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euchelei wird in der Politik selten
in so exemplarischer Form dar-
geboten. Die Kanzlerin plädiert
für ein vollständiges Verbot der
Tabakwerbung – bis Jahresende
werde man „eine Haltung dazu
finden“. Um die Zahl der Raucher weiter zu
drosseln. Der Vizekanzler schlägt in der
Koalition eine Anhebung der Tabaksteuer
vor – aber fein dosiert in fünf jährlichen
Stufen von am Ende 1,2 Milliarden Euro.
Damit die Raucher nicht schockiert wer-
den und ihre Zahl nicht zu steil sinkt.
Mit anderen Worten: Der Staat bekämpft
das Rauchen, aber er braucht die Raucher.
Im vergangenen Jahr zog er ihnen 14,3 Mil-
liarden Euro aus den Taschen.
Der schreiende Widerspruch ist in jeder
Tankstelle zu besichtigen – als schamlo-
ser Angriff auf die Integrität der Raucher.
Eine ganze Wand von Zigarettenschachteln
türmt sich da auf, hinter der Kasse. Von
jeder leuchtet eine Szene gesundheitli-
chen Gemetzels, kaum erträglich in ihrer
Brutalität. Niemand anderem wird Ver-
gleichbares zugemutet. Die grauenerre-
gend bebilderten Warnhinweise sind die
scheußlichste Scheußlichkeit, zu der sich
EU-Bürokraten in Brüssel haben hinreißen
lassen. Die Würde des Menschen ist unan-
tastbar? Die des Rauchers sehr wohl.
schen Bankrott jener, die im Gesundheits-
kampf die Moral auf ihrer Seite wähnen.
Die Minderheit der Raucher kann sich
ja nicht wehren. Nicht einmal jeder dritte
Mann und jede vierte Frau greift noch zum
Tabak. Ihre Zahl sinkt beständig.
Ganz unvorstellbar, in der Mehrheitskul-
tur des Alkohols würde mit den gleichen
Methoden gewütet. Auf der Bierflasche,
die vor dem Champions-League-Finale im
Fernsehen gezeigt wird, lecker gekühlt und
von frischen Grüntönen umgeben, wäre ein
von Hooligans zerschmetterter Kiefer zu
sehen, darunter die Warnung: Alkohol
kann aggressiv machen. Oder auf der Wein-
flasche der besseren Stände ein Toter im
aufgesägten Wrack an der Autobahnbrücke
mit dem Hinweis: Alkohol macht schläfrig.
Es gäbe einen Aufstand. Zeit für eine
Klarstellung. Ich rauche nicht mehr, seit ein
paar Jahren. Als der Geruch meines Pfeifen-
tabaks einen Kollegen fortwährend nerv-
te, habe ich aufgehört. Von einem Tag auf
den anderen. Nun paffe ich nur noch sehr
gelegentlich, und nur mit Freunden, eine
Zigarre. Davor habe ich in meinem Leben
so gut wie alles gequalmt, Zigaretten mit
und ohne Filter, dazwischen Zigarillos, zum
Schluss nur noch Pfeife, was mir 2008 den
Titel „Pfeifenraucher des Jahres“ eintrug.
Nun habe ich’s hinter mir. Keine eigenen
Interessen mehr. Clean. Vorbei.
Aber ich habe noch in Erinnerung, was
Tabak einmal bedeutet hat. Seine Kultivie-
rung zu feinsten Geschmacksvarianten ist
eine Kulturleistung der Menschheit. Un-
vergesslich ist mir die Besichtigung zweier
Zigarrenfabriken auf Kuba. Alles wurde
dort mit Hand gefertigt, in herrlichem
Duft, selbst die Holzkästchen.
Umso mehr leide ich heute mit den Ge-
schundenen. Nicht weil sie Raucher sind,
sondern weil sie menschlichen Respekt
verdienen. Dass Raucher bei Wind und
Wetter vor die Türen von Bürogebäuden
getrieben werden und sich kein Betriebs-
rat genötigt fühlt, ihnen im Trockenen
einen Raum oder einen Winkel zu besor-
gen, ist unerhört. Und damit hat es ja nicht
sein Bewenden. Schweden weist die Rich-
tung. Dort ist seit 1. Juli auch das Rauchen
vor Bars und Restaurants, auf Sportplätzen,
an Bahnsteigen und Bushaltestellen ver-
boten. Schweden will bis 2025 rauchfrei
sein. Ehrlicher wäre zu sagen: Raucherfrei.
Zum Widersinn dieses Kulturkampfs ge-
hört freilich, dass gleichzeitig, nicht nur in
Deutschland, heftig über die Freigabe von
Cannabis gestritten wird. Ich wette: Kiffen
wird das neue Rauchen. 2
Ein bleicher Herztoter im Leichensack;
ein magerer Säugling mit Atemhilfe; trau-
ernde Eltern am weißen Sarg ihres Kindes;
ein Sterbender beim Versuch der Wieder-
belebung mit Elektroschock; ein geöff-
neter Mund mit widerwärtigen Krebs-
geschwüren. Alles gruselig.
Die Herstellung, den Import und den
Verkauf von Tabak staatlicherseits zu er-
lauben, den Käufer aber mit Seuche und
Tod zu malträtieren bedeutet den morali-
DIE WÜRDE DES RAUCHERS
Wer Tabak qualmt, wird vom Staat schamlos aus-
genommen – und brutal malträtiert. Man stelle sich vor,
das gäbe es auch im Kampf gegen Alkohol
16 29.8.
KOLUMNE
JÖRGES
Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle
ZWISCHENRUF AUS BERLIN
ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN