52 Karriere WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
Claudia Obmann, Michael Scheppe Düsseldorf
E
ntspannt das brasilianische „Antarcti-
ca“- Bier am klebrigen Tresen der
Strandbar an der Copacabana trinken.
Dabei dem Meeresrauschen zuhören,
das immer wieder von Polizeisirenen
übertönt wird: Brasilien-Fan Martin Schneider ge-
nießt seinen Urlaub bei Freunden in Rio. Als der
Ingenieur nach zwei Wochen zurück ins Ford-Ent-
wicklungszentrum nach Köln-Merkenich kommt,
warten mehr als 900 ungelesene Mails auf ihn. Die
Urlaubsentspannung? Schon nach dem Starten des
Computers dahin. Genervt sitzt der 32-Jährige in
seinem Cubicle im vierstöckigen Gebäude, in dem
alle Etagen gleich aussehen. Seit fünf Jahren ist er
einer von 60 Kollegen, die für den Automobilher-
steller Klimasysteme konstruieren. Nach dem Bra-
silienurlaub wird ihm klar: „So kann das nicht wei-
tergehen.“ Das ist sechs Jahre her. Mittlerweile hat
Schneider seine Festanstellung gekündigt, in Köln
den Boxklub „Guts & Glory“ eröffnet und damit
sein Hobby zum Beruf gemacht. „Ich wollte mehr
Sinn und Selbstbestimmung“, sagt Schneider. „An
dem Frust darüber, meine Lebenszeit für Geld an
einen Arbeitgeber zu verkaufen, hätte sich nichts
geändert – egal, ob ich nun Klimaanlagen oder Sit-
ze konstruiert hätte oder im Unternehmen aufge-
stiegen wäre.“
Dass ein gut qualifizierter Ingenieur gleich sei-
nen Job aufgibt, weil Hunderte ungelesene Mails
oder scheinbar endlose Jobroutinen drohen, mag
zwar ein extremes Beispiel sein. Doch dass die Ar-
beit gerade an den ersten Tagen nach dem Urlaub
mühevoll ist, die Stunden nicht vergehen wollen,
die Konzentration schwerfällt, dafür aber Erschöp-
fung und die Sehnsucht nach Sonne und Strand
oder Bergen und Seen umso größer sind – das ist
hierzulande weit verbreitet. Studien zeigen: Zwei
Drittel der Mitarbeiter befinden sich nach der
Rückkehr aus dem Urlaub im Stimmungsjetlag.
Forscher bezeichnen das Grauen nach den Ferien
als Post-Holiday-Syndrom.
Großraumbüro statt Strandkorb, Anzugschuhe
statt Flipflops, Meeting statt Hängematte – Manager
und Mitarbeiter kennen die Situation in diesen Wo-
chen nur zu gut. Die Ferien im bevölkerungsreichs-
ten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind gerade
zu Ende gegangen, und bis auf Bayern und Baden-
Württemberg ist ganz Deutschland wieder zurück
im Job. Eine YouGov-Umfrage im Auftrag des Han-
delsblatts kommt zu dem Ergebnis, dass fast jeder
zweite Urlauber nur „ungern“ oder „sehr ungern“
an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.
Dabei sollte es doch genau umgekehrt sein:
Frisch erholt sollte man sich mit neuer Tatkraft
und Freude wieder in den Job stürzen. Das ist
schließlich der Sinn von Urlaub, oder? Zeugt das
Resultat womöglich davon, dass viele Deutsche
den falschen Job gewählt haben? Ab wann wird das
Post-Holiday-Syndrom zum Alarmsignal? Und wel-
che Strategien helfen am besten dagegen?
Der Blues nach dem Urlaub ist völlig normal,
sagt Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Or-
ganisationspsychologie an der Universität Leipzig:
„Viele Mitarbeiter erleben zwischen Urlaub und
Arbeitsleben einen starken Kontrast.“ Im Urlaub
sei schließlich Zeit für Menschen und Aktivitäten,
die man mag, während der Handlungsspielraum
auf der Arbeit oft eingeschränkt sei, so der Arbeits-
psychologe. Körper und Geist bräuchten eben ein
paar Tage, um den gewohnten Rhythmus wieder
aufzunehmen.
Gerade wer im Urlaub besonders gut abschalten
konnte, ist zwar erholter als seine Kollegen, ihm
fällt es allerdings auch schwerer, wieder in den Ar-
beitsalltag zurückzufinden. Was Erholung konkret
bedeutet, kommt auf jeden Einzelnen an: Das kann
der Surfkurs in Griechenland sein, der Urlaub am
Pool oder einfach viel Zeit mit dem Partner.
Die Dauer des Urlaubs hat auf die Erholung üb-
rigens kaum Auswirkungen. Egal ob Kurzurlaub in
Frust nach den Ferien
Raus aus dem Pool, zurück in die
Mühle: Zwei Drittel der
Arbeitnehmer leiden unter dem
Blues nach dem Urlaub.
Warum dieses Gefühl normaler ist,
als viele glauben – und
ab wann es zum Signal für einen
überfälligen Jobwechsel wird.
natanaelginting - stock.adobe.com
48
PROZENT
derjenigen, die 2019 Urlaub gemacht
haben, sind „ungern“ oder
„sehr ungern“ an ihr
en Arbeitsplatz
zurückgek
ehrt.
Quelle: YouGo
v
Schluss mit Hawaii:
Viele Mitarbeiter
sehnen sich am ers-
ten Arbeitstag zu-
rück in die Ferien.
+DQGHOVEODWW0HGLD*URXS*PE+ &R.*$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ=XP(UZHUEZHLWHUJHKHQGHU5HFKWHZHQGHQ6LHVLFKELWWHDQQXW]XQJVUHFKWH#KDQGHOVEODWWJURXSFRP