Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1

M


icky. Viel Glück. Wir hören!“ Ist
natürlich nur eine Floskel, die
mir Tina beim Verlassen der
traditionellen Morgenrunde
im Café zuwirft, aber genau das
tun sie nicht: hören. Zumindest
nix von mir. Für die nächsten drei Tage.
In zwei Stunden habe ich eine Operation
an der Stimmlippe. Unter Voll-
narkose. Bis vor ein paar Tagen
wusste ich nichts von der Exis-
tenz dieses Sprachorgans, und
jetzt muss ich es ambulant re-
parieren lassen. Wenn man mit
Reden sein Geld verdient, dann
baut sich da eine kurze Woge
der Existenzbedrohung auf.
Wäre schon doof, würde der
Arzt das versauen.
Zurzeit erinnert meine Stim-
me an irgendwas zwischen
Bonnie Tyler und einem Baller-
mann-Urlauber am Ende einer
fünftägigen Kegel-Fahrt. Das
kann so nicht bleiben. Um sich
ein Bild meiner Schädigung
machen zu können, war ich vor
zwei Wochen in der Fachklinik.
Die Ärztin hat mir bereits das
Endoskop durch die Nase einge-
führt (Medienmenschen füh-
ren sich ja gern vieles durch die
Nase ein), als auch noch der
Professor auftaucht. Ein Mann,
der genau so aussehen muss:
Anfang fünfzig, klein kariertes
Langarmhemd, Designerbrille,
weiße Chinos. Alles an ihm
schreit „Koryphäe“.
Diese beiden stehen also
halbgöttlich vor mir, ich mit
Schlauch im Gesicht, und fra-
gen mich, was ich denn so be-
ruflich mache, dass es zu dieser Art Einblu-
tung kommen konnte. Kurzes Herum-
drucksen. „Na ja, ab und zu stehe ich auf
einer Bühne und rede. Und da mache ich
auch schon mal so Stimmen.“ – „Ah, ja? Was
für Stimmen denn? Machen Sie mal bitte.“
Und so imitiere ich – endoskopiert! –
unter dem interessierten Blick der Medi-
ziner Reiner Calmund, Gerhard Schröder,

Uli Hoeneß und die reibeiserne Alte, der
ich im Zivildienst immer die Füße ein-
geschmiert habe. Spätestens in diesen
Momenten wird dir wieder bewusst, wo-
mit du eigentlich dein Geld verdienst. Oder
zumindest wofür du es bekommst.
Die Stimmung im Behandlungszimmer?
Haben Sie Luke Mockridge im „ZDF Fern-
sehgarten“ gesehen?

Die Doktoren ringen um Fassung. Und
ich nun, so kurz vor dem Eingriff, um be-
deutsame Sätze. Es könnten die letzten
sein, die man je von mir hören wird. Bei den
belanglosesten Begegnungen zitiere ich
den kleinen Prinzen und so was.
„Sammeln Sie Punkte?“
„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
„Aha. Bar oder Karte?“
Gleich ist OP. Zum Einschla-
fen wird es Propofol geben. Also
den Narco-Smoothie, mit dem
sich Michael Jackson regel-
mäßig ins Neverland und dann
ins Nirwana befördert hatte.
Man hört viel Gutes darüber.
Also, über Propofol.
Morgen hole ich meine Toch-
ter vom Kindergarten ab. Sofern
ich je wieder wach werde. Wir
haben 15 Zeichen ausgemacht,
über die wir uns während mei-
ner Stimmruhe verständigen
können.
Das Kind ist vier. Sie ist sehr
verständig. Nachdem ich sie da-
rauf hingewiesen habe, auch in
Geschäften anständig Tschüs
zu sagen, verabschiedet sie
sich nun regelmäßig so über-
schwänglich, als würde sie eine
Samstagabendshow abmode-
rieren. 15 Zeichen. Mein Zeichen
für „Nach 30 Bibi & Tina-Songs
können wir gern wieder Papis
Musik hören“ wird sie voraus-
sichtlich übersehen.
In drei Tagen kann ich wie-
der sprechen. Wenn alles gut
läuft. Wenn es schlecht läuft –
wer schreibt, der bleibt. Und
Emojis sind ja auch eine Art
Sprache.
Und falls es richtig schlecht läuft: Ich
stehe dann ab Freitag als Le Pierrot in der
Fußgängerzone. Mit 42 wollte ich mich
beruflich eh umorientieren. 2

Aber Schweigen?! Gedanken eines Mannes,


der sprechend sein Geld verdient – zwei Stunden


vor einer Operation an seiner Stimmlippe


Reden ist Silber


104 29.8.2019

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BEISENHERZ


Der Autor und Moderator Micky Beisenherz („Das Lachen der Anderen“, „ZDF Heute-Show“, „Extra 3“)
schreibt alle zwei Wochen im stern – und regelmäßig auch bei stern.de

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ILLUSTRATION: DIETER BRAUN/STERN; FOTO: DAVID MAUPILÉ
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