FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport DIENSTAG, 27. AUGUST 2019·NR. 198·SEITE 27
A
ls sich der Schweizer Martin Fuchs
nach der ersten von fünf schweren
Runden auf Platz 20 wiederfand, glaub-
te er nicht mehr, dass er noch Europa-
meister würde werden können Aber an
eine Medaille glaubte er. Dafür spra-
chen die Eigenschaften seines westfäli-
schen Schimmelhengstes Clooney. „Er
wird von Runde zu Runde besser. Das ist
eine seiner Qualitäten.“ Ihm war klar,
dass die Parcours in Rotterdam die Pfer-
de und Reiter bis zum Sonntag in jeder
Beziehung prüfen würden: die techni-
sche Flexibilität, das Springvermögen
und die Kondition. Im Lauf der Woche
wurde es immer heißer an der niederlän-
dischen Küste – Clooney aber bewies
auch in der letzten Runde noch Power
und Konzentration. Das lässt weitrei-
chende Schlüsse zu. Wenn Clooney ge-
sund bleibt, könnte der 27 Jahre alte
Schweizer nächstes Jahr als einer der Fa-
voriten zu den Olympischen Spielen in
Tokio fahren, wo die extrem feuchte Hit-
ze noch ganz anders an den Kräften der
Pferde zehren wird.
Dass der Engländer Ben Maher, sein
Teamkollege in der Global Champions
League, mit seinem kraftvollen Wallach
Explosion im letzten Moment noch pat-
zen würde, hätte Fuchs nicht gedacht.
Auch Explosion ist ein Typ mit schier un-
erschöpflichem Kraftreservoir. Doch als
der sich – unter Druck offenbar nervös
geworden – kurz vor Schluss an einem
überbauten Wassergraben in der Di-
stanz verschätzte, war es passiert. End-
lich mal Erster nach zweiten Plätzen bei
den Weltreiterspielen in Tryon im ver-
gangenen Jahr und beim Weltcup-Fina-
le im Frühjahr in Göteborg. Bei der Sie-
gerehrung flossen dem Schweizer Trä-
nen der Rührung. Vielleicht dachte er
an seinen Patenonkel, in der Schweiz
Götti genannt. Der im Januar des vergan-
genen Jahres schon mit 64 Jahren gestor-
bene Willi Melliger war bisher der einzi-
ge eidgenössische Europameister im
Springreiten, er siegte 1993 in Gijon.
Martin Fuchs ist Spross einer ganzen
Reitsport-Dynastie. Sein Vater Thomas
Fuchs war internationaler Top-Spring-
reiter und ist technischer Nationaltrai-
ner – auch in Rotterdam betreute er die
Schweizer Equipe. Auch Onkel Markus
Fuchs war auf Championaten erfolg-
reich. Das ist typisch für diesen Sport, in
dem manche Namen immer wieder neu
in den Ergebnislisten auftauchen. Sein
Freund und Teamkollege Steve Guerdat
etwa, Olympiasieger von 2012 und in
Rotterdam nicht so glücklich unterwegs
wie Fuchs, hat in Philippe Guerdat solch
einen Über-Vater. Aber Sohn Fuchs hat
sich emanzipiert: Seine Freundin Paris
Sellon, deren Eltern in der amerikani-
schen Filmbranche bedeutende Räder
drehen, erweitert ohnehin seinen Hori-
zont. In Wellington haben die beiden
ihre Winterresidenz.
Schon vor neun Jahren hat der junge
Fuchs seinen ersten großen Titel gewon-
nen: bei den ersten Olympischen Jugend-
spielen in Singapur. In die Weltspitze –
er ist Vierter der aktuellen Weltrangliste
- katapultierte ihn dann vor allem der
nun dreizehnjährige Clooney. Schon mit
acht Jahren hatte der ihn zur Schweizer
Meisterschaft getragen.
Nur einmal hat der Hengst ihn im
Stich gelassen: Vor zwei Jahren strebte
das Pferd im Stechen des Großen Prei-
ses von Aachen lieber dem Ausgang zu,
als ihn zum Sieg zu tragen. Das sei eine
lehrreiche Erfahrung gewesen, sagte
Fuchs jetzt in Rotterdam. Im vergange-
nen Jahr bekam er große Angst um sein
Pferd, das fast an einer Kolik gestorben
wäre. Das brachte die beiden nur noch
näher zusammen. Fuchs rechnet damit,
nie wieder ein so phantastisches Pferd
zu finden. Wenn er nicht so jung wäre,
sagt Fuchs deshalb, würde er in ein paar
Jahren mit Clooney seine Karriere been-
den. oni.
Chemnitz erstattet Anzeige
Nach dem Fan-Eklat im Auswärtsspiel
beim FC Bayern München II haben die
Verantwortlichen des Chemnitzer FC
am Montag Anzeige bei der Polizei er-
stattet. Anhänger des sächsischen Fuß-
ball-Drittligaklubs hatten nach Anga-
ben des Vereins Geschäftsführer Tho-
mas Sobotzik am Samstag als „Juden-
sau“ beschimpft. Darüber hinaus sei es
zu weiteren rassