Staatsanleihen
Der Klub der 100-Jährigen wächst
US-Finanzminister Mnuchin
lässt die Ausgabe ultralang
laufender Bonds prüfen.
Damit befinden sich die USA
in bester Gesellschaft.
Jakob Blume Frankfurt
E
s ist eine Gelegenheit, die sich
US-Finanzminister Steven
Mnuchin kaum entgehen las-
sen kann: Derzeit zahlen die Verei-
nigten Staaten so geringe Zinsen wie
nie auf langfristige Anleihen. Die Ren-
dite der 30-jährigen US-Staatsanleihe
liegt mit 1,9 Prozent auf einem All-
zeittief – und zudem noch unterhalb
der Rendite von Papieren mit drei-
monatiger Laufzeit. Mnuchin zieht
aus der hohen Nachfrage nach lang
laufenden Anleihen daher die logi-
sche Konsequenz: Er wolle „ernst-
haft“ prüfen lassen, ob die USA
50-jährige oder gar 100-jährige
Bonds begeben sollten, sagte er ge-
genüber Bloomberg. „Wenn die Be-
dingungen stimmen, gehe ich davon
aus, dass wir die Vorteile der langfris-
tigen Kreditaufnahme nutzen wer-
den“, so Mnuchin.
Die Zeiten, in denen 100-jährige
Anleihen etwas für waghalsige Fi-
nanzpolitiker in Schwellenländern
waren, sind vorbei. Die USA befän-
den sich in guter Gesellschaft. Öster-
reich feiert mit seiner 2017 begebe-
nen 100-Jahr-Anleihe am Kapital-
markt derzeit große Erfolge, auch ein
italienischer Bond mit 50-jähriger
Laufzeit ist aktuell stark gefragt. Erst
Anfang der Woche hat Schwedens
Schatzmeister angekündigt, die Aus-
gabe einer 100-jährigen Anleihe zu
prüfen. Felix Herrmann, Kapital-
marktstratege des Vermögensverwal-
ters Blackrock, bestätigt: „Das ist ein
Trend, den wir bereits in vielen ande-
ren Ländern gesehen haben. Der Fis-
kus möchte sich das niedrige Zinsni-
veau möglichst langfristig sichern.“
Die Kurse vieler lang laufender An-
leihen haben zuletzt Kursgewinne
verzeichnet, die eher an spekulative
Aktien erinnern. Im Gegenzug gingen
die Renditen stark zurück. „Die nied-
rigen Renditen sind dadurch getrie-
ben, dass es zu viele Ersparnisse und
zu wenig Investitionsmöglichkeiten
gibt, und das in einer Zeit, in der die
Notenbanken die Schleusen weit ge-
öffnet haben“, sagt Herrmann.
Auch abseits spektakulärer 100-
Jahr-Emissionen haben viele Staaten
das niedrige Zinsniveau genutzt, um
sich immer langfristiger zu immer
niedrigeren Kuponzinsen zu ver-
schulden. So hat Deutschland kürz-
lich eine 30-jährige Anleihe zu ei-
nem Zins von null Prozent ausge -
geben. Anleiheexperten achten in
diesem Zusammenhang stark auf
die sogenannte Duration. Diese
Kennziffer misst, wie stark der Kurs
einer Anleihe auf eine Änderung der
Zinsen reagiert. Dabei gilt die Regel:
Je geringer der Kuponzins und je
größer die Laufzeit, desto stärker
reagiert der Kurs der Anleihe auf
eine Zinsänderung. Die österrei-
chische 100-Jahr-Anleihe etwa hat
eine Duration von 60. Das bedeutet:
Sinkt der 100-jährige Zins um einen
Prozentpunkt, steigt der Kurs der
Anleihe um 60 Prozent.
Diese Eigenschaft macht langfristi-
ge Anleihen als Absicherung gegen
Konjunkturrisiken attraktiv. Denn in
einer Rezession senken die Notenban-
ken typischerweise die Leitzinsen.
Dadurch steigen die Anleihekurse –
und langfristige Zinspapiere verteu-
ern sich überproportional stark. Die
durchschnittliche Duration eines An-
leiheportfolios zu erhöhen sei eine
gute Absicherung gegen Aktienmarkt-
risiken, bestätigt Blackrock-Stratege
Herrmann. Die Anleiheexperten der
Commerzbank beobachten gar eine
„ultimative Jagd nach Duration“. Sie
sehen bereits Formen einer Übertrei-
bung: „Investoren können dieser Ta-
ge viele Gründe finden, Anleihen zu
kaufen.“ Doch um derartig hohe Kur-
se bei lang laufenden Anleihen zu
rechtfertigen, „braucht man mittler-
weile ein sehr düsteres langfristiges
Weltbild“. Der Commerzbank zufolge
preisen die Märkte für das nächste
Jahrzehnt einen negativen Leitzins
der Europäischen Zentralbank ein.
