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Parteien
»Wir erreichen die
Menschen nicht«
Bremens neuer Bürgermeister Andreas
Bovenschulte, 54 (SPD), über die Krise der
deutschen Sozialdemokratie
SPIEGEL: Herr Bovenschulte, Sie führen
das erste rot-grün-rote Bündnis im Wes-
ten. Ist das ein Modell für den Bund?
Bovenschulte: Darüber zerbreche ich
mir nicht den Kopf – mir geht es darum,
in Bremen erst einmal mit Grünen und
Linken gut zusammenzuarbeiten. Da gibt
es viel zu tun, etwa in der Bildung. Mit
der politischen Situation in Berlin ist das
nur begrenzt vergleichbar. Wenn uns die
Koalition allerdings gelingt und jemand
sagt, das ist ja vorbildlich, würde mich
das freuen.
SPIEGEL: In Bremen ist die SPD auf
knapp 25 Prozent abgerutscht, im Bund
kommt Ihre Partei nur noch auf 13 bis
14 Prozent. Warum fällt es Ihrer Partei so
schwer, die Bürger zu erreichen?
Bovenschulte: Wir befinden uns in einer
tiefen Krise. Das gilt nicht nur für die
SPD in Deutschland. In vielen Punkten
geben wir ja gute und überzeugende Ant-
worten auf die heutigen Fra-
gen. Etwa Hubertus Heil
mit seinem Rentenkonzept
oder Franziska Giffey mit
dem »Gute-Kita-Gesetz«.
Der SPD gelingt es aber
nicht, die guten Ideen
zusammenzubinden zu
einer überzeugenden
Gesamterzählung. Das ist
sicher einer der Gründe,
weshalb wir die Menschen
nicht mehr erreichen.
SPIEGEL: Liegt das nicht
auch an Streiten über die
Schuldenbremse oder Ver-
staatlichungsideen?
Bovenschulte: Das sehe ich
nicht so. Wir brauchen offe-
ne Diskussionen. Das gehört zu einer
lebendigen Partei. Konkret: In Bremen
orientieren wir uns an dem, was finan-
ziell machbar ist. Hier wird es keine neu-
en Schulden geben, darauf haben sich
alle Parteien geeinigt. Die Schuldenbrem-
se steht im Grundgesetz. Zu einer leis-
tungsfähigen Wirtschaft gehören auch
leistungsfähige öffentliche Unternehmen.
Deshalb wollen wir zum Beispiel unsere
städtischen Wohnungsbaugesellschaften
weiter stärken. Wir wollen mehr bezahl-
baren Wohnraum schaffen, anstatt ab -
strakte Diskussionen über eine Verstaatli-
chung des privaten Wohnungssektors zu
führen.
SPIEGEL: In Brandenburg und Sachsen
drohen Ihrer Partei weitere Wahlschlap-
pen. Sollte die SPD aus der Bundesregie-
rung aussteigen und sich in der Opposi -
tion neu sammeln?
Bovenschulte: Eine Koalition aufzu -
kündigen, weil die Umfragewerte nicht
stimmen, wäre unseriös. Das würde der
SPD kein bisschen helfen. Entscheidend
ist die Frage, ob es für die Zukunft noch
genügend gemeinsame Projekte in der
Bundesregierung gibt, die das Leben der
Menschen verbessern. Wenn das nicht
mehr der Fall ist, sollte die SPD die
Regierung verlassen. GUD
AfD
Identitäre
Wahlkampfhilfe
Die AfD Brandenburg verkauft ihre
Werbemittel mithilfe einer Website, die
zum Umfeld der rechtsextremen »Iden -
titären Bewegung« (IB) gezählt wird.
Dabei steht die IB auf der »Unvereinbar-
keitsliste« der AfD, auf der die Partei
Organisationen auflistet, mit denen
nicht zusammengearbeitet werden darf.
Wer auf einer vom Landesverband für
den Wahlkampf aufgebauten Internet-
seite Kugelschreiber oder Schlüsselbän-
der mit AfD-Aufdruck bestellen möch-
te, landet beim Onlineshop des Arcadi-
Verlags. Der Verlag gibt ein Magazin
heraus, das vom Verein »Ein Prozent«
unterstützt wird. Dieser wiederum sam-
melt auch Geld für die IB und verkauft
das Arcadi-Magazin auf seiner Website.
Funktionäre der IB schreiben zudem
Artikel für das Magazin oder treten bei
dessen Veranstaltungen auf. »Arcadi ist
das identitäre Lifestyle-Magazin im
Mediensystem der Neuen Rechten«,
sagt Politikberater Johannes Hillje. »Es
ist der Versuch, eine neue hippe rechts-
radikale Jugendkultur zu etablieren.«
Die AfD Brandenburg war sich des Pro-
blems offenbar bewusst und schreibt
auf ihrer Seite: »Wir distanzieren uns
ausdrücklich von allen Inhalten aller
gelinkten Seiten.« Ein Sprecher teilte
auf Anfrage mit: »Eine ›enge Vernet-
zung‹ des Arcadi-Magazins mit der IB
ist uns nicht bekannt.« Der Betreiber
sei Mitglied des AfD-Kreisvorstands
Leverkusen. »Über Geschäftsbezie -
hungen des Magazins können wir als
AfD-Brandenburg keine Aussagen
treffen.« Arcadi will nicht beantworten,
was sie mit den AfD-Artikeln verdie-
nen. Die Redaktion behauptet zudem,
es bestehe keine Zusammenarbeit
mit der IB, jedoch »mit ›Ein Prozent‹
verbindet uns eine kooperative Zusam-
menarbeit«. AKM
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
Cybersicherheit
Zu nah an Russland
Der Präsident des Bundesamts für
Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI), Arne Schönbohm, geht auf Distanz
zu einem Verein, den er einst selbst mit -
gegründet und lange geleitet hat: dem
Cyber-Sicherheitsrat Deutschland. Den
Mitarbeitern seiner Behörde hat der
oberste IT-Sicherheitshüter des Landes
die Weisung erteilt, nicht mehr gemein-
sam mit Vertretern des Rats aufzutreten.
Grund ist die Russlandnähe des aktuellen
Vereinsvorsitzenden Hans-Wilhelm Dünn.
Im April hatte dieser gemeinsam mit
einem ehemaligen ranghohen russischen
Geheimdienstoffizier ein Memorandum
zur IT-Sicherheit unterschrieben. Dünn
bestätigt auf Anfrage, dass das BSI seinen
Verein im Juli von künftigen Treffen im
Rahmen der »Allianz für Cybersicherheit«
ausgeladen habe. Den Vorwurf, er habe
fragwürdige Russlandkontakte, weist der
Vorsitzende zurück: »Wir sind darauf
angewiesen, internationale Dialogstränge
zu allen relevanten Akteuren zu halten.
Relevante Akteure sind auch Geheim-
dienste oder Organisationen mit ehema -
ligen Geheimdienstangehörigen.« Bei
den Mitgliedern des Rats, zu denen be -
kannte Dax-Konzerne wie die Deutsche
Post und Bayer, aber auch mehrere Bun-
desländer gehören, sorgt das Memoran-
dum für Irritation. Wie der Vereinvorsit-
zende einräumt, hätten »zwei ordentliche
Mitglieder und ein behördliches assoziier-
tes Mitglied« ihren Austritt erklärt. Der
Vorstand des Bundes der Deutschen
Kriminalbeamten will bei seiner nächsten
Sitzung entscheiden, ob er den Verein
verlässt. ROM, WOW
TRISTAN VANKANN / DER SPIEGEL
Bovenschulte