Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

MATHEMATISCHE


UNTERHALTUNGEN


NICHTPERIODISCHE


PARKETTKUNST


Was Physikern als Modellstruktur für Quasi kristalle dient,
machen sich Künstler zu Nutze, um aus der Mischung
von Regelhaftigkeit und Undurchschaubarkeit besondere
Effekte zu erzielen.

Christoph Pöppe ist promovierter Mathematiker und war bis 2018 Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft.
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Einige Mathematiker haben sich doch tatsächlich in
die fünfte Dimension begeben, um von diesem – sa-
gen wir herausgehobenen – Standpunkt aus etwas
ganz gewöhnlich Zweidimensionales zu studieren: die
nichtperiodischen Pflasterungen der Ebene mit dieser
seltsamen fünfzähligen Symmetrie, die unter dem Namen
»Penrose-Pflasterungen« berühmt geworden sind. Der
Umweg erweist sich als sehr elegant und öffnet das Tor zu
einer umfassenden Theorie der nichtperiodischen Ordnung
(siehe Spektrum Februar 2002, S. 64); zu allem Überfluss
kann man auf diesem Weg Tapetenfunktionen konstruie-
ren, die einer echten Pflasterung schon sehr nahekommen
(siehe Spektrum Mai 2019, S. 74). Aber geht es vielleicht
auch etwas bodenständiger?
Es geht. Zwei mathematische Hilfsmittel, die ohne
expliziten Rückgriff auf höhere Dimensionen auskommen,
liefern eine Fülle von Ergebnissen. Das eine ist unter dem
Stichwort »Anlegeregeln« bekannt, das andere unter den
Namen »Inflation«, »Deflation« und »Substitution«; jedes
für sich beschreibt einen Teilaspekt des Werkzeugs.
Nichtperiodische Pflasterungen sind einerseits irgendwie
anarchisch in dem Sinn, dass man sich nie darauf verlassen
kann, was als Nächstes kommt. Andererseits sind sie
überaus regelmäßig, indem dieselben Elemente und auch
dieselben Zusammensetzungen aus Elementen immer
wieder vorkommen. Dieses Spannungsfeld zwischen Ord-
nung und Chaos eröffnet auch Künstlern reizvolle Möglich-
keiten; von einigen soll im Folgenden die Rede sein.
Penrose-Pflasterungen gibt es in zwei Varianten. Die
eine besteht aus »Pfeilen« und »Drachen« (in der Literatur
als »darts« und »kites« bekannt), die andere aus dünnen
und dicken Rauten. Sie sind eng miteinander verwandt;
denn jeder Baustein aus den beiden Pflasterungen lässt

sich seinerseits in zwei »goldene« Dreiecke zerlegen. So
nennt man die beiden gleichschenkligen Dreiecke, bei
denen die längere Seite zur kürzeren das Verhältnis des
goldenen Schnitts hat (siehe Bild, S. 82 links).
Aber so symmetrisch, wie sie aussehen, sind die Pflas-
tersteine gar nicht. Wären sie es, so könnte man mit lauter
dicken oder lauter dünnen, parallel verschobenen Rauten
die Ebene füllen. Ähnliches gelingt mit Drachen oder Pfeil,
indem man an ein Element ein um 180 gedrehtes Exemp-
lar desselben anfügt und mit diesem Zweierverbundstück
die Ebene pflastert. Das wären allerdings periodische
Pflasterungen, also solche, die sich immer wieder parallel
verschoben bis ins Unendliche wiederholen; und das
sollen die Penrose-Pflasterungen gerade nicht sein.

Anlegeregeln und Ammann-Linien
Vielmehr haben die Pflastersteine besondere Eigenschaf-
ten, die derartiges periodisches Anlegen verhindern. Man
pflegt sie zu verdeutlichen, indem man die Steine mit
geeigneten Eindellungen und Ausbuchtungen versieht
oder mit Mustern, von denen man fordert, dass sie sich
über eine Steingrenze hinweg fortsetzen.
Unter allen denkbaren derartigen Musterungen ist die
im rechten Bild auf S. 82 nicht unbedingt die schönste,
aber zweifellos die aufschlussreichste. Es handelt sich um
die Ammann-Linien, so benannt nach dem amerikani-
schen Postbeamten und Amateurmathematiker Robert
Ammann (1946–1994), der im stillen Kämmerlein nicht nur
diese Linien, sondern auch noch zahlreiche andere Ergeb-
nisse zum Thema fand.
Auf einem einzelnen Stein wirken die Ammann-Linien
eher willkürlich. Warum verlaufen sie so und nicht anders?
Immerhin fällt auf, dass sie den Weg eines Lichtstrahls
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