8 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019
Meinung
Wendigkeit und Flexibilität
sind für die Karriere von
Politikern äußerst förder-
lich. Nichts ist ärgerlicher,
als wenn dem Weg nach
oben eine echte Überzeu-
gung im Wege steht. Angela
Merkel hat sehr gute Erfahrungen mit
konsequenter Flexibilität gemacht.
Sonst wäre sie weder Kanzlerin gewor-
den noch 14 Jahre lang Kanzlerin
geblieben.
Der bayerische Ministerpräsident
Markus Söder dringt in Sachen Wen-
digkeit nun in ganz neue Sphären vor.
Sogar erfahrene Yoga-Gurus können
sich mit Blick auf Söders Beweglichkeit
nur tief verbeugen. Die älteren unter
Ihnen mögen Söder noch als gröbsten
Wurzelsepp der deutschen Politik in
Erinnerung haben, der keinerlei Berüh-
rungsängste mit dem Rechtspopulis-
mus hatte. Als Mann, der Hartz-IV-
Empfängern den Urlaubsanspruch
abstritt, der das Grundrecht auf Asyl
infrage stellte und mit Blick auf Flücht-
linge von »Asyltourismus« sprach.
Wenn es darum ging, die Grenzen des
Sagbaren nach rechts zu verschieben,
war Markus Söder immer vorn dabei.
Seit einem Jahr ist nun ein neues
Mo dell auf dem Markt. Der neue Söder
tritt so nett, versöhnlich und menschen-
freundlich auf, dass sich die Schirm-
herrschaft des Evangelischen Kirchtags
zwingend aufdrängt. Wenn er nicht
aufpasst, wird Söder bald für den
Friedensnobelpreis gehandelt. Und
Greta Thunberg könnte demnächst
mit einem Strauß Blumen vor seiner
Tür stehen. Um einfach mal Danke
zu sagen.
Während der alte Söder die Grünen
»weltfremde Spinner« nannte und über
ihre Anliegen spottete, versucht sich
der neue Söder als Toni-Hofreiter-Dou-
ble. Er kümmert sich jetzt um Bienen,
will ganz fix aus der Kohle aussteigen,
Plastiktüten abschaffen, Millionen Bäu-
me pflanzen und den Klimaschutz im
Grundgesetz verankern. Söders Spiel
mit Identitäten folgt dem Motto des
Erzählers in Max Frischs Roman
»Mein Name sei Gantenbein«: »Ich
probiere Geschichten an wie Kleider.«
Vorige Woche hat Söder nun erklärt,
dass er nicht Bundeskanzler werden
wolle und eine Kanzlerkandidatur aus-
schließe. Man darf davon ausgehen,
dass er auch in dieser Frage schön fle -
xibel bleiben wird.
An dieser Stelle schreiben Markus Feldenkirchen
und Alexander Neubacher im Wechsel.
Markus FeldenkirchenDer gesunde Menschenverstand
Mein Name sei Markus
So gesehen
Gelebter
Umweltschutz
Christian Lindner versöhnt
Ökologie und Ökonomie.
Ungewohnt wenig hörte man in
letzter Zeit von Christian Lindner,
dem umtriebigen Nachwuchspartei-
chef (FDP). Jetzt weiß man: Er hat
scharf nachgedacht. Mit Erfolg –
Lindner versöhnt mit einem einzigen
Gedanken Ökologie und Ökonomie.
»Ein Diesel-SUV, das nur wenige
Kilometer genutzt wird, ist umwelt-
freundlicher als der Kleinwagen
mit hoher Fahrleistung«, sprach
Lindner jüngst in einem Interview,
und dieser bestechend logische Satz
zwingt dazu, ihn weiterzudenken.
Denn was ist noch umweltfreund -
licher als ein SUV, das nur wenige
Kilometer gefahren wird? Ein SUV,
das überhaupt nicht gefahren wird.
Das bedeutet jedoch keineswegs
die Abschaffung der SUV, ganz im
Gegenteil: Für gleichzeitige Umwelt-
und Wirtschaftsfreundlichkeit ist
es dringend notwendig, dass SUV
in großer Stückzahl weiterhin ge -
baut, verkauft – und dann aber in
der Garage gelassen werden.
Mit dieser neuartigen Ökobilanz
bedient Lindner geschickt den ideel-
len Gesamt-FDP-Wähler: Der hat
nämlich keine schnöde Kleinkarre,
sondern zwei, drei, vier Limousinen
und Cabrios in der Tiefgarage ge -
parkt. Für ihn gilt allerdings, was
man über die klischeehaft mit protzi-
gen Automobilen reichlich ausge -
statteten Hopfenbauern in der Hal-
lertau sagt: Auch der kann nur mit
einem Mercedes gleichzeitig fahren.
Das ist gelebter Umweltschutz!
Bleibt nur die Frage, warum nie-
mand vorher auf diese geniale Idee
gekommen ist. Oder vielleicht noch
eine: Was ist noch umweltfreund -
licher als eine FDP, die nur von weni-
gen gewählt wird? Stefan Kuzmany