Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
Von »Spektrum der Wissenschaft« über­
setzte und redigierte Fassung des Artikels
»The Sun Is Stranger Than Astrophysicists
Imagined« aus »Quanta Magazine«, einem
inhaltlich unabhängigen Magazin der
Simons Foundation, die sich die Verbreitung
von Forschungsergebnissen aus Mathe­
matik und den Naturwissenschaften zum
Ziel gesetzt hat.

sonders stark ist das Feld offenbar am
Äquator während des solaren Mini­
mums.
Die Erkenntnisse könnten dazu
beitragen, das immer noch ungelöste
Geheimnis des Sonnenzyklus zu
lüften. »Alle elf Jahre kehrt sich das
Magnetfeld der Sonne um«, erklärt
Igor Moskalenko, Astrophysiker an der
Stanford University und Mitglied des
Fermi­Teams. »Aus dem magnetischen
Nordpol wird der magnetische Südpol
und umgekehrt. Das ist ein dramati­
scher Vorgang, schließlich ist die

Sonne riesig. Wir wissen weder, wieso
es diesen Polaritätswechsel gibt, noch,
warum er so regelmäßig auftritt.« Die
kosmische Strahlung und das Muster
der von ihr erzeugten Gammastrahlen
könnten helfen, die wichtige Frage zu
beantworten, hofft Moskalenko.
Doch bislang gibt es keine überzeu­
gende Idee, wie das solare Magnetfeld
darüber hinaus die Delle im Gamma­
bereich erzeugen könnte. Weil die
Erscheinung dermaßen ungewöhnlich
ist, bezweifeln manche Experten sogar
ihre Existenz. Doch falls die Abwesen­
heit von Gammastrahlung bei diesen
Frequenzen nur auf eine fehlerhafte
Analyse oder ein Problem des Fermi­
Teleskops zurückgehen sollte, dann
hat zumindest bislang keiner die
Ursache herausgefunden. »Es scheint
nicht irgendein instrumenteller Effekt
zu sein«, ist Elena Orlando von der
Stanford University zuversichtlich. Sie
betont, die Analyse sei auf Grund der
scheinbaren Bewegung der Sonne am
Himmel eine Herausforderung. Sie
weiß, wovon sie redet – mit ihrem
Team hatte sie 2008 erstmals mit dem
Satelliten EGRET, dem Vorgänger von
Fermi, Gammastrahlung von der
Sonne nachgewiesen. Orlando ist
zudem entscheidend an der Auswer­
tung der Fermi­Messwerte beteiligt.
Ihrer Ansicht nach sind mehr Daten
und unabhängige Interpretationen
nötig, um die Delle im Spektrum zu be­
stätigen.
Als Peter, Linden, Beacom und ihre
Mitarbeiter 2018 die Delle in den
Fermi­Daten fanden, versuchten sie
zunächst alles, um sie wieder loszu­
werden. Erst dann veröffentlichten sie
ihre Entdeckung. »Auf etwa 15 Seiten
im Anhang präsentieren wir verschie­
dene Tests, mit denen wir überprüft
haben, ob vielleicht ein Rechenfehler
vorliegt«, bekräftigt Linden. »Statis­
tisch gesehen ist der Effekt jedenfalls
signifikant.«
Infolge einer Fehlfunktion der
Sonnenkollektoren war das Fermi­Tele­
skop 2018 meistens von der Sonne
weg gerichtet. Doch inzwischen ist
das Problem gelöst – gerade noch
rechtzeitig zum solaren Minimum.
Gegenwärtig führen die Feldlinien fein
säuberlich von Sonnenpol zu Sonnen­

pol. Wenn diese Phase ähnlich ist wie
die vorherige, sollte der Überschuss an
Gammastrahlung nun besonders
deutlich hervortreten. »Das macht es
für uns sehr aufregend«, sagt Linden.
»Wir erreichen gerade jetzt das Mini­
mum der Sonnenaktivität. Deshalb
hoffen wir, mit mehreren Teleskopen
Gammastrahlung noch höherer Energie
nachzuweisen.«

Bringen neue Messkampagnen
bessere Einsichten?
Neben Fermi ist nun das Experiment
HAWC (High­Altitude Water Cherenkov
Observatory), das es vor elf Jahren
noch nicht gab, an den Beobachtungen
beteiligt. Mit der zwischenzeitlich in
Mexiko errichteten Detektoranlage
lassen sich Gammastrahlen höherer
Frequenz aufspüren als mit Fermi.
Wissenschaftler hoffen auf mehr
Informationen über den Überschuss
und wollen außerdem herausfinden, ob
sich die räumliche Verteilung der
Gammastrahlung im Vergleich zum
letzten solaren Minimum verändert hat.
Denn während die Teilchen der kosmi­
schen Strahlung weiterhin elektrisch
positiv geladen sind, hat sich das
Magnetfeld der Sonne gerade umge­
kehrt. »Schlimmstenfalls müssen wir
eingestehen, dass die Sonne seltsamer
und spannender ist, als wir uns bisher
vorstellen konnten«, meint Beacom.
»Und bestenfalls stoßen wir auf irgend­
eine Art von neuer Physik.« 
Natalie Wolchover ist Physikerin in New
York und regelmäßige Autorin für das
»Quanta Magazine«.

QUELLE
Nisa, M. U. et al.: The Sun at GeV–TeV
energies: A new laboratory for astropar­
ticle physics. arXiv:1903.06349, 2019

Das Magnetfeld der Sonne ist sehr
dynamisch und oft stark verwunden.
Die drei Bilder zeigen Messungen der
Raumsonde SOHO (Solar and Helios­
pheric Observatory) im Januar 1997,
im Juni 2003 und im November 2013.
Grün bedeutet positive, violett nega­
tive Polarität.

NASA’S GODDARD SPACE FLIGHT CENTER SCIENTIFIC VISUALIZATION STUDIO (SVS.GSFC.NASA.GOV/4124)

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