Wiederherstellung
des Hörsinns
Akustische Signale laufen über das
äußere Ohr und das Mittelohr ins Innen-
ohr ein, wo Haarsinneszellen sie in
Nerven signale umwandeln und ans
Gehirn weiterleiten. Sind bestimmte Gene
in diesen Zellen mutiert, bringen sie
defekte Proteine hervor, was zu einem
Funktionsverlust der Zellen und somit zu
Hörschäden führt. Forscher haben nun
einen gentherapeutischen Ansatz ent-
wickelt, um die mutierten Gene durch
intakte zu ersetzen. Sie bringen die
korrekten Erbanlagen in veränderte
Adeno-assoziierte Viren (AAV) ein und
spritzen diese dann ins Innenohr. Dort
befallen die infektiösen Partikel die Haar-
sinneszellen und laden ihre genetische
Fracht darin ab. Das führte in Versuchen
mit Mäusen dazu, dass taube Tiere ihr
Hörvermögen wiedererlangten. Falls das
auch beim Menschen funktionieren sollte,
ließen sich damit folgenreiche Geburts-
defekte wohl an der genetischen Wurzel
packen.
1.
Wissenschaftler
stellen intakte
Versionen jener
Gene her, die bei
angeborenen
Hörschäden wie
dem Usher-Syn-
drom mutiert sind.
Zudem züchten sie
Adeno-assoziierte
Viren (AAV) heran.
Fachartikel, ein entsprechend modifizierter AAV-Typ in
Mäusen mit angeborener Taubheit habe funktionstüchtige
Haarsinneszellen hervorgebracht. Andere Forschergruppen
teilten mit, sie hätten AAV in die inneren Haarsinneszellen
von älteren Labormäusen eingebracht, deren Ohren mehr
denen von kleinen Kindern ähneln.
Verdächtige Gene
Das war aber nur eine Teilstrecke auf dem Weg dahin,
Hörschäden erfolgreich zu behandeln. Hinzukommen muss-
te noch, jene Mutationen zu finden, die zur Ausprägung
defekter Haarsinneszellen führen. Schon in den 1990er
Jahren hatten Wissenschaftler damit begonnen, indem sie
Familien identifizierten, in denen die typischen Hör- und
Sehstörungen des Usher-Syndroms auftraten, und deren
Genome miteinander verglichen. Dabei fielen mehrere Gene
auf, die an der Entwicklung sowohl der Ohren als auch der
Augen beteiligt zu sein schienen und als mögliche Orte
krank machender Mutationen besonders verdächtig waren.
Forscher züchteten daraufhin Mäuse mit oder ohne Muta-
tionen in den entsprechenden Erbanlagen und beobachte-
ten, welche Tiere die Krankheitssymptome aufwiesen. Es
zeigte sich, dass Modifikationen des Gens USH2A hinter
dem allmählich fortschreitenden Erkrankungstyp stecken,
an dem Corderman leidet; die nichtmutierte Version dieser
Erbanlage bringt gesunde Haarsinneszellen hervor. An dem
membran bezeichnet wird und einen Zugang zum Innenohr
ermöglicht. Dort hinein injizierte der Forscher eine blass-
rosa Lösung mit etwa 200 Milliarden AAV-Partikeln. Alle
davon enthielten eine intakte Form jenes Gens, das in der
Maus mutiert vorlag und ihren Hörschaden verursachte.
Der Eingriff führte dazu, dass die AAV die Haarsinneszel-
len im Innenohr infizierten und dabei ihre Genfracht in diese
einschleusten. Wie die Wissenschaftler mittlerweile wis-
sen, können sie nicht jeden AAV-Typ hierfür einsetzen.
Manche Viren bringen ihre Genfracht nur in die inneren
Haarsinneszellen ein, die mit Nervenzellen kommunizieren –
aber nicht ausreichend in die äußeren Haarsinneszellen, die
das einlaufende Schallsignal zunächst verstärken. Um das
Hörvermögen möglichst vollständig wiederherzustellen,
muss die Genfähre beide Zelltypen infizieren, betont der
Neurobiologe David Corey von der Harvard University, ein
Kollege Gyorgys, der ebenfalls entsprechende Versuche an
Mäusen durchgeführt hat.
Mittels Versuch und Irrtum sowie gezielten Umstruktu-
rierungen des viralen Genoms isolierten die Forscher einige
AAV-Typen, die beide Haarsinneszellsorten im Innenohr als
Ziel erkennen. Die Wissenschaftler veränderten bestimmte
Proteine der äußeren Virushülle und erhielten so Moleküle,
die an die Oberfläche beider Zelltypen andocken und dem
Virus somit das Eindringen in sie ermöglichen. Gwenaëlle
Géléoc und ihre Mitarbeiter berichteten 2017 in einem
EMILY COOPER / SCIENTIFIC AMERICAN DEZEMBER 2018; BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT
2.
Die Forscher entfernen
viruseigene DNA aus dem
Erbgut der AAV und
ersetzen sie durch die
künstlich erzeugten Gene.
Adeno-assoziiertes
Virus (AAV)
intaktes
Gen