Handelsblatt - 30.08.2019 - 01.09.2019

(Jeff_L) #1
Wer auf Unbekanntes setzt, verstößt immer
gegen Traditionen und Konventionen; und setzt
sich automatisch Unsicherheit aus. Ein Gefühl,
das die meisten Menschen gerne vermeiden. Und
deshalb bleiben sie lieber beim Altbekannten,
anstatt etwas zu riskieren.
Das soll nun nicht heißen, dass Sie keine Ideen
mehr einbringen sollen. Erwarten Sie aber bloß
keine Gegenliebe für Ihre Einfälle, sondern rech-
nen Sie mit Ablehnung und Widerständen.


  1. Transparenz fördert den Frust
    Gehälter sollten geheim bleiben


Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, ist
es meistens falsch. Komplexe Probleme lassen
sich selten durch einfache Lösungen beseitigen –
erst recht, wenn es dabei um Geld und Gefühle
gleichzeitig geht.
Das Thema Gehalt ist in Deutschland traditio-
nell neidbehaftet. Über das Einkommen seiner
Mitmenschen spekuliert jeder gerne, das eigene
behält man lieber für sich. Doch diese Geheimnis-
krämerei führt naturgemäß zu Klatsch und
Tratsch. Was man nicht weiß, macht eben erst
recht heiß.
Wie schön, dass es da eine ganz simple Lösung
gibt: Man muss die Gehälter einfach transparent
machen! Wenn alle Angestellten wissen, was die
Kollegen verdienen, entfallen Gemauschel, Getu-
schel und Gerüchte. In der Theorie klingt die Idee
absolut bestechend. In der Praxis hingegen sorgt
sie für Neid, Frust und Missgunst.
Zu diesem Ergebnis kam zum Bei-
spiel David Card im Jahr 2012. Für
seine Studie nutzte der Ökono-
mieprofessor der University of
California, Berkeley, eine ent-
sprechende Internetseite der Ta-
geszeitung „Sacramento Bee“.
Die Redaktion hatte im März 2008
alle Gehälter der kalifornischen
Beamten veröffentlicht – darunter
auch die der Angestellten der staatli-
chen Universität von Kalifornien. Card
und sein Team schrieben nun zwischen
Oktober 2008 und Mai 2009 per Zufalls-
prinzip Tausende Angestellte der Hoch-

schule an, um auf die Gehaltstabelle zu verwei-
sen. Wenig überraschend: Knapp 90 Prozent der
Menschen schauten vor allem nach den Einkom-
men ihrer unmittelbaren Kollegen, für Top-Ver-
diener aus anderen Fakultäten interessierten sie
sich kaum.
Eine Woche nach der ersten E-Mail verschickte
das Team erneut Rundmails mit einem Link, der
die Freiwilligen zu einem Fragebogen führte. Dort
sollten sie nicht nur ihr Gehalt angeben, sondern
auch ankreuzen, wie zufrieden sie derzeit mit
ihrem Einkommen waren; wie fair sie ihre Bezah-
lung fanden; wie glücklich sie derzeit mit ihrem
Job waren; und ob sie in den kommenden zwölf
Monaten eine neue Stelle suchen wollten. Als
Card die Angaben aller 6400 Personen verglich,
bemerkte er: Wer im Vergleich zu ebenbürtigen
Kollegen weniger verdiente, war sowohl mit seiner
Bezahlung als auch mit seinem Job unzufriedener


  • und zeigte eine höhere Wechselbereitschaft. In
    die andere Richtung funktionierte der Effekt
    jedoch nicht. Wer erfuhr, dass er überdurch-
    schnittlich gut verdiente, den machte das weder
    glücklicher mit seinem Job noch loyaler gegen-
    über seinem Arbeitgeber. Menschen neigen nun
    mal zum Vergleichen, und das führt selten ins
    Seelenheil. Nur wer mehr verdient als der Rest –
    naturgemäß die Minderheit –, fühlt sich vielleicht
    ein wenig besser. Wer weniger verdient als viele
    andere, fühlt sich hingegen mit Sicherheit mies.
    Nun könnte man die Studie leicht kritisieren.
    Wer sagt denn, dass die frustrierten Mitarbeiter
    tatsächlich kündigten? Nun, zumindest hat Card
    dafür gewisse Indizien. Etwa zwei Jahre
    nach den Rundmails schaute er nach, ob
    die damaligen Freiwilligen noch die-
    selbe E-Mail-Adresse ihrer Hoch-
    schule besaßen – ein Indiz dafür,
    dass sie weiterhin dort arbeiteten.
    Und siehe da: Tatsächlich waren
    auffallend viele E-Mail-Adressen
    verschwunden. Cards Schlussfol-
    gerung: Es ist im Interesse von
    Arbeitgebern, die Löhne in ihrem
    Unternehmen geheimzuhalten. Ja, ei-
    nige wenige Hochbezahlte sind auf-
    grund der Transparenz umso zufriede-
    ner – aber gleichzeitig sind all die Gering-
    verdiener wesentlich frustrierter. n


Der Mensch neigt zum Vergleich – und das macht unglücklich


Job-Forschung
Der Text ist ein
Auszug aus dem
gerade erschie-
nenen Buch
„Warum Perfek -
tion sinnlos ist ...“
(16,95 Euro,
Campus Verlag).
Darin beschreibt
ada-Redaktions-
leiter Daniel
Rettig 77 wissen-
schaftlich
erforschte Wahr-
heiten aus der
Jobwelt.

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