meinten, es werde moralisch argumentiert,
und das dürfe man in der Kultur nicht.
Das wiederum war fast aberwitzig.
Denn es waren doch bislang immer die
Kunsthistoriker (und Kunstkritiker), die
moralische Schubladen aufmachten: hier
die gute Moderne, dort die ungute Anti-
moderne. Nolde wurde von den Kunsthis-
torikern der Nachkriegsjahrzehnte auf ein
Podest gehoben – nicht nur für seine
Kunst, sondern ebenso für seine angeblich
widerständische Einstellung. Und wenn es
nun heißt, man dürfe seinen Bildern doch
nicht den Charakter ihres Malers anlas-
ten – muss das dann nicht auch für die Bil-
der anderer Künstler jener Jahre gelten?
Um diese Diskussion zu führen, müss-
ten all die Bilder aus den Depots geholt
und erforscht werden, die dort – eben sehr
wohl wegen moralischer Bedenken –
schon lange im Dunkeln liegen.
Auch die Amerikaner machten letztlich
moralische Gründe geltend, als sie eine
Auswahl der Propagandakunst einbe -
hielten – sie warnten, vieles »könne dazu
neigen, den Nationalsozialismus zu ver-
herrlichen«. Ein Sprecher der US-Armee
betont, es gebe zurzeit keine Pläne, diese
Bilder zurückzuschicken.
Sabine Beneke leitet beim Deutschen
Historischen Museum seit einigen Mona-
ten die Gemäldeabteilung. An diesem Tag
hat sie in Spandau zu tun, in dem umzäun-
ten Außendepot.
Sie gehört zu denen, die eine kunsthis-
torische Erforschung dieser Werke für not-
wendig halten. Denn das führe zu einer
Präzision der gesamten Kunstgeschichte,
sagt sie. Man müsse sich den Bildern neu
nähern, sie so sachlich analysieren, wie es
auch für andere Werke der Kunst üblich
sei. Dass den Bildern, für die sie nun zu-
ständig ist, oft sogar der Kunstgehalt ab-
gesprochen wird – das sei Ausdruck eines
Schwarz-Weiß-Denkens der Fachleute. Sie
würde, sagt sie, bei einer solchen Unter-
suchung auch das geistige und gesellschaft-
liche Klima der Jahre vor 1933 berücksich-
tigen, denn schon um 1900 habe es einen
Richtungsstreit darüber gegeben, was als
nationale Kunst gelten dürfe, die konser-
vative oder die moderne Kunst.
Tatsächlich gehen die meisten Kunsthis-
toriker davon aus, dass zwischen 1933 und
1945 die Werke wie vom Himmel gefallen
seien, dass sie weder eine Vorgeschichte
noch eine Nachwirkung hätten – die His-
torikerin Karin Hartewig verwendet in
ihrer Studie »Kunst für alle!« den Begriff
Ufo-These. Und deutsche Museen lehnen
es laut Hartewig bis heute ab, diese Kunst
auszustellen, also jene Kunst, »die im Drit-
ten Reich nicht abgehängt, verboten oder
beschlagnahmt wurde«.
Ausgerechnet die Bilderexperten schlie-
ßen die Augen vor einem Teil der Bilderge-
schichte. Im Grunde halten sie sich im um-
gekehrten Sinn an Hitlers Geschmacksdik-
tat, der 1934 auf dem Reichsparteitag »das
ganze Kunst- und Kulturgestotter von Ku-
bisten, Futuristen, Dadaisten« verdammte.
Natürlich spielte bei der Kanonbildung
in der Nachkriegszeit die Kulturpolitik der
Alliierten eine grundlegende Rolle. Die
Amerikaner schickten nicht nur Care-
Pakete, sondern vermittelten auch ihre
Vorstellungen einer westlichen Kunst, die
das Gegenteil der sowjetischen und des-
halb abstrakt sein sollte.
Der Amerikaner Gregory Maertzlehrt
Literaturwissenschaft an einer New Yorker
Privatuniversität. Studiert hat er einst in
Harvard und Heidelberg. Seit Jahrzehnten
setzt er sich mit der NS-Kunst auseinander,
vor Kurzem erschien sein Buch dazu, »Nos-
talgia for the Future« (Ibidem; 29,90 Euro).
Sezierend widmet er sich den Umstän-
den, unter denen sich die Armee seines
Landes nach dem Krieg deutsche Kunst
aneignete. Ein U. S.-Army-Captain na-
mens Gordon Gilkey hatte den Auftrag er-
halten, die Kriegskunst aus dem Verkehr
zu ziehen. Gilkey machte Bilderverstecke
der Wehrmacht in Zügen, Salzminen,
Schlössern aus, führte Verhöre und Raz-
zien in Ateliers durch. So beschlagnahmte
er Tausende Werke. Im Dezember 1946 ar-
rangierte Gilkey im Frankfurter Städel Mu-
seum eine Ausstellung für Mitglieder der
US-Armee, katalogisierte und verpackte
danach alles für den Transport ins Penta-
gon. Im März 1947 ging die Lieferung los.
Zusätzlich zu dieser »Sammlung deut-
scher Kriegskunst« wurde ein zweites Kon-
volut gebildet, der »NS-Reichsbesitz«: Das
waren Gemälde, als deren Käufer oft Hit-
ler selbst identifiziert wurde. Sie blieben
in Deutschland, aber lange unter amerika-
nischer Kontrolle, waren für Forschung
106 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019
CHRISTIAN-SCHAD-STIFTUNG ASCHAFFENBURG (CSSA) / VG BILD-KUNST, BONN 2019 DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM, BERLIN / VG BILD-KUNST BONN 2019
Schad-Gemälde »Isabella«, 1934, von Hitler angekauftes Ölbild »Granitbrüche Flossenbürg« von Erich Mercker, 1941: Unerledigter Zynismus