Neue Zürcher Zeitung - 21.08.2019

(John Hannent) #1

Mittwoch, 21. August 2019 FINANZEN 29


China braucht frisches Kapital


Peking beschleunigt die Öffnung des Finanzmarktes – eine Chance für Anleger aus dem Ausland


MATTHIAS KAMP


Jüngst kamen die Ankündigungen der
chinesischenRegierung zur Öffnung
des Kapitalmarktes beinahe Schlag auf
Schlag. MitteJuli gaben die Behörden
in Peking bekannt, man werde das Quo-
tensystem, mit dem China Investitionen
institutioneller Anleger aus demAusland
kontrolliert, abschaffen. Schon gut zwei
Wochen zuvor hatte Ministerpräsident Li
Keqiang vor internationalem Publikum
versprochen, die Obergrenze für aus-
ländische Beteiligungen anWertpapier-
häusern in China bis 2020 abzuschaffen.
Bereits im vergangenenJahr gaben
die Behörden der Schweizer Grossbank
UBS grünes Licht zur Mehrheitsüber-
nahme an ihremJointVenture in China.
Im April diesesJahres erteilte die Bör-
senaufsicht dann denBanken JP Mor-
gan und Nomura die Genehmigung zur
Gründung vonWertpapierhäusern, an
denen sie die Mehrheit halten dürfen.
Auch ausländischeVersicherer dürfen
in China inzwischen Mehrheitsgesell-
schaften betreiben.
Es sind viele Schritte,die vor allem
eines zeigen: Chinas Machthabern ist es
ernst mit der Öffnung des Kapitalmark-
tes. Das hat mehrere Gründe. Chinas
grössereBanken undVersicherer sind in-
zwischen so stark, dass sie dieKonkur-
renz aus demAusland nicht mehr fürch-
ten müssen. Sicher, die grossen Häuser
befinden sich fast alle mehrheitlich in
staatlicher Hand.Allerdings haben viele
von ihnen, auch aus eigener Kraft, in den
vergangenenJahren etwa eine moderne
IT und einen zeitgemässen Online-Ser-
vice aufgebaut.
Dazukommt: Chinas Kapitalmarkt
ist in weitenTe ilen noch immer unter-
entwickelt. Die Unternehmen desLan-
des finanzieren sich noch immer zu 80%
überBankkredite; Obligationen spie-
len kaum eineRolle. Der Aktienmarkt
dagegen wird immer noch hauptsäch-
lich von Privatanlegern dominiert und
gleicht oft eher einem Kasino als einem
seriösenWertschriftenhandel. Die Öff-
nung für Anleger aus demAusland,so
das Kalkül derRegierung, könnte einen
Modernisierungsschub auslösen.


Konsumtitel sind gefragt


Doch das ist nicht alles. Die nachlas-
sende wirtschaftliche Dynamik, der
Handelsstreit mit den USA, langfristig
aber auch die demografische Entwick-
lung sorgen für einen erhöhten Kapi-
talbedarf imReich der Mitte. «Es ist
sehr wahrscheinlich, dass China seinen
Finanzmarkt für institutionelle Inves-
toren aus demAusland weiter öff-
nen wird», sagt LoganWright, China-
Chefanalytiker der Rhodium Group in
Hongkong, und fügt hinzu: «DasLand
hat garkeine andereWahl.»
Das wiederum sorgt bei ausländi-
schen Investoren für Phantasie. Eine
von ihnen istJasmine Kang, Portfolio-
managerin bei Comgest, einer kleinen
Fondsgesellschaft ausFrankreich. Kang
ist in Schanghai geboren, lebt aber schon
seit vielenJahren in Hongkong und
kommt hin und wieder in die Schweiz,
um sich mit Investoren zu treffen. Über
denFortgang des amerikanisch-chine-
sischen Handelsstreits macht sich die
ChinesinkeineIllusionen. «Selbst wenn
es irgendwann einen Deal gebensollte,
werden die grundsätzlichen Probleme
nicht gelöst sein», sagt Kang, denn es
handle sich nicht nur um einen Handels-
krieg, sondern auch um einenTechnolo-
giekrieg. «Der wird Chinas Entwicklung
aber nicht bremsen», glaubt Kang.
Comgest investiert über verschie-
dene Fonds, darunter einen eigenen
China-Fonds, in sogenannteA-Aktien.
Das sindPapiere, die ausschliesslich in
derVolksrepublik Chinakotiert sind.


Kang blickt in erster Linie auf dierasch
wachsende Mittelschicht desLandes.
ZumPortfolio gehören darum Kon-
sumtitel wie der Hersteller hochwertiger
SpirituosenKeichow Moutai, der Milch-
produzentYili aus der Inneren Mongo-
lei und der Sportartikelhersteller Antai.
DerAnteil des privatenKonsums an der
Wirtschaftsleistung ist in den vergange-
nenJahrenkontinuierlich gestiegen, ein
Trend, der sich mit den weiter steigen-
den Einkommen fortsetzen dürfte. Die

Exporte dagegen machen immer weni-
ger am Bruttoinlandprodukt aus; ein
Grund, warum die US-Zölle Chinas
Wirtschaft weitaus weniger treffen, als
Präsident DonaldTr ump glaubt.
Bis jetzt sind ausländische Anleger
in China kaum präsent.Investoren aus
demAusland sind mit knapp 3% am
chinesischen Aktienmarkt investiert.
ZumVergleich: In Indien undJapan be-
trägt die Quote mehr als15%,in Süd-
korea sogar mehr als 30%. Am chinesi-
schen Markt für Obligationen, mit einem
Volumen von mehrals 13 Bio.$immer-
hin der drittgrösste derWelt, partizipie-
renAusländer zu weniger als 2%.Auch
hier sind die entsprechenden Anteile in
Japan und Südkorea höher. Doch bei all
diesen Quoten dürfte es in denkommen-
denJahren zuVerschiebungenkommen.
Der Grund: Der NewYorkerFinanz-
dienstleister MSCI hat Anfang desJah-
res damit begonnen, den Anteil chinesi-
scherA-Aktien an seinem bedeutends-
ten Index für Schwellenländer-Aktien
au f gut 3,3% zu erhöhen.Investoren
auf der ganzenWelt bilden diesen Index
ab und sind damit gewissermassen ge-
zwungen, inA-Aktien zu investieren.
Nach Prognosen der UBS dürfte das da-
für sorgen, dass in diesemJahr 70 Mrd.$
in chinesischeA-Aktien fliessen. Seit

April finden zudem chinesische Obliga-
tionen Eingang in den Bloomberg-Bar-
clays-Index, einen der weltweit bedeu-
tendsten Indizes für Bonds. Allein die-
ser Schritt dürfte dafür sorgen, dass in
denkommenden drei bis fünfJahren zu-
sätzlich2Bio.$ aus demAusland nach
China fliessen.
Wissend um die anstehendeAuf-
nahme chinesischerTitel in wichtige In-
dizes, pumpenFondsmanager schon seit
Anfang vergangenenJahres verstärkt
Geld nach China. Nach Angaben des
Institute of InternationalFinance, einer
globalenVereinigung fürFinanzinsti-
tute mit Sitz inWashington, haben aus-
ländische Investoren seit Anfang 20 18
75 Mrd. $ in chinesischen Aktien ange-
legt.Aus anderen Schwellenländern zo-
gen sie gleichzeitig8Mrd.$ab.Ähnlich
ist die Entwicklung am Anleihemarkt.
Ausländische Anleger haben in den
vergangenen zweiJahren ihr Engage-
ment in chinesischen Obligationen auf
265 Mrd. $ verdoppelt. Analytiker er-
warten, dass sich die Investitionen aus
demAusland in chinesische Bonds in
denkommenden zehnJahren verfünf-
fachen werden.

AttraktiveRenditen


Einer, der daran mitwirken will, ist Ste-
phenJen, CEO bei Eurizon in London,
einerInvestmentgesellschaft mit einem
verwaltetenVermögen von 308 Mrd. €.
«ChinasFührung hat sich in den ver-
gangenenvierzigJahren voll auf die
Entwicklung derWirtschaftkonzen-
triert», sagtJen, «die Entwicklung eines
modernen Kapitalmarktes hat man aber
vernachlässigt.»Vor allem Liu He, dem
Top-Wirtschaftsberater von Staats- und
Parteichef Xi Jinping, sei es zu verdan-
ken, dass sich in der jüngstenVergan-
genheit bei Gesetzen und Vorschriften
zumFinanzmarkt viel getan habe und
nun verstärkt Kapital aus demAusland
nach China fliesse.
Eurizon hat imFebruar vergangenen
Jahres einenFonds für chinesische Obli-
gationen in lokalerWährung aufgelegt.
Zum Startwar dieser mit 40 Mio.€aus-
gestattet, inzwischen ist er 480 Mio.€
schwer. Eurizon-CEO Jen verweist
auf die attraktivenRenditen chinesi-
scher Bonds. ImJahr 2018 lag diese bei
durchschnittlich 8%. Eurizon hat in ers-

ter Linie Staatsanleihen sowie Anleihen
der drei staatlichen Entwicklungsbanken
China DevelopmentBank, Agricultural
Bank und EximBank imPortfolio.

Es gibtnoch grosseDefizite


Doch genau an der Stelle zeigen sich die
trotz allenReformen nach wie vor vor-
handenen Unzulänglichkeiten des chi-
nesischenFinanzmarktes. ChinasBan-
ken etwa werden zum grösstenTe il vom
Staatkontrolliert und bei allfälligen
Schieflagen im Zweifel auch von diesem
gerettet. «Die Preise sind verzerrt, und
dieRenditen spiegeln oft nicht die tat-
sächlichen Risiken»,sagtJen mit Blick
auf den Markt für Obligationen. InTe i-
len der chinesischenRegierung gibt es
allerdings durchaus die Bereitschaft, mit
einerRücknahme derRolle des Staats die
Furcht bei Anlegern zu erhöhen und da-
mit für mehr Preistransparenz zu sorgen.
Defizite gibt es auch noch bei chinesi-
schen Aktien. So war der Entscheid, chi-
nesischeTitel in den MSCI-Index aufzu-
nehmen, unter professionellen Anlegern
durchaus umstritten. Bei einer Umfrage
der Asia Corporate Governance Asso-
ciation vom vergangenenAugust unter
155 institutionellen Investoren gaben
48% der Befragten an, dieAufnahme
chinesischerAktien in den MSCI-Index
sei falsch. Kritiker verweisen auf die
oft mangelhafteTransparenz bei chine-
sischen Unternehmen und die sich bis-
weilen kurzfristig ändernden Gesetze. In
ZeitenfinanziellerTu rbulenzen wie letzt-
mals 2015 kann es auch einmal schwie-
rig werden, Kapital aus China abzuzie-
hen.«Wer Kapital aus demAusland will,
muss auch fürTransparenz bei derRegu-
latorik und für Berechenbarkeit sorgen»,
sagt Rhodium-Group-AnalytikerWright.
Auch Jasmine Kang, dieFondsmana-
gerin bei Comgest in Hongkong, sieht
du rchaus Risiken in China. Eines der
grössten seien die ausstehenden Kre-
dite mit einem Gesamtvolumen in Höhe
von 260% des Bruttoinlandproduktes.
«China muss denKonsum weiter stärken,
die wirtschaftlichen Ungleichgewichte
abbauenund dieRahmenbedingungen
fürForschung und Entwicklung verbes-
sern. Ein Unternehmen, das gerade bei
Innovationen als vorbildlich gilt,ist der
Versicherungsriese PingAn – einWert,
der sich in KangsPortfolio befindet.

Chinas Aktienmarkt gleicht immer nocheher einem Kasino als einem seriösenWertschriftenhandel. WU HONG / EPA

Investoren


schauen gebannt


nach Italien


Optimismus ist trotz möglichem
Regierungswechsel fehl am Platz

ANNE-BARBARA LUFT

DieRegierungskrise geht in die nächste
Rundeund sorgt fürVerlustebei italie-
nischen Aktien und Anleihen. Ein mög-
licherWechsel desKoalitionspartners der
Fünf-Sterne-Bewegung hält die Anleger
an den Obligationenmärkten in Atem.
Am Dienstag sind dieRenditen italieni-
scher Staatsanleihen gegen denTrend an
Europas Kapitalmarkt deutlich gestiegen.
In den vergangenenTagen hatten die
Anleger die mögliche Neuformierung der
italienischenRegierung positiv gewertet.
Die Risikoaufschläge italienischer Staats-
anleihen gegenüber deutschen Bundes-
anleihen waren geschrumpft.Dahinter
steckt die Hoffnung, dass durch Neu-
wahlenauch derKonflikt zwischenRom
und Brüssel um Italiens Budget beendet
werdenkönnte. Marktbeobachter halten
diesen Optimismus allerdings für unan-
gebracht. Es dürfte auch einer allfälligen
Expertenregierung schwerfallen, einen
Haushalt vorzulegen, der den Richtlinien
der EU entspreche, argumentieren die
Analytiker der DZBank.

Staatsanleihen unterDruck


SeitJahresbeginn haben sich dieRen-
diten an Italiens Obligationenmarkt
dem allgemeinenTrend nicht entzogen
und sind um fast 130Basispunkte ge-
sunken. Doch schon längst bewegen
sich diese Zinstitel auf einem anderen
Niveau als die vergleichbaren Anlei-
hen aus Spanien undPortugal. Seit gut
einemJahr, als die Allianz aus Lega und
Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht
kam, werden dieTitel desTe soro mit
einem deutlichenAufschlag gegenüber
Staatsanleihen der beiden anderen süd-
europäischenLänder gehandelt. Damals
war auch der Streit zwischenRom und
Brüssel um das italienische Budget ent-
facht und hatte zu einem steilen Anstieg
der Zinsen geführt (siehe Grafik). Nicht
nur dieKurse an den Bond-Märkten ge-
rieten am Dienstag unter Druck, auch
die Aktienkurse präsentierten sich an-
gesichts derRegierungskrise schwach.
Der italienischeLeitindex FTSE MIB
büsste in einem insgesamt schwachen
europäischen Marktumfeld überpro-
portional ein.

WartenaufRating-Agenturen


EinenAusblick zu wagen, ist nicht nur an-
gesichts der unsicherenpolitischenLage
schwierig. Mit einerVerschuldung, die in
Europa nur noch von Griechenland über-
troffen wird, stehtdas Land auf wackligen
Beinen.Weiteres Ungemach für Italiens
Finanzmarkt droht daher unter anderem
vonseiten derRating-Agenturen. Diese
hatten sich bisher mit Herabstufungen
zurückgehalten. Nun steigt das Risiko
einerVerschlechterung der Bonitätsnote,
die typischerweise mit einem Anstieg der
Renditen einhergeht. EineAusweitung
derRenditeaufschläge gegenüber den
Obligationender Kernländergilt unter
Analytikern als wahrscheinlich.

QUELLE: BLOOMBERG NZZ Visuals/cke.

Italien wirdabgehängt


Italien Spanien Portugal

Rendite 10-jährige Staatsanleihen, in %

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    1. 2014 20. 8. 2019




In Zeiten finanzieller
Turbulenzen wie
letztmals 2015 kann es
schwierig werden,
Kapital aus China
abzuziehen.

Euro/Fr.
1,0854-0.20%

Dollar/Fr.
0,9779-0.36%

Gold($/oz.)
1517 ,500.39%

SMI
9770,39-0.56%

DAX
11651,18-0.55%

DowJones
25962,44-0.66%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
59,890.25%
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