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hristopher Rother ist wieder da, der
Schrecken der Konzerne. Einige
Monate war es still geworden um
den Anwalt, der 2016 für die US-Kanzlei
Hausfeld ein Büro in Berlin eröffnet hatte,
um auch in Deutschland Massenklagen zu
ermöglichen. Er wollte ein lukratives Ge-
schäft daraus machen, geschädigte Ver-
braucher gegen Unternehmen aufzurüsten.
Erster Gegner: der Volkswagen-Konzern,
der in Deutschland 2,4 Millionen Autofah-
rern Fahrzeuge mit dem manipulierten
Dieselmotor EA189 verkauft hatte.
Im Januar verließ Rother die Kanzlei.
VW stellt die Rechtmäßigkeit der von
ihm unterstützten VW-Klägerplatt-
form »myRight« infrage. Ehe my-
Right-Kunden ihre Ansprüche ge-
gen VW geltend machen können,
müssen Gerichte diese Grundsatz-
frage klären.
Rother, 55, versucht derweil
einen neuen Anlauf. Er hat den
Prozessfinanzierer Profin gegrün-
det, und wieder geht es zunächst
gegen VW: Über einen Londoner
Private-Equity-Fonds hat Rother
einen dreistelligen Millionenbetrag
gesammelt, um Klagen gegen den
Konzern zu finanzieren. »VW
macht es sich zunutze, dass für Ver-
braucher in Deutschland die hohen
Prozesskosten und -risiken häufig
außer Verhältnis zu dem Schadens-
ersatz stehen, der ihnen am Ende
zusteht«, sagt Rother.
Sein Vorstoß zeigt, wie Anwälte
und eine zunehmend amerikanisch
geprägte Klageindustrie Rechts-
streitigkeiten zwischen Konzernen
und Verbrauchern zum Geschäft
machen. Das wiederum ist ein In-
diz dafür, wie schwer es für Ver-
braucher in Deutschland immer
noch ist, Ansprüche gegen Unter-
nehmen durchzusetzen.
Dabei sollte der 30. September der
Tag sein, an dem alles anders wird. Dann
wird vor dem Oberlandesgericht (OLG)
Braunschweig erstmals die Musterfest -
stellungsklage des Verbraucherzentrale
Bundesverbands (vzbv) verhandelt. Rund
430 000 VW-Kunden haben sich in das
Klageregister eingetragen.
Gibt das Gericht dem vzbv recht, sollen
alle davon profitieren. Aber so einfach ist
es nicht. Jeder Kläger muss seinen indivi-
duellen Schadensersatzanspruch anschlie-
ßend selbst gerichtlich durchsetzen.
Einige Verbraucheranwälte trommeln
dafür, sich von der Musterklage abzumel-
den und die Ansprüche allein durchzuset-
zen. Doch das kann sich nur leisten, wer
eine Rechtschutzversicherung oder genug
Geld hat, um die Kosten eines solchen Ver-
fahrens zu tragen. Die können sich Anwäl-
ten zufolge leicht auf 15 000 Euro oder
mehr belaufen.
Nicht nur Profin, auch andere Prozess-
finanzierer dienen sich deshalb bei Diesel-
anwälten an, um Klagen gegen teils hohe
Gebühren zu finanzieren. Das ungewöhn-
liche an Rothers Modell ist, dass dahinter
angelsächsische Großinvestoren stehen –
Pensionsfonds, Versicherungen, vermö-
gende Privatleute –, die ihr Geld in einen
steueroptimal in Irland aufgesetzten Fonds
stecken, von wo Profin die Mittel abruft.
Profin und die Investoren sollen bis zu
25 Prozent des erstrittenen Schadensersat-
zes bekommen, dafür übernehmen sie das
Risiko, dass der Prozess verloren geht.
Risiko? Das scheuen Finanzinvestoren
eigentlich. Sie bevorzugen Geschäfte, die
einen gut planbaren Gewinn abwerfen.
Wie passt das ausgerechnet zu Gerichts-
verfahren von Kleinkunden?
Rother und seine Partnerkanzleien ha-
ben Tausende Urteile ausgewertet, die
Richter an den mehr als hundert deutschen
Landgerichten zu Streitfällen zwischen
Autofahrern und VW bereits gefällt haben.
Sie belegen, dass bei etwa der Hälfte der
Gerichte die Erfolgswahrscheinlichkeit für
die Kläger bei mehr als 50 Prozent liegt.
Richter in Heilbronn, Offenburg oder
Arnsberg etwa haben bislang fast aus-
schließlich zugunsten der VW-Opfer ent-
schieden. Und genau da hilft Profin gern.
In Braunschweig, nahe der VW-Heimat
Wolfsburg, gewinnt dagegen stets der
Konzern, wie auch in Hagen oder Rottweil.
Wer vor diese Gerichte zieht, wird von
Profin kaum Geld bekommen. Und je
geringer die statistische Erfolgschance ist,
desto höher die Gebühren für Profin.
Bei Niederlagen vor den Landgerichten
ruft VW in der Regel die nächsthöhere
Instanz an, also ein Oberlandesgericht.
Kurz bevor es dort zur Verhandlung
kommt, vergleicht sich VW zumeist. Auch
zu den Vergleichssummen haben Profin
und Partnerkanzleien Daten ge-
sammelt, um die Prozessrisiken ab-
schätzen zu können.
»Das Modell von Prozessfinan-
zierern wie Profin kann sinnvoll
sein, aber es kommt in jedem ein-
zelnen Fall darauf an, was für den
Kläger übrig bleibt«, sagt Rechts-
anwalt Ralph Sauer von der Kanz-
lei Dr. Stoll & Sauer, die unter an-
derem den vzbv vertritt.
Sauer rechnet vor, dass Kunden,
die ihr Auto zurückgeben, den
Kaufpreis abzüglich einer Nut-
zungsentschädigung erhalten, zu-
züglich Zinsen für jedes Jahr seit
dem Erwerb. Erhalte man so bei-
spielsweise 14 200 Euro Entschä -
digung und zahle 20 Prozent Ge-
bühr an den Prozessfinanzierer,
blieben 11 360 Euro. Wer so viel mit
dem Verkauf seines Autos selbst er-
zielen kann, für den lohnt sich ein
fremdfinanzierter Prozess nicht.
Profin-Gründer Rother hofft, bis
zu 30 000 Kläger zu gewinnen.
Geht seine Rechnung auf, will er
sich auch andere Konzerne vor-
knöpfen. Wenn die Rechtslage
bleibt, wie sie ist, dürften andere
seinem Beispiel folgen. »Die gro-
ßen amerikanischen Prozessfinanzierer ha-
ben den deutschen Markt für sich ent-
deckt«, sagt Rother. Er jedenfalls ist schon
da. Martin Hesse
Mail: [email protected]
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Wirtschaft
Wieder
gegen VW
DieselaffäreAutobesitzern, die
auf Schadensersatz klagen,
sind Prozesse oft zu teuer. Aus
dieser Not wollen Finanz -
investoren Kapital schlagen.
GORDON WELTERS / DER SPIEGEL
Rechtsanwalt Rother
»Es kommt in jedem
einzelnen Fall darauf
an, was für den
Kläger übrig bleibt.«