Unklare Nachfragesituation
Auch Blackrock-Stratege Herrmann
sieht keine Anzeichen dafür, dass das
Zinsniveau in den USA oder Europa
in absehbarer Zeit deutlich ansteigt.
Trotzdem sei es keineswegs sicher,
dass Investoren dem US-Finanzminis-
terium die 100-jährigen US-Bonds aus
den Händen reißen. „Die Nachfrage
könnte nicht ganz so groß sein“, er-
wartet er. Denn die klassischen Käu-
fer lang laufender Anleihen sind Ver-
sicherer und Pensionskassen. Sie le-
gen das verwaltete Vermögen in
Zinspapieren an, deren durchschnitt-
liche Laufzeit zur Laufzeit ihrer Pensi-
onsverpflichtungen passt. Diese dürf-
ten kaum über 50 Jahre hinausgehen,
schätzt Herrmann. „Das könnte eine
natürliche Grenze für die Nachfrage
nach ultralangen Anleihen setzen.“
Die Käufer von 100-jährigen Anlei-
hen haben kein Interesse daran, die
Papiere bis zum Laufzeitende zu hal-
ten. Das bedeutet: Sobald die Anlei-
hen ihre Funktion als Krisenabsiche-
rung erfüllt haben, dürften sie aus
vielen Portfolios wieder rausfliegen.
Wer dann noch Langläufer hält, muss
mit heftigen Kursverlusten rechnen.
Sinkende Zinsen, steigende Schulden
HANDELSBLATT Quellen: Bloomberg, FRED
30-jährige US-Staatsanleihe
Rendite in Prozent
US-Staatsverschuldung
in Billionen US$
1,97 %
1.1.2017 29.8.2019
3,5
3,0
2,5
2,0
1,5
22,03 Bill. US$
- Q. ’17 1. Q. ’19
24
18
12
0
Schwellenländer
Argentinien schockt
seine Gläubiger
Die Regierung des Landes
verhandelt mit dem IWF.
Investoren rechnen mit einer
Umschuldung. Die Anleihen
stürzen auf Allzeittiefs.
Jakob Blume Frankfurt
D
ie Schuldenkrise in Argenti-
nien verschärft sich: Am
Donnerstag brachen die
Kurse von argentinischen Staatsan-
leihen deutlich ein. Die Anleihe mit
Laufzeit bis 2028 sank auf 40,74
Cent pro Dollar und markierte da-
mit ein Rekordtief, auch das Jahr-
hundertpapier lag mit 43 Cent so
niedrig wie noch nie. Zuvor hatte Fi-
nanzminister Hernan Lacunza ange-
kündigt, die Regierung strebe länge-
re Laufzeiten bei Anleihen an und
verhandle mit dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) sowie den In-
vestoren über eine Umschuldung.
Argentinien steckt seit den Vor-
wahlen für das Präsidentenamt Mit-
te August in der Krise. Oppositions-
führer Alberto Fernández, der mit
der ehemaligen Präsidentin Cristina
Fernández de Kirchner als Vizeprä-
sidentin antritt, hatte deutlich mehr
Stimmen geholt als der konservative
Amtsinhaber Mauricio Macri. Seit-
her fürchten internationale Investo-
ren, dass Fernández im Oktober die
Macht übernimmt und die mark-
freundliche Politik seines Vorgän-
gers zurückdreht.
Sie haben bereits Milliarden aus
dem Land abgezogen, Anleihen des
Landes gelten aktuell als praktisch
unverkäuflich. „Die Liquiditätskrise
ist real“, schrieb Hongtap Jiang,
Schwellenlandexperte der Deut-
schen Bank, in einer aktuellen Stu-
die. Das Geldhaus beziffert die Ver-
schuldung Argentiniens auf 325 Mil-
liarden Dollar, das sind 103,5
Prozent der Wirtschaftsleistung.
Einen großen Teil dieser Schulden
hat das Land in Dollar aufgenom-
men. Weil der Peso jedoch gegen-
über dem Dollar seit Mitte August
rund 30 Prozent abgewertet hat,
kann Argentinien seine Auslands-
schulden kaum mehr bedienen. Ei-
nige Investoren begrüßen daher die
Aussicht auf eine Umschuldung:
„Sie haben das Geld nicht, und des-
wegen ist eine Anpassung nötig“,
sagte Abhishek Kumar, Schwellen-
länder-Fondsmanager beim Vermö-
gensverwalter State Street Global
Advisors, gegenüber Reuters. Der
Absturz des argentinischen Pesos
hatte auch die Währungen anderer
Schwellenländer unter Druck ge-
setzt, etwa den brasilianischen Real.
Eine große Ansteckungsgefahr geht
von Argentinien aus Sicht von Ex-
perten jedoch nicht aus.
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