Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

Kultur und Gesellschaft. Die meisten der elamischen Texte
stammen aus der Zeit von 509 bis 493 v. Chr., entstanden
also unter Dareios I., der das Imperium neu organisierte und
in Satrapien unterteilte (siehe »Kurz erklärt«, oben).
Auch die Persis war eine Satrapie und hatte das übliche
Führungstrio von Satrap, Garnisonsführer und Schatzmeis­
ter. Im Festungsarchiv sammelte sich sozusagen Papier­
kram der Verwaltung: Listen zur Verteilung von Viehfutter,
Lebensmittelrationen für Zehntausende von Lohnarbeitern,
Zuweisungen von Vorräten für Reisende auf den Königs­
straßen, Zuteilungen für die Tafel des Königs und der Köni­
gin, Aufstellungen über Opfergaben für die Götter. Dabei
repräsentiert die Sammlung nur einen Teil dessen, was
persische Beamte zu bearbeiten hatten. Denn das Fes­
tungsarchiv erfasst zwar wichtige Produkte wie Getreide,
Bier, Wein, Obst und Vieh hinsichtlich Produktion, Lage­
rung und Transport. Doch obwohl laut den Futterlisten
Hunderttausende von Schafen gehalten wurden, finden
sich keine Angaben zur Produktion von Wolle beziehungs­
weise von Textilien.
Im Osten grenzte die Persis an die Provinz Karmanien.
Mehrmals erwähnen Tontafeln des Archivs einen Satrapen
namens Karkisch. Offenbar war dieser regelmäßig in der
Persis unterwegs. Unter anderem hielt er sich häufig in
einem Ort namens Paishiyauvada im Südosten der Satrapie
auf. Einige Archäologen identifizieren den Ort mit der
Aus grabungsstätte Tal­e Zohak nahe der heutigen Stadt
Fasa, einem mehr als 20 Meter hohen Siedlungshügel mit
an Funden reicher Umgebung. Dort war der britisch­
ungarische Archäologe Sir Aurel Stein schon 1934 auf eine


Lehmziegelplattform aus achämenidischer Zeit gestoßen,
zudem gut 350 Meter vom Hügel entfernt auf eine kunst­
voll gearbeitete Säule, wie man sie in einem Palast erwar­
tete. Dass Karkisch dem Festungsarchiv zufolge auf seinen
Reisen von schwer bewaffneten Truppen begleitet wurde,
erklärt sich durch die Lage des Orts: Paishi yauvada be­
wachte einen der Hauptwege in der Region, der an das
Verbindungsnetz nach Indien angeschlossen war.
Ähnlich verhielt es sich mit Purusch. Allem Anschein
nach war Karmanien in Verwaltungsbezirke untergliedert,
und Purusch gehörte zu den administrativen Zentren.
Es wird heutzutage mit Poura gleichgesetzt, das Arrian als
»basileia« Gedrosiens bezeichnete, als königliches Zentrum,
Verwaltungszentrale und Militärstützpunkt jener Satrapie.
Erstreckte sich der Zuständigkeitsbereich Karkischs über
ein Gebiet, das vom äußersten Rand der Persis bis in den
Südosten des heutigen Iran reichte?
Für diese Machtfülle gäbe es eine plausible Erklärung:
Es war offenbar Aufgabe dieses Satrapen, das Netz der
Königs straßen zu überwachen, die das achämenidische
Kernland mit seinen östlichen Provinzen verbanden. Zur Zeit
Dareios’ I. waren das: Arachosien und Ghandara, beide zu
Teilen im heutigen Afghanistan und Pakistan gelegen,
sowie Hindush im Nordwesten Indiens. In diesen Regionen
tauchen Reisende im Festungsarchiv immer wieder auf.
Karkisch hatte wohl dafür zu sorgen, dass sie sicher unter­
wegs waren, sich nicht verirren konnten und mit allem
Nötigen versorgt wurden.
Wie wichtig die Großkönige gut funktionierende Verbin­
dungen gen Osten nahmen, bezeugt eine weitere unge­
wöhnliche Konstruktion des 5. Jahrhunderts v. Chr.: Ein
Satrap namens Bagaios herrschte, so ist den Tontafeln zu
entnehmen, über die Inseln des Persischen Golfs, sicherlich
fiel auch der Seeweg zum indischen Subkontinent in seine
Verantwortung. Vermutlich war er Karkisch unterstellt. Der
Reichtum der Großkönige beruhte offenbar nicht auf der
radikalen Ausbeutung unterworfener Gebiete, sondern
vielmehr auf deren Einbindung in ein gut vernetztes Wirt­
schaftssystem mit ausgefeilter Hierarchie.

Kamellogistik:
Klotzen statt kleckern
Es überrascht somit nicht, dass Kamele im Festungsarchiv
häufig erwähnt werden: Die anspruchslosen und ausdau­
ernden Tiere waren auf den Handelsrouten nach Ägypten,
in die Levante, zur Arabischen Halbinsel, nach Südmesopo­
tamien und Indien ein wichtiger Bestandteil der Logistik.
Dementsprechend große Zahlen verzeichnen die elami­
schen Texte. Da ist mal von einer 200­köpfigen Herde die
Rede, dann von einem Zuchtbetrieb mit 435 Stück. Mal
geht es um reine Bestandsverwaltung, dann um die Wei­
den. Es gab Tiere, die zu den Landgütern des Königs selbst
gehörten. Selbst »Straßenkamele« tauchen auf – wohl
schnelle Dromedare für die Kuriere des Herrschers.
Wieder kommt Arrians Bericht in den Sinn: Damit Alex­
anders Heermeister Lebensmittel über große Distanzen
heranschaffen konnten, sogar für die entlang der Küste
ziehenden Truppenteile, hätten die Satrapen der Provinzen
Areia und Parthien jedem Offizier und jedem Unteroffizier

Kurz erklärt


Achämeniden Das Herrschergeschlecht wurde
der Legende nach von Achaimenes um 700 v. Chr.
begründet. Um 500 v. Chr. erstreckte sich ihr Reich
von Gebieten Osteuropas bis nach Indien. Um
dieses riesige Imperium direkt regieren zu können,
unterhielten die Großkönige zumindest in der
Persis und in Nachbarregionen Residenzen, die der
Hofstaat bereiste.
Persis Die heute in der iranischen Provinz Fars
gelegene Satrapie war das Kernland der Achäme­
niden. Von dort hatte diese Dynastie im 6. Jahr­
hundert v. Chr. expandiert, und in der Persis befan­
den sich die wichtigen Königsresidenzen Pasar­
gadei und Persepolis.
Satrapie Eine weitgehend autonome Provinz des
altpersischen Reichs, die meist einem Statthalter,
dem Satrapen, mit weit reichenden Machtbefug­
nissen, mitunter auch einem lokalen Fürsten
unterstellt war. Insbesondere in der Peripherie des
Reichs repräsentierten die Satrapen die Zentral­
regierung. Alexander der Große und seine Nach­
folger behielten diese Struktur bei.
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