Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1
Düzgün ihre ersten Texte, erst auf Eng-
lisch, dann auf Deutsch. Inspiriert waren
die auch von der Rockband Ton Steine
Scherben, den linksradikalen Helden der
Anarchos und Kiffer in den besetzten Häu-
sern und Jugendzentren der alten Bundes-
republik, von ihrem Sänger Rio Reiser, des-
sen Ehrlichkeit ihr gefallen habe: »Ohne
viel zu flexen, ohne viel Drumherum.«
Ihre ersten Auftritte hatte Ebru Düzgün
um den Münchner Hauptbahnhof herum.
In der Straßenbahn, in Hotellobbys, Wasch -
salons und Supermärkten. Waren das Gue-
rillagigs? »Nein, ich habe vorher im Super-
markt gefragt.«
Das Gefühl, Dank dafür zu empfinden,
in Deutschland sein zu dürfen, dadurch
möglichst fleißig und höflich sein zu müs-
sen, habe sie als »dritte Generation« ge-
erbt, meint sie: »Das spiegelt sich in der
Art und Weise wider, wie wir reden, wie
wir gehen, wie wir Platz machen.« Doch
sie kämpfe mehr und mehr gegen den Ge-
danken an. »Ich bin in Deutschland gebo-
ren, aufgewachsen. Ich bin deutsch.« Es
klingt ein wenig, als müsste sie sich selbst
kurz rückversichern. Doch dann sagt sie:
»I own this genauso wie ein Jürgen.«
»In mir drin stecken Tausende Leben«,
rappt Ebow im Titelsong »K4L«. »Hab Flu-
re geputzt, Häuser gebaut / Wurde ausge-
nutzt, wurde ausgesaugt«. Es klingt wie ein
Chor der namenlosen Gastarbeiter, eine
Klage derer, die ihren Beitrag zur Erfolgs-
geschichte der Bundesrepublik geleistet ha-
ben – um dann ausgegrenzt zu werden.
Der Schmerz durchzieht »K4L« wie der
Stolz. Aber es geht nicht bloß ums Politische,
es geht auch ums Private, um die Liebe, die
Eifersucht und den Rausch, um die Feier des
Andersseins – aus der Perspektive einer Post-
migrantin, aber auch aus Sicht der Musikerin
in einer von Männern bestimmten Szene.
Düzgün geht es auf dem Album auch
darum, eine sexistische Erzähltradition im
Hip-Hop zu durchbrechen – in aller Dras-
tik: »Schmeck mein Blut, Junge / Jeden
Tropfen meiner Wut / Ertrink in meiner
Flut«, rappt sie. Und, in einem anderen
Track: »Zu viele weiße reiche Jungs im
Rap / Als wär’s ein fucking Golfclubtreff.«
Ihre Solidarität gilt ihren Kolleginnen: »Ich
streit’ mit keiner Sis, die im Biz ist.« Viel-
leicht auch eine Geste der Höflichkeit.
So wütend Ebru Düzgün als Rapperin
ist, so höflich und hilfsbereit ist sie, wenn
man ihr persönlich begegnet. Und womög-
lich hat das eine mit dem anderen durch-
aus zu tun. Jurek Skrobala
Twitter: @skrobala

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NATHAN MURRELL / DER SPIEGEL

Musikerin Düzgün: »Zu viele weiße reiche Jungs im Rap«


Video
So klingt Ebow

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