WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167 Ostdeutschlands unsichere Zukunft^47
Wahrscheinlich
hat es noch nie
so schwierige
Sondierungen
gegeben.
Robert Habeck
Grünen-Bundeschef, über
mögliche Gespräche mit
der CDU in Sachsen
Brandenburgs Ministerpräsident
Dietmar Woidke (l.) mit SPD-Partei-
freund Olaf Scholz: Für Rot-Rot
picture alliance/dpa wird es nicht mehr reichen.
Wenn die Wahlergebnisse am Ende in der Nähe
der aktuellen Prognosen liegen, dürften die
Schockwellen auch in Berlin zu spüren sein und
das Machtgleichgewicht zwischen CDU und SPD
beschädigen: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karren-
bauer droht nach der Europawahl schon der zwei-
te Pleiten-Wahlsonntag unter ihrer Ägide. Aufmerk-
sam wurde deshalb in ihrem Umfeld registriert,
dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und
Friedrich Merz, Kramp-Karrenbauers einstige Riva-
len um den CDU-Vorsitz, sehr viele Wahlkampfter-
mine in Sachsen wahrgenommen haben. Spahn
war sogar bei der Abschlusskundgebung der Partei
in Dresden dabei.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich dagegen aus
dem Wahlkampf nahezu komplett herausgenom-
men. Auch bei Kramp-Karrenbauer entstand zeit-
weise der Eindruck, die CDU-Landesverbände in
Sachsen und Brandenburg wollten sie verstecken.
Im Gegensatz zu Merkel, die im Herbst ihrer Kar-
riere steht, fällt das bei der noch recht neuen CDU-
Chefin auf: Die „Bild“-Zeitung ätzte schon vor Ta-
gen, die Verteidigungsministerin mache „Bagdad
statt Brandenburg“.
Der CDU-Chefin droht eine Pleite
Sollte die CDU vor allem in Sachsen gut abschnei-
den, dürfte der Landesverband die Lorbeeren für
sich einheimsen. Bei einer Niederlage würden die
Landesverbände wohl den fehlenden Rückenwind
aus Berlin beklagen. Dass Kramp-Karrenbauer da-
rüber stürzt, kann sich aus der engeren Parteifüh-
rung zwar selbst bei einem verheerenden Wahler-
gebnis niemand vorstellen – es würde aber weiter
das Narrativ nähren, dass die Saarländerin aus ih-
rer Malaise nicht herausfindet.
Dazu hat sie selbst beigetragen, selbst aus der
Entfernung agierte Kramp-Karrenbauer im sächsi-
schen Wahlkampf recht unglücklich. Ihr missver-
ständliches Zitat über einen möglichen Parteiaus-
schluss von Hans-Georg Maaßen kam in den kon-
servativen Landesverbänden im Osten nicht gut
an, wo der Ex-Verfassungsschutzchef sogar Wahl-
kampfauftritte absolvierte. Zwar war Kretschmer
am Ende selbst von der One-Man-Show Maaßen ge-
nervt, eine tagelange Debatte über ihn brauchte er
aber noch weniger.
Kramp-Karrenbauer könnte der Zugriff auf die
Kanzlerkandidatur nach Sonntag weiter entgleiten.
Die Europawahl fiel unter ihrem Vorsitz für die
CDU verheerend aus, lediglich die bayerische
Schwesterpartei CSU holte ein respektables Ergeb-
nis. Seitdem wird Markus Söder, Ministerpräsident
und Parteichef der CSU, im Wochenrhythmus ge-
fragt, ob er selbst eine Kandidatur anstrebe. Bis-
lang dementiert er das standhaft. Aber wie stark
Söder derzeit ist, zeigte eine Begebenheit von sei-
nem Auftritt mit Kramp-Karrenbauer und den bei-
den CDU-Spitzenkandidaten Ingo Senftleben aus
Brandenburg und Kretschmer aus Sachsen. Wäh-
rend Söder selbstbewusst Haltungsnoten verteilte
und später Behördenansiedlungen im Osten for-
derte, wirkte Kramp-Karrenbauer angespannt und
verlor sich in Allgemeinplätzen. Öffentlich stützt
Söder die angeschlagene Parteivorsitzende, aber al-
lein die Tatsache, dass er das tut, zeigt, wie bitter
nötig sie das hat. Und dann ist da noch der nord-
rhein-westfälische Ministerpräsident Armin La-
schet, der im größten deutschen Bundesland fest
im Sattel sitzt und selbst Ambitionen auf die Kanz-
lerkandidatur hat.
Trotzdem treibt die CDU in Berlin weniger die
eigene Personaldebatte um, als die Situation bei
der desolaten SPD. Für die Sozialdemokraten
sind in beiden Ländern entscheidende Demüti-
gungen möglich: In Brandenburg, ihrem ostdeut-
schen Stammland, könnte die Partei erstmals
nicht mehr stärkste Kraft werden, sondern hin-
ter die AfD fallen. Und in Sachsen ist bei sieben
Prozent in den Umfragen selbst ein Reißen der
Fünfprozenthürde vorstellbar – zum ersten Mal
in der Nachkriegsgeschichte wäre die einstige
Volkspartei in einem deutschen Landtag nicht
mehr vertreten.
In der CDU sind die Gedankenspiele um eine
Minderheitsregierung weit fortgeschritten. Den
christdemokratischen Parteistrategen ist bewusst:
Die SPD-Spitze hat bei einer Wahlschlappe kein
anderes Ventil mehr, aus dem sie Dampf ablassen
könnte, als den Bruch der Großen Koalition. Das
würde die Karten für die Wahl der neuen SPD-Vor-
sitzenden, die drei Tage nach der Wahl mit der
ersten von 23 Regionalkonferenzen beginnt, völlig
neu mischen. Aufhorchen ließ zuletzt, dass der
einflussreichste Landesverband Nordrhein-Westfa-
len auf jeden Fall ein Anti-GroKo-Kandidatenteam
offiziell unterstützen wird: Der frühere Landesfi-
nanzminister Norbert Walter-Borjans tritt mit der
Bundestagsabgeordneten Saskia Esken an, die
schon öffentlich erklärt hat, dass man das Bünd-
nis mit der Union beenden müsse. Auch der Köl-
ner Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, ein
weiterer aussichtsreicher Kandidat für den SPD-
Vorsitz, erklärt bei jeder Gelegenheit, dass nur das
Ende der GroKo die SPD retten könne.
Ein weiterer Katastrophen-Wahltag für die SPD
würde das Argument nur unterstreichen.
Sächsischer AfD-Spitzenkandidat
Jörg Urban: Für Russland und die
Braunkohle.
dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel:
Den Regierungs parteien droht ein
Pleitesonntag.
dpa
+DQGHOVEODWW0HGLDURXSPE+ &R.*$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ=XP(UZHUEZHLWHUJHKHQGHU5HFKWHZHQGHQ6LHVLFKELWWHDQQXW]XQJVUHFKWH#KDQGHOVEODWWJURXSFRP