Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1
50 km

Athen

Patras

Korinth

Pylos Kardamili

Limeni Monemvasia

Nafplio
Wasserfälle
von Polylimnio

Golf von Korinth

Mani

GRIECHENLAND


Ägäis

MITTELMEER

Peloponnes


Hydra

Für Menschen jenseits der 38-Stun-


den-Woche und der sechs Wochen


Jahresurlaub. Leute aus einer neuen


Arbeitswelt, die gleichzeitig reisen und


ein bisschen arbeiten wollen. Und denen


es nicht um ein Ziel geht, sondern ums


Unterwegssein. Und für Firmen, deren


Mitarbeiter über die Welt verteilt arbeiten.


Solche Firmen buchen bei Jeannie & Nikos


Roadtrips durch Griechenland, damit sich


Kollegen mal kennenlernen.


Es laufe nicht irre gut, sagt Nikos, aber


auch nicht schlecht. Es dauert eben. „Wir


haben gelernt, damit umzugehen“, meint


er. „Veränderung anzunehmen. Risiken


einzugehen. Unser Job ist vielleicht mor-


gen weg. Was wir haben, ist unser Wissen,


unsere Kreativität.“


Vor der Krise hätten Jeannie & Nikos


vielleicht ein Hotel auf Mykonos eröffnet.


Jetzt machen sie etwas, das ihrer Persön-


lichkeit entspricht. Wenn daraus ein Erfolg


wird, hätten sie nichts dagegen. Aber sie


erwarten nicht, reich zu werden. „Ein nor-


males Gehalt“, sagt Nikos, das reiche schon.


Es sind solche Gespräche, in denen man

in Athen die neue Zeit spürt. Gespräche


mit Menschen, die Brüche in ihrer Biogra-


fie erlebt haben, was sie spannend macht.


Solche Brüche kennt fast jeder Grieche.


Das macht das Land spannend.
Es gibt den Aufbruch, und es gibt gleich-

zeitig das Elend. Vom Café, in dem Jeannie


& Nikos ihr Start-up planen, sind es ein


paar Minuten zu Fuß nach Norden, vom


Touristen-Athen ins Athen der Flüchtlin-


ge und Drogenabhängigen.


Es sind die Straßen um den Omonia-


Platz, die Gegend derjenigen, die alles ver-


loren haben. Hier liegt die Sozialklinik von


„Doctors of the World“, einer Organisation,


die vor der Krise griechische Ärzte in Ent-


wicklungsländer schickte.


„Jetzt müssen wir in unserem eigenen


Land helfen“, sagt Anastasios Yfantis, der


Direktor. Doctors of the World betreibt Kli-


niken, schickt seine Ärzte aber auch auf


kleine Inseln und in Gebirgsdörfer. Gegen-


den, in denen es teilweise keine medizini-


sche Versorgung mehr gibt. „Wir treffen


auf Patienten, die seit Jahren auf einen Arzt


warten“, sagt Yfantis.


In den Krisenjahren kürzte der Staat die

Gesundheitsausgaben so stetig, dass sie ir-


gendwann weniger als die Hälfte betrugen.


Zeitweise hatte jeder dritte Grieche keine


Krankenversicherung mehr. Organisa-


tionen wie Doctors of the World füllen die


Lücke, die der Staat hinterlassen hat. Sie


versuchen es.


„Wenn wir in die Dörfer kommen“, sagt


Yfantis, „sind die Menschen überrascht,


dass jemand an sie gedacht hat.“


„Uns ist viel klar geworden“,
sagt Yfantis. „Ich glaube, dass die
Jungen heute ein besseres Land
wollen. Und dass sie bereit sind, et-
was dafür zu tun.“
Oft gleichen sich die Sätze der
Menschen, die in diesem Text zu
Wort kommen, auch wenn sie einander
nicht kennen, auch wenn sie in verschie-
denen Bereichen arbeiten. In einer Hilfs-
organisation, einem Tourismus-Start-up,
in der Werbung. Es eint sie, dass sie einiges
zurücklassen wollen: die Klientelpolitik,
die Korruption. Sie wollen das alte Grie-
chenland nicht wieder, in dem das Ge-
meinwesen nicht funktionierte, weil
die Menschen an sich und die eigenen
Familien dachten.
Gleichzeitig mögen sie die ganz alten
griechischen Werte, die in den Boomjah-
ren aus der Mode gekommen waren. Das
gute, einfache Leben, im Reinen mit sich
und der Umwelt.
Filotimo, ein griechisches Wort, bedeu-
tet wörtlich: Liebe zur Ehre. Man hört das
Wort überall, auch in Athen, aber vor al-
lem, wenn man die Stadt verlässt. Wenn
man sich ins Auto setzt und auf den Pelo-
ponnes fährt. Oder wenn man sich mit
der Fähre aufmacht.

DIE INSEL
Frühmorgens spuckt die Metro alle sieben
Minuten in Piräus eine Karawane aus,
es ist laut von den Rollkoffern auf dem
Asphalt, gegenüber auf der anderen Stra-
ßenseite liegen die Fähren abfahrtbereit.
Die Ferien fangen an.
Wer kann, verbringt den Sommer nicht
in Athen, sondern auf einer Insel oder in
einem Dorf, wo den Eltern oder Großeltern
noch ein Haus gehört. Den Ort, den viele
Griechen auf Facebook als Heimat eintra-
gen, auch wenn sie ihr ganzes Leben in
Athen verbracht haben.
Wer eine der Fähren um sieben nimmt,
kann noch vorm Mittagessen auf einer
Kykladeninsel ins Wasser springen. Auf
einer Insel vielleicht, von der in Deutsch-
land kaum jemand je gehört hat, auch
wenn vergangenes Jahr 4,4 Millionen
Deutsche in Griechenland Urlaub gemacht
haben. Insgesamt waren es 33 Millionen
Besucher, ein Rekord.
So eine Insel ist Kimolos. Direkt neben
dem größeren Milos, deshalb oft über-
sehen. Gar nicht weit von Athen und doch
sehr weit. Nur im Juli und August voll mit
Athener Hitzeflüchtlingen, im Winter le-
ben hier bloß 350 Menschen.
Morgens fahren die Fischer auf Mopeds
von Tür zu Tür und bieten ihren Fang

Es gibt eine andere Seite dieser Ge-
schichte. „Die Krise hat uns vom Sofa
geholt“, sagt er. „Raus ins echte Leben.“
Er kann sich nicht retten vor Ärzten, die
helfen möchten. Gerade die Jungen sehen
ihren Beruf als einen humanitären
Dienst. Nicht als einen, mit dem man gut
verdient.
Während Yfantis erzählt, begreift man,
wie die Menschen die Krise durchgestan-
den haben. Ärzte haben kostenlos behan-
delt. Krankenschwestern riefen in anderen
Kliniken an, wenn Medikamente fehlten,
zum Tauschhandel. Die Menschen impro-
visierten. Sie dachten aneinander.

SIE WOLLEN IM


REINEN SEIN MIT SICH


UND DER UMWELT


Rückkehrer Fotis Marinakis
lebt wieder auf Kimolos, dem Ort
seiner Kindheit

Das Festland Los geht’s an den
langen Sandstränden bei Pylos.
Kurzer Stopp zum Baden unter den
Wasserfällen von Polylimnio. Danach die
Steilküste der Mani hinab und hinüber zum
Burgdorf Monemvasia. Zum Schluss
noch in die italienische Altstadt von Nafplio
und auf die mondäne Insel Hydra

ROUTE 2


29.8.2019 33

4

Free download pdf