ein Atom, vibrieren dessen Valenzelektronen mit der
Frequenz des elektromagnetischen Lichtfelds, wodurch sich
ein Dipol bildet. Bei geeigneter Laserfrequenz schwingen
die Elektronen derart, dass sie stets mit dem Licht in Phase
sind. In diesem Fall entsteht eine Kraft zwischen dem Dipol
des Atoms und dem elektromagnetischen Feld des Lasers,
wodurch sich das Teilchen zu der Stelle bewegt, an der der
Strahl seine höchste Intensität hat.
In unserem Experiment stellten wir einen Spiegel auf, der
den Laserstrahl auf sich selbst zurückreflektiert. Dadurch
bildet sich eine stehende Welle aus, in der sich helle und
dunkle Bereiche regelmäßig abwechseln. Die Atome aus der
chaotischen Wolke ordnen sich dann in diesem eindimensio-
nalen »optischen Gitter« an. Um die Analogie des Eierkar-
tons wieder aufzugreifen, kann man sich das periodische
Lichtmuster als sinusförmige Welle vorstellen, bei der die
Intensitätsmaxima den Senken entsprechen, in denen die
Atome gefangen sind.
Nun hatten wir eine geordnete Atomkette erzeugt. Wir
benötigten also nur noch eine periodische Veränderung im
Lichtmuster, ähnlich dem Drehen der Schraube in der Archi-
medes-Pumpe. Dafür brauchten wir ein komplizierteres
optisches Gitter. Daher fügten wir eine weitere stehende
Welle mit der halben Wellenlänge des ersten Lichtstrahls
hinzu. Weil sich beide Laser überlagern, entsteht ein opti-
sches »Übergitter«, in dem sich jedes Minimum des ur-
sprünglichen Gitters in zwei benachbarte Senken spaltet, so
genannte Doppeltöpfe (siehe Bild links).
Für die zyklische Veränderung verschoben wir die erste
(»lange«) stehende Welle um genau eine Periode im Raum.
Um das zu erreichen, variierten wir die Wellenlänge des
Lasers minimal – um etwa ein hunderttausendstel ihres
Werts. Die Periode des langen Gitters ändert sich dadurch
kaum, so dass das Doppeltopfmuster des Übergitters beste-

x


v


y


w


Magnetfeld 1

Magnetfeld 2

Magnetfeld 3

Das Übergitter in x-Richtung (blau) entspricht einem Quan-
ten-Hall-System mit einem starken Magnetfeld in der
xv-Ebene, während das zweite Übergitter (rot) ein Quanten-
Hall-System mit starkem Magnetfeld in der yw-Ebene
simuliert. Ein schwaches zusätzliches Magnetfeld in der
xw-Ebene koppelt die beiden Systeme.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT /

MANON BISCHOFF
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