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Wirtschaft
U
m zu erklären, wie man zum Meis-
ter wird, braucht Dieter Bohlen nur
30 Sekunden. »Am wichtigsten ist,
ruhig zu bleiben«, verrät Bohlen in einem
YouTube-Clip. Doch plötzlich rappelt und
blinkt sein Smartphone, auf dem Bild-
schirm erscheint die Coin-Master-App –
und mit Bohlens Ruhe ist es vorbei. Der
Poptitan muss ganz schnell weg, seinen
neuen Titel verteidigen: Er ist jetzt Coin
Master.
Das Prädikat hat ihm eine App mit
Schweinchen-Icon verliehen. Allein in
Deutschland wurde sie in den vergangenen
Wochen millionenfach heruntergeladen, in
den Bestenlisten der App Stores steht sie
ganz oben. Das YouTube-Video mit Bohlen
ist Teil einer groß angelegten Kampagne,
mit der der israelische Entwickler Moon
Active sein Handyspiel derzeit vor allem
bei Jugendlichen bewirbt.
Mit dabei sind auch zahlreiche Internet-
promis. Die einflussreiche YouTuberin
Bianca Heinicke, die auf ihrem Kanal
BibisBeautyPalace für Coin Master wirbt,
spricht von einem »Gesellschaftsspiel«. Ihr
Kollege Simon Desue von einem »sozialen
Spiel«. Beide erzählen mit glänzenden
Augen davon, dass man darin Dörfer auf-
bauen und angreifen, Haustiere füttern
und sich an Freunden »rächen« kann – das
ist »wirklich megageil!«.
Die Realität ist deutlich banaler. Haupt-
bestandteil des Spiels ist eine wild rattern-
de Slot-Maschine, ein einarmiger Bandit,
der regelmäßig virtuelle Münzen aus-
spuckt. Die lassen sich wieder investieren:
in Dörfer und Haustiere, vor allem aber
in neue Automaten. Dann geht das Rattern
von vorn los. Die Münzpakete zum An-
treiben des einarmigen Banditen kosten
zwischen 1,09 und 119,99 Euro.
Die Glücksspielindustrie hat für derartige
Apps einen eigenen Begriff erfunden: »So-
cial Casino«. Seit Jahren versucht sie, jün-
gere Zielgruppen für Roulette und einarmi-
ge Banditen zu begeistern. Geködert wer-
den sollen die heranwachsenden Zocker
nun mit Spielgeld-Apps wie Coin Master.
»Jüngere Generationen waren für die
Glücksspielindustrie fast schon ver loren«,
sagt der Suchtforscher Gerhard Meyer von
der Universität Bremen, »durch solche
Apps schafft sie es, Vorbehalte abzubauen.«
Hinter Moon Active, dem Entwickler-
studio mit Sitz in Tel Aviv, stecken gleich
mehrere Geldgeber aus der Glücksspiel-
branche. Der ehemalige Sportwetten -
manager Norbert Teufelberger etwa. Und
Gigi Levy-Weiss, Ex-Boss des Glücksspiel-
konzerns 888. Coin Master wird in der
Branche als Einstiegsdroge für einen lu-
krativen Markt gefeiert. Schätzungen zu-
folge wuchs das Geschäft mit Social Ca -
sinos im vergangenen Jahr weltweit auf
5,2 Milliarden Dollar, Tendenz steigend.
Früher oder später, so die Überlegung,
würden die jungen Spieler um echtes Geld
spielen wollen, egal ob am Blackjack-Tisch
oder im Onlinepoker.
Der Gesetzgeber sieht darin kein Pro-
blem. Weil man bei Coin Master zwar viel
Geld hineinstecken kann, aber kein echtes
ausgezahlt bekommt, handelt es sich juris-
tisch gesehen nicht um ein Glücksspiel. Es
klimpert und tutet am Bildschirm, auf
hohe Gewinne folgen niederschmetternde
Verluste, gesteuert über ausgeklügelte Al-
gorithmen. Aber die Coins bleiben im
System.
In der Literatur sei oft von Mikro-Trans-
aktionen die Rede, sagt Ingo Fiedler,
Glücksspielforscher an der Universität
Hamburg. »Aber nicht alles daran ist mi-
kro.« Binnen einem Monat würden Spieler
manchmal über 10 000 Euro ausgeben.
In einer bislang unveröffentlichten
Studie haben Fiedler und seine Kollegen
untersucht, ob Spielgeldcasinos wie Coin
Master zum echten Glücksspiel ver-
führen.
Von über 5000 befragten Zockern sag-
ten 54 Prozent, dass sie auch um virtuelles
Geld spielen. Wer sich von der simulierten
Variante des Glücksspiels begeistern lässt
und dann zum Echtgeldspiel wechselt, ist
besonders gefährdet: Mehr als jeder
Zweite dieser Gruppe zeigt laut Studie ein
pathologisches Spielverhalten. Und: Je
jünger die Spieler, desto höher sei die Ge-
fahr der Abhängigkeit, sagt Fiedler.
Sein Forscherteam empfiehlt deshalb
striktere Regulierungen: Apps wie Coin
Master könnten beispielsweise als Wer-
bung für Glücksspiel eingestuft oder für
Minderjährige ganz verboten werden.
Für Entwickler Moon Active wäre das
ein Rückschlag. Den Jugendschutz nimmt
das Unternehmen bisher nicht sonderlich
ernst: »Unsere Services und Spiele sollen
keine Kinder anlocken«, heißt es in den
nur auf Englisch verfügbaren Nutzungs -
bedingungen lapidar, es gelte ein Mindest-
alter von 16 Jahren.
Doch schon die Werbekampagne
spreche in erster Linie Jugendliche an,
sagt Katja Knierim, Expertin bei der
Kontrollstelle Jugendschutz.net. Der An-
bieter habe gezielt Influencer ausge-
wählt, die bei Kindern echte Stars sind:
Bohlen und dessen Gesangszögling
Pietro Lombardi etwa, TV-Sirene Da-
niela Katzenberger oder eben Bibi von
BibisBeautyPalace.
Die Landesanstalt für Medien in Nord-
rhein-Westfalen will Coin Master nun
überprüfen. Die reine Anmutung von
Glücksspiel sei nicht verboten, sagt Direk-
tor Tobias Schmid, »aber die Ansprache
von Kindern ist durchaus problematisch«.
Er wird die App deshalb der Kommission
für Jugendmedienschutz vorlegen. Dass
sie Coin Master verbietet, ist zwar unwahr-
scheinlich, aber manchmal, sagt Schmid,
reiche auch schon die Überprüfung aus,
um die Hersteller zu etwas mehr Einsatz
für den Jugendschutz zu bewegen.
Anton Rainer
Mail: [email protected]
Spielgeld-
falle
GamingDie App Coin Master ist
der Renner in deutschen
Kinderzimmern. Dabei ist das
vermeintlich harmlose
Daddelspiel ein virtuelles Casino.
QUELLE YOUTUBE
Entertainer Bohlen in Coin-Master-Clip: Einstiegsdroge in einen lukrativen Markt