Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1
Zermahlen und großflächige Verteilen bestimmter Gesteins-
arten, die CO 2 aufnehmen.
Die meisten der Hightech-Lösungen befinden sich noch
in einem frühen Entwicklungsstadium. Sie erfordern enor-
me Investitionen bei erheblichen Risiken des Scheiterns
und bei potenziellen Nebenwirkungen. Sie konkurrieren
zudem um Land, das zur Ernährung der Menschen oder als
naturnaher Lebensraum wichtig ist.
Für welche der Unterfangen wir uns auch entscheiden,
sie dürften unser letzter Ausweg sein. Als der Statistiker
Adrian Raftery von der University of Washington 2017 in
einer Studie zum Klimawandel gemeinsam mit seinen
Kollegen aktuelle Trends untersuchte, stellte er fest, dass
wir – ohne Technologien für negative Emissionen – auf dem
besten Weg sind, bis zum Ende des Jahrhunderts ein Plus
von 3,2 Grad Celsius zu erreichen, bei einer Spanne zwi-
schen 2 und 4,9 Grad. In einer weiteren Studie kategorisier-
te der Klimawissenschaftler Yangyang Xu von der Texas
A&M University eine Erwärmung von mehr als drei Grad als
»katastrophal« und von mehr als fünf Grad als »existenzielle
Bedrohung für einen Großteil der Menschheit«.

Die Suche nach Rüstzeug vor einem
Berg von Problemen
Wenn also eine Billion Tonnen negativer Emissionen in
diesem Jahrhundert notwendig sind – welchen Anteil am
Kuchen könnte jede Methode ausmachen und zu welchem
Preis? Welcher Mix ist angesichts der Konkurrenz um
bestimmte Ressourcen, zum Beispiel Landfläche, am
besten geeignet? Und bringen wir den politischen Willen
auf, negative Emissionen zu erreichen und gleichzeitig
unseren derzeitigen Kohlendioxidausstoß drastisch zu
senken?
Das Modell für eine Antwort auf zumindest eine der
Fragen steht vielleicht auf Island vor den Toren von Reykja-
vík zwischen Felsbrocken und Moos. Inmitten der öden und
eisigen Vulkanlandschaft saugt eine Maschine von der
Größe einer Autogarage Luft durch einen Filter mit einem
chemischen Absorber, der ihr Kohlendioxid entzieht. Sie
wird mit Abwärme aus einem benachbarten Geothermie-

eine Studie von 2018 unter der Leitung von Jan Christoph
Minx vom deutschen Mercator Research Institute on Global
Commons and Climate Change.
Wie kommen wir dorthin? Die Zeit für eine Antwort
drängt. Fast alle Nationen der Welt haben sich im Rahmen
des Pariser Klimaabkommens von 2016 darauf geeinigt,
deutlich unter einer globalen Temperaturerhöhung um zwei
Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu bleiben.
Das Ziel sind 1,5 Grad. Bei diesem Niveau gehen die Wis-
senschaftler davon aus, dass die Einschnitte in unser ver-
trautes Leben gerade noch nicht zu stark sind. Die Erwär-
mung liegt derzeit bereits bei etwa einem Grad und steigt
mit 0,2 Grad pro Jahrzehnt. In einem Sonderbericht vom
Oktober 2018 warnte der IPCC, dass wir nur bis 2030 Zeit
hätten, um zu handeln. Sonst würden wir 1,5 Grad Celsius
überschreiten.
Wohl und Wehe der Klimapolitik hängen am so genann-
ten Kohlenstoffbudget. Das ist die Gesamtmenge von
Kohlendioxid, die wir der Atmosphäre ab Beginn der Indus-
trialisierung insgesamt hinzufügen können, ohne die Erwär-
mung über die kritische Temperatur hinauszutreiben. Bei
den gegenwärtigen Emissionen – etwa 40 bis 50 Milliarden
Tonnen pro Jahr – könnte es im 1,5-Grad-Szenario nur noch
wenige Jahre dauern, warnte das Team um Minx 2018, bis
jede weitere Tonne eine gleich große Entnahme erfordere.
Nach Schätzungen der Forschergruppe muss die Welt bis
2100 zwischen 150 Milliarden und mehr als einer Billion Ton-
nen CO 2 aus der Atmosphäre entfernen. Das sind ab 2050
etwa zwei Milliarden bis 16 Milliarden Tonnen pro Jahr,
wobei der Wert später im Jahrhundert deutlich zunimmt.
Dazu müssen wir ab 2030 mehrere hundert Anlagen zur
Abscheidung und Speicherung von CO 2 pro Jahr bauen,
führen die Wissenschaftler weiter aus. Das können etwa
große Maschinen sein, die Kohlendioxid aus der Luft zie-
hen, oder Kraftwerke, die nachwachsende Biomasse ver-
brennen, während die Emissionen aufgefangen und tief
unter der Erde eingelagert werden. Zu den technisch weni-
ger aufwändigen Optionen gehören die Wiederaufforstung
gerodeter oder die Erweiterung bestehender Wälder, die
bessere Bindung von Kohlenstoff in Böden sowie das

Eine Anlage saugt Luft an und entfernt Kohlendioxid daraus.

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LIZ TORMES

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