A
m vergangenen Sonntagabend
kommt beim Außenminister eine
kleine, höchst vertrauliche Runde
zusammen. Es ist deutlich nach
20 Uhr, die Republik sitzt vor dem »Poli-
zeiruf«, als Heiko Maas bei sich zu Hause
in Berlin zwei Parteifreunde empfängt:
Arbeitsminister Hubertus Heil und Olaf
Scholz, Vizekanzler und Finanzminister.
Die drei haben etwas zu besprechen.
Es geht darum, wer von ihnen eine der
undankbarsten Aufgaben übernimmt, die
es in der deutschen Politik derzeit gibt:
sich um den Vorsitz der SPD zu bewerben.
Auf alle drei, Maas, Heil und Scholz, ist in
den Tagen zuvor der Druck gewachsen.
Die Frist, in der Kandidaten ihren Hut in
den Ring werfen können, läuft am 1. Sep-
tember ab. Und es fehlt noch eine be-
stimmte Sorte Bewerber.
In den ersten Wochen traten vor allem
Leicht- und Mittelgewichte auf die Bühne,
um sich als Einzelkandidat oder als künf-
tige Doppelspitze anzubieten. Aus der ers-
ten Reihe der Partei hat bis zu diesem Zeit-
punkt niemand den Finger gehoben, im
Gegenteil: Diverse Spitzengenossen nah-
men sich gleich zu Beginn präventiv aus
dem Spiel. Nun, wenige Wochen vor Ende
der Frist, wächst an der Parteispitze die
Sorge: Man könne doch das Feld nicht
komplett der zweiten, dritten und vierten
Reihe überlassen. Einer von den Profis
müsse ran. Das ist die Aufgabe, vor der
Maas, Heil und Scholz am Sonntagabend
stehen.
Sie finden eine Lösung. Am frühen
Montagmorgen wählt sich Scholz noch vor
neun Uhr in eine Telefonschalte mit den
drei kommissarischen Parteichefs ein, Ma-
nuela Schwesig, Malu Dreyer und Thors-
ten Schäfer-Gümbel. Er sagt: »Ich bin be-
reit anzutreten, wenn ihr das wollt.« Es
regt sich kein Widerspruch, damit steht
der Plan. Es wird Stillschweigen verein-
bart, doch in allerhöchsten Parteikreisen
wird bestätigt: Scholz sei fest entschlossen.
Er wolle antreten.
Mit wem? Er hat keine Partnerin, die
sich mit ihm als Doppelspitze bewerben
würde. Aber sein Plan steht. Und noch
sind ja mehr als zwei Wochen Zeit.
Ausgerechnet Olaf Scholz! Es ist gerade
gut zwei Monate her, da galt er politisch
als erledigt, als Untoter auf der Regierungs-
bank. Anfang Juni zog seine Vertraute An-
drea Nahles sich nach verheerenden Wahl-
ergebnissen und heftiger interner Kritik
als Partei- und Fraktionschefin zurück –
und Scholz, unter Parteifunktionären noto -
risch unbeliebt, wirkte wie ein Vizekanzler
auf Abruf. Doch nun wagt er ein Manöver,
mit dem kaum jemand noch gerechnet hät-
te. Das Rennen um den Parteivorsitz, das
bislang schleppend verlief, fängt jetzt erst
richtig an.
Gewagt, das ist das Mindeste, was sich
über Scholz’ Vorstoß sagen lässt. Das liegt
nicht nur an seinen schlechten Wahlergeb-
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 19
FILIP SINGER / EPA-EFE / REX
Sozialdemokrat Scholz: Vor gut zwei Monaten galt er politisch als erledigt
»Ich bin bereit anzutreten«
SPDWochenlang hat sich die erste Reihe der Partei vor einer Kandidatur für den Vorsitz gedrückt.
Nun prescht einer vor, mit dem niemand mehr gerechnet hat: Finanzminister Olaf Scholz.