er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

speisen. »Ein CO²-neutraler Beton
ist möglich«, sagt Firmenchef Knell.
»Und nur wenn wir das beweisen,
werden wir langfristig wettbewerbs-
fähig sein.«
Auch bei BASF werden grund -
legend neue Technologien erkundet,
eine zentrale Rolle spielt der Steam-
cracker. Anstatt mit Erdgas, so die
Idee, wird die Anlage künftig mit
Strom auf die benötigten 840 Grad
erhitzt, wie mit einem gigantischen
Tauchsieder. »So könnte der CO²-
Ausstoß bei dieser Technik um bis zu
90 Prozent gesenkt werden«, sagt
Energieexperte Beckmann. Ein sol-
cher Ansatz ist allerdings nur dann
sinnvoll, wenn der Strom aus erneu-
erbaren Quellen kommt.
Am weitesten reicht das Projekt,
das die Salzgitter-Ingenieure im Sinn
haben. Nie zuvor hat weltweit ein
Hüttenwerk im laufenden Betrieb
versucht, den Prozess von Koks und
Kohle auf Wasserstoff umzustellen.
In der ersten Stufe würde bis 2025
der kleinste von drei Hochöfen er-
setzt und der CO²-Ausstoß um rund
ein Viertel verringert. Nur diese Um-
stellung verschlänge schon rund
1,3 Milliarden Euro, schätzt Projekt-
leiter Hille. »Allein können wir das
nicht schultern«, sagt er.
In Salzgitter erhofft man sich Inves-
titionshilfe vom Staat, beispielsweise
aus dem EU-Innovationsfonds: Er
wird gespeist aus den Einnahmen des
Emissionshandels. Doch ein weiteres
und weit gravierenderes finanzielles
Problem wäre damit noch nicht ge-
löst: Die neue Technologie rechnet
sich nicht, jedenfalls nicht unter den
heutigen Bedingungen.
Es ist noch immer weitaus billiger,
zur Stahlherstellung Koks und Kohle
zu verfeuern als Wasserstoff, schon
gar Wasserstoff, der nicht aus Erdgas,
sondern aus erneuerbaren Energien
erzeugt wird, ein aufwendiges, aber
ertragsarmes Verfahren. Unter gegen-
wärtigen Bedingungen dürften die
Kosten für nachhaltig erzeugten Stahl
um bis zu 50 Prozent über den heuti-
gen Kosten liegen. Dass Kunden wie
die Automobilindustrie bereit wären, für
ihren Stahl einen derart happigen Auf-
schlag zu zahlen, ist unwahrscheinlich.
Deshalb sollte der Staat, so argumentie-
ren die Salzgitter-Leute, grünen Stahl auf
andere Weise fördern. Der Gesetzgeber
könnte konventionell hergestellte Ware
mit einer Abgabe belegen und damit künst-
lich verteuern. Oder er müsste vorschrei-
ben, dass Stahl einen klimaschonend er-


* Oben: mit Steamcracker-Betriebsleiter Philip Kampe
(r.) im Ludwigshafener BASF-Werk.

zeugten Anteil enthält, so wie der Staat
auch bestimmt, dass Benzin und Diesel
Biokraftstoff beigemischt sein muss.
Und dann ist noch das Risiko, dass
Experten als »Carbon Leakage« umschrei-
ben: dass Industrien dorthin abwandern,
wo eine laschere Klimapolitik herrscht.
HeidelbergCement-Manager Knell fürch-
tet, schon ein CO²-Preis von 50 Euro
könne »zur vollständigen Verdrängung
der europäischen Zementindustrie füh-
ren«. Dem könnte eine Importsteuer
entgegenwirken, die Stahl aus China oder

Zement aus der Türkei gezielt ver -
teuert.
Neben der ungewissen Wirtschaft-
lichkeit ist auch eine andere zentrale
Frage noch zu klären, bevor die Salz-
gitter AG es wagt, ihr Jahrhundert-
projekt zu starten: woher überhaupt
der Grünstrom kommen soll, der da-
für nötig ist.
Im vergangenen Jahr wurden in
Deutschland aus erneuerbaren Quel-
len insgesamt 226 Terawattstunden
Strom produziert. Die Stahlindustrie
würde davon allein bis zu 190 Tera-
wattstunden benötigen, wenn sie ihre
Anlagen mit grünem Wasserstoff be-
triebe.
Mit ein paar Windrädern zusätzlich
wird es kaum getan sein. Um den Be-
darf an Ökostrom zu decken, wird
Deutschland auf Quellen im Ausland
zurückgreifen müssen.
Hier könnte die einst gescheiterte
Idee von Desertec, der Stromerzeu-
gung in der Wüstenregion, eine Re-
naissance erleben, allerdings unter
veränderten Vorzeichen. Statt Solar-
strom aus Nordafrika aufwendig per
Leitung nach Europa zu transportie-
ren, könnte die Energie in der Wüs-
tenregion in Wasserstoff umgewan-
delt und dann per Schiff zu den Kun-
den in Nordeuropa gebracht werden.
Die Technologien dafür stehen be-
reit, wie überhaupt der Wandel zu ei-
ner grünen Ökonomie nicht an feh-
lendem Know-how scheitern würde.
Doch gegenwärtig rechnet sich der ra-
dikale Ausstieg aus der Kohlenstoff-
wirtschaft für die meisten Unterneh-
men noch nicht. Zugleich aber müs-
sen sie sich jetzt darauf einstellen,
dass fossile Brennstoffe bald womög-
lich keine Option mehr sein werden.
Die Klimaziele seien zwar sehr
anspruchsvoll, aber richtig umgesetzt
auch erreichbar und wünschenswert,
sagt Matthias Tauber, seit April
Deutschlandchef bei Boston Consul-
ting, gerade am hiesigen Standort mit
seinen hochinnovativen Mittelständ-
lern und Konzernen. »Sie bieten die
Chance, das Land wirtschaftlich und
technologisch nach vorn zu bringen«,
sagt der Berater: Deutschland als Clean-
Tech-Leitmarkt.
Insgesamt kostet der Klimaschutz die
Volkswirtschaft bis 2050 nach BCG-Schät-
zung knapp eine Billion Euro, das klingt
wie eine gigantische Summe. Auf das Jahr
gerechnet wären dies ungefähr 30 Milliar-
den Euro. Diese Größenordnung, findet Tau -
ber, sei verkraftbar: »So viel geben deutsche
Haushalte pro Jahr für Tabakwaren aus.«
Martin Hesse, Alexander Jung
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019 65

MARKUS HINTZEN / DER SPIEGEL

MARKUS HINTZEN / DER SPIEGEL
Industriemanager Beckmann*, Knell
»CO²-neutraler Beton ist möglich«
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