Noch mal zurück zum Image des Konzerns. In -
wieweit spielt das hier auf den Fluren im Haupt-
quartier eine Rolle?
MS: Sie schauen mit einer anderen Brille auf das
Thema, im deutschsprachigen Raum gibt es da
sicher mehr Bedenken. Nestlé ist in 190 Ländern
weltweit aktiv, wir werden von Land zu Land un-
terschiedlich wahrgenommen. Insofern ist das
nicht unbedingt ein weltweites Phänomen.
Warum sind die Deutschen so kritisch?
MS: Nehmen Sie das Beispiel Wasser. In Deutsch-
land gibt es 500 Marken Flaschenwasser aus fast
200 verschiedenen lokalen Mineralquellen, und
Sie können sich wahrscheinlich bestens daran er-
innern, in welchem Sprudelwasser-Gebiet Sie groß
geworden sind. Wenn ein Unternehmen nun Was-
sermarken aus dem Ausland anbietet, sind die
Kunden automatisch skeptischer. Insofern darf
man lokale Umstände nicht automatisch auf ein
globales Bild projizieren.
Frau Rützler schreibt in Ihrem aktuellen „Food Re-
port 2020“: „Bei Produzenten sind heute meist
Start-ups oder Early-Stage-Companies die treiben-
den Player. Sie reagieren zeitnäher auf Trenddyna-
miken, können schneller Innovationen auf den
Markt bringen und wecken damit auch Interessen
und Bedürfnisse, die Konsumenten davor noch
nicht artikulieren konnten.“ Herr Schneider, das
muss Sie doch wahnsinnig stören.
MS: Natürlich wäre es mir andersrum lieber. Das
betrifft die ganze Branche, was man mit Daten
leicht belegen kann: In fast allen westlichen Län-
dern haben die großen Lebensmittelkonzerne zu-
Raum sind in den vergangenen Jahrzehnten
deutlich kleiner geworden. Außerdem gibt es
weniger geregelte Arbeitszeiten. Seit der Jahrtau-
sendwende wurde das Mittagessen im deutsch-
sprachigen Kulturraum massiv ab- und das
Abendessen massiv aufgewertet. Aus diesem
Wandel ergeben sich neue Probleme, Bedürfnisse
und Sehnsüchte.
MS: Das sehe ich ähnlich. Nicht nur die Haushalte
werden kleiner, auch die Wohnungen und Küchen
- wenn es überhaupt noch welche gibt, in Asien
werden auch schon Apartments ohne komplette
Küche gebaut. Die Menschen machen seltener ei-
nen Großeinkauf im Supermarkt. Stattdessen
kaufen sie schnell im Convenience-Store um die
Ecke oder online, was sie gerade für die nächste
Mahlzeit oder die anstehende Party brauchen.
Und wie stellt sich Nestlé darauf ein?
MS: Natürlich betreiben wir weiter Marktforschung,
nutzen dabei aber auch andere Instrumente, die
stärker auf Beobachtung und Ist-Daten basieren.
Vor allem wollen wir schneller werden. Früher
brauchten wir von der Idee bis zum Produkt in der
Regel zwei bis drei Jahre, heute sechs bis neun Mo-
nate. Es geht heute weniger um genaue Vorhersagen
als vielmehr um eine schnelle Reaktion.
Inwieweit sorgt Sie eigentlich das Nestlé-Image?
MS: Natürlich möchten wir ein möglichst gutes
Image haben. Aber man muss klar unterscheiden
zwischen Themen aus der Vergangenheit, die ge-
gebenenfalls belastend sind, und dem, was wir zur
Zukunft beitragen. Wenn wir unseren Unterneh-
menszweck konsequent und erfolgreich umset-
zen und wichtige Beiträge zu einer guten Ernäh-
rung leisten, dann wird sich damit auch die Wahr-
nehmung verbessern. Man darf beim Thema Le-
bensmittelhersteller und Ernährung einen Faktor
nicht unterschätzen – die Zeitknappheit in einer
digitalisierten, schnelllebigen Welt. Natürlich
wünschen sich viele Menschen frisch zubereitete
Mahlzeiten. Aber die Realität ist eine andere – wir
sind viel außer Haus und ständig unter Zeitdruck.
Komfort mit möglichst guter Qualität zu verbin-
den, das ist unser Alleinstellungsmerkmal.
»In der digitalen Welt
sind die Eintrittsbarrieren
für ein neues Produkt
geringer geworden«
Mark Schneider
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▲ Gespräch in Genf: Hanni Rützler
und Mark Schneider im Interview
mit der ada-Gründungsverlegerin
Miriam Meckel und ada-Redaktions-
leiter Daniel Rettig
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