er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

Weißrussland


Lukaschenko sucht


Anschluss in China


 Europas letzter Diktator, Alexander
Lukaschenko, ist in Schwierigkeiten: Die
EU kritisiert ihn, weil Menschenrechte
und Meinungsfreiheit verletzt werden.
Und Russland wird nachgesagt, sich das
kleine Land einverleiben zu wollen. Also
sucht er Unterstützer – und hat sie in Chi-
na gefunden. Investoren aus Fernost sol-
len nahe der Hauptstadt Minsk ein Städt-
chen nachbauen, mit Architektur im
Stil der Provinz Sichuan, zweisprachigen
Straßenschildern und der »Peking allee«
als Hauptstraße. Eine entsprechende Ver-
einbarung mit der Stadt Chongqing wur-
de unlängst unterzeichnet. Sie allein
hat dreimal so viele Einwohner wie ganz


Weißrussland. Wohnen sollen in Klein-
China bei Minsk wohl die Angestellten
chinesischer Investoren. Lukaschenko
ließ eine 11 000 Hektar große Sonderwirt-
schaftszone einrichten. Dort müssen
Konzerne wie etwa Huawei zehn Jahre
lang keine Steuern zahlen. »Hochtechno-
logische Unternehmen« würden in sein
Land gelockt, hofft der Machthaber. Chi-
nesische Banken würden Lukaschenko
zudem mit Krediten in Höhe von rund
neun Milliarden Dollar versorgen.
Schon jetzt ist Weißrussland mit acht
Milliarden in China verschuldet, das sind
etwa 13 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts. Als Zeichen der unverbrüchlichen
Freundschaft zwischen Weißrussland
und China wird in Chongqing ein weiß-
russisches Städtchen entstehen. Nach -
gebaut werden das Minsker Rathausund
das berühmte Schloss Njaswisch. JPU

EU-Grenze

»Verprügelt und


misshandelt«


Der Göttinger Migra -
tionsforscher Bernd Kas-
parek vom Verein Bor-
dermonitoring.eu über
schwere Vorwürfe gegen
die europäische Grenz-
schutzagentur Frontex

SPIEGEL:Herr Kasparek, Frontex soll
Misshandlungen von Migranten an
den EU-Außengrenzen durch Polizisten
geduldet haben und sogar selbst Men-
schenrechtsverletzungen begangen ha -
ben. Überraschen Sie diese Nachrichten?
Kasparek:Nein. Wir erfahren immer
wieder von illegalen Rückschiebungen,
etwa an der Grenze zu Ungarn. Be -
amte der nationalen Behörden haben
Migranten verprügelt und misshandelt.
Frontex ist dort vertreten. Die Agentur
muss solche Vorfälle mitbekommen
haben – und hat trotzdem nichts da -
gegen gemacht.
SPIEGEL: Warum nicht?
Kasparek:Das Problem ist, dass Fron-
tex von den nationalen Grenzschutz -
behörden abhängig ist. Die Agentur hat
kein eigenes Mandat, sondern unter-
stützt die Grenzschützer der EU-Staaten
an den Außengrenzen. Wenn Frontex
einen Einsatz plant, ist die Agentur da -
rauf angewiesen, dass Länder Beamte
dafür bereitstellen. Frontex hat deshalb
wenig Interesse, mit dem Finger auf
Missetäter zu zeigen.
SPIEGEL:Kontrolliert Frontex diese
Beamten gar nicht?
Kasparek:Intern gibt es schon Berichte
über Menschenrechtsverletzungen.
Die Agentur müsste aber verpflichtet
werden, dagegen auch vorzugehen.
Der Fokus der Agentur lag bisher ganz
klar auf dem Schutz von Grenzen,
nicht auf dem Schutz von Menschen-
rechten. Das muss die EU ändern.
SPIEGEL: Frontex hat alle Vorwürfe
zurückgewiesen und sagt, dass über ihr
Beschwerdeformular im Internet bis-
lang keine einzige Beschwerde eingegan-
gen sei. Wie kann das sein?
Kasparek:Die Flüchtlinge, die von
Polizisten an den Grenzen geschlagen
werden, müssten ja erst mal verstehen,
dass dafür möglicherweise Frontex
verantwortlich ist. Flüchtlinge bitten
meistens Hilfsorganisationen um Unter-
stützung. Auch die nutzen dann nicht
irgendein Internetformular, sondern
wenden sich an die Staatsanwaltschaf-
ten. Schließlich handelt es sich um
Straftaten. RED

Honduras


Ein Drogenboss als


Präsident?


 US-Präsident Donald Trump bezeich-
nete Länder wie den mittelamerikani-
schen Kleinstaat einmal als »Drecks -
löcher«, die die Welle von Migranten in
die USA speisten. Dabei ist seine Re -
gierung für den Exodus mitverantwort-
lich: Mit Finanzspritzen und Militärhilfe
hat Washington lange einem Regime
das Überleben gesichert, dessen Macht -
elite von Rauschgifthandel lebt – zu
diesem Schluss kommen US-amerikani-
sche Staatsanwälte. Sie beschuldigen
Staatschef Juan Orlando Hernández,
dass er gemeinsam mit seinem Bruder
Juan Antonio und Ex-Präsident Porfidio
Lobo konspiriert habe, um »mithilfe
des Rauschgifthandels die Macht und die
Kontrolle über Honduras zu sichern«.
Hernández bestreitet alle Vorwürfe. Sein
Bruder, den die Staatsanwälte als äußerst
brutalen Rauschgiftboss schildern, wurde


im November in Miami festgenommen.
Lobos Sohn Fabio wurde bereits 2017 in
den USA wegen Drogenhandels zu 24 Jah -
ren Gefängnis verurteilt. Honduras ist
unter Hernández und seinem Amtsvor-
gänger zu einem wichtigen Brückenkopf
für den Kokainhandel geworden.
Die Narco-Politiker verdanken ihren
Aufstieg einem Putsch der Machtelite
und des Militärs gegen den linken Präsi-
denten Manuel Zelaya vor zehn Jahren.
Seither ist Honduras zu einem der gefähr-
lichsten Länder der Welt für Aktivisten
von Umweltorganisationen, Kleinbauern-
verbänden und sozialen Organisationen
ge worden. Bei Protesten gegen Hernán-
dez wurden in den vergangenen Monaten
Dutzende Demonstranten von prügelnden
Polizisten verletzt. Hernández soll auch
seine Wiederwahl vor zwei Jahren mit
Drogengeldern finanziert haben. Trump
hat zwar unlängst Finanzhilfen auch
für Honduras gekürzt. Trotzdem hält er
sich mit Kritik zurück. Er sieht in Hernán-
dez einen wichtigen Verbündeten gegen
linke Strömungen in Lateinamerika. JGL

ORLANDO SIERRA / AFP
Demonstranten gegen Hernández in der Hauptstadt Tegucigalpa

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