er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1
angesprochen worden, wenn sie an die
AfD vermietet hatten. »Das ist hier eine
sehr angenehme Umgebung.«
Janich, ein großer Mann im karierten
Hemd mit raspelkurzen Haaren, der ruhig
spricht und viel lacht, ist von Anfang an da-
bei, Mitgliedsnummer 235. Er hat den AfD-
Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterz-
gebirge gegründet, den ersten im Land.
Nach einem Streit mit Frauke Petry verließ
er die AfD, am Tag nach ihrem Austritt stell-
te er wieder einen Mitglieder antrag. Heute
ist er Regionalgruppenleiter, sitzt im Kreis-
tag und Gemeinderat. Den Landesverband
unterstützt er im Fachausschuss 5, Innere
Sicherheit, denn Janich ist Polizist.
Mit der AfD wolle er »was fürs Land
tun«, sagt Janich, er sei der Heimat sehr
verbunden. Früher war er in der sächsi-

schen CDU. Die sei zu Beginn von Merkels
Kanzlerschaft noch in Ordnung gewesen,
dann aber unter dem Einfluss der Bundes-
partei »zu sehr nach links gerückt«. Janich
berichtet, dass die AfD viel Unterstützung
von regionalen Unternehmern bekomme.
Bei der Bundestags- wie Europawahl sei
sie stärkste Kraft geworden, 30 Prozent.
Die AfD-Leute in Pirna sind keine Ge-
mäßigten. Janich hatte eine Karte für das
Kyffhäusertreffen des »Flügels«, konnte
dann allerdings dienstlich nicht. Kritisieren
will er den »Flügel« nicht, auch nicht die
Äußerung von Parteichef Alexander Gau-
land, dass Hitler und die Nationalsozialis-
ten nur ein »Vogelschiss« in der Geschichte
gewesen seien. Stattdessen sagt er: Der
Spruch sei auf jeden Fall »öffentlichkeits-
wirksam« gewesen.
Bei den Wählern seien solche Fragen
ohnehin kein Thema. Freundschaften habe
er durch sein politisches Engagement auch
keine verloren. Nur die Polizei will nicht,
dass er im Parteikontext über seinen Beruf
spricht. Den Budo-Club des Polizeisport-
vereins leitet Janich aber bis heute.

Natürlich gibt es auch Bürger, die dem
schleichenden Erfolg der AfD entgegentre-
ten wollen. »In Ostdeutschland gibt es
Gegenbewegungen – bei Kommunalpoli -
tikern, bei Vereinen, in Bildungsinstitutio-
nen«, sagt Politikwissenschaftler Lühmann.
In Universitätsstädten, wo die Zivilgesell-
schaft stark ist, habe es die AfD deshalb
schwerer. In vielen Kleinstädten sei Protest
aber kaum vorhanden. Lühmann erklärt
sich das auch mit der DDR-Vergangenheit,
in der bis zur Hausgemeinschaft alles kol-
lektiviert war. Nach 1990 zog man sich auf-
grund einer Anti-DDR-Haltung aus den Ge-
meinschaften zurück. Ein »Wir« gegen »die
Rechten« sei daher schwächer ausgeprägt.
Die Wissenschaftler Klaudia Wegschai-
der und Robert Vehrkamp haben nach der
Bundestagswahl 2017 eine Analyse für die

Bertelsmann-Stiftung geschrieben. Ihrer
Meinung nach ist die Gesellschaft geteilt
zwischen Befürwortern und Skeptikern
der Modernisierung. Die AfD sei »ganz
überwiegend eine Partei modernisierungs-
skeptischer Wähler, womit sie im Parteien -
spektrum ein Alleinstellungsmerkmal
hat«, heißt es. Folgt man dieser Argumen-
tation, ist die AfD mit ihrer Identitätspoli-
tik in Ostdeutschland erfolgreich, weil die
Anzahl solcher Skeptiker dort größer ist.
Einer dieser Skeptiker ist Dominik Kauf-
ner, ein Lehrer aus Brandenburg. Der 36-
Jährige trägt Poloshirt und Shorts, die ver-
spiegelte Pilotensonnenbrille mit dem gol-
denen Rahmen steckt er sich ins dunkle,
kurze Haar. Er steht am Rande eines Fuß-
ballplatzes in Dallgow-Döberitz, sein Sohn
hat gerade Training. Früher war Kaufner
selbst Co-Trainer.
Der AfD-Politiker hat in Geschichte pro-
moviert und war wissenschaftlicher Mit-
arbeiter am Lehrstuhl für Bayrische Lan-
desgeschichte der Universität Regensburg.
In seiner Dissertation beschäftigte er sich
mit einem Kloster. Wer sich die Ost-AfD

als Klub der Ungebildeten, wirtschaftlich
Abgehängten vorstellt, wird durch Kauf-
ner eines Besseren belehrt. »Ich habe jah-
relang drauf gewartet, dass sich eine Partei
wie die AfD gründet«, sagt er.
Noch unterrichtet Kaufner an einem
Gymnasium in Berlin-Spandau, 20 Minu-
ten von seinem Brandenburger Wohnort
entfernt. Aber vielleicht nicht mehr lange:
Er kandidiert für ein Direktmandat im
Landtag. Vor allem Schulpolitik interessiert
ihn, Kaufner unterrichtet Politische Bil-
dung und Geschichte. Bildung müsse »poli -
tisch neutral« sein, sagt er, um dann zu er-
gänzen: »Genderwissenschaften halte ich
ganz ehrlich für eine Pseudowissenschaft.«
Sie habe nichts im Lehrplan zu suchen.
In seinem Kandidatenprofil forderte
Kaufner, die Brandenburger Schulen müss-
ten sich wieder »auf ihre Kernauf-
gabe besinnen«, dürften nicht mit
»Inklusion, Integration, Frühse-
xualisierung oder der sogenann-
ten Akzeptanz sexueller Vielfalt«
belastet werden. Mit dieser Hal-
tung liegt Kaufner voll im Main-
stream der AfD, ob Osten oder
Westen. Die gesellschaft lichen Zu-
stände, die angebliche Dominanz
von Minderheiten ärgern viele
AfD-Anhänger mindestens so
sehr wie die Asylpolitik.
Zwar beteuert Kaufner, sich
im Unterricht mit der Politik zu-
rückzuhalten, trotzdem schlug
seine Parteizugehörigkeit an-
fangs Wellen in der Schule, wie
er zugibt. Die will sich auf An-
frage nicht äußern.
Die Aufregung ist verständ-
lich: Wie die meisten führenden
Funktionäre im Osten ist auch der Lehrer
Kaufner Teil der AfD-Bewegung »Flügel«,
die vom Verfassungsschutz als »Verdachts-
fall« geführt wird. Er selbst sagt: »Ich halte
den ›Flügel‹ nicht für extremistisch und
die Diskussionen, die über den Verfas-
sungsschutz geführt werden, für überzo-
gen.«
Die Senatsverwaltung sagt nur so viel:
»Allein die Mitgliedschaft in der AfD und
die Zugehörigkeit zum ›Flügel‹ rechtfertigt
noch keine dienstrechtlichen Konsequen-
zen.« Es komme auf seine Äußerungen im
Unterricht und in der Öffentlichkeit an.
Seine Kandidatur hat sich Kaufner gut
überlegt: »In meinem privaten Umfeld
sind die Reaktionen bis jetzt nur positiv,
fast zu meiner eigenen Überraschung.«
Für den Großteil seiner Freunde sei das
mit der AfD kein Problem.
Und wenn es doch jemanden störe?
»Dann reden wir eben über was anderes
als über Politik.«
Timo Lehmann, Ann-Katrin Müller,
Milena Pieper

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Der Anhängerschaft können die Töne gegen das Establishment kaum scharf genug sein


FOTOS: GORDON WELTERS / DER SPIEGEL
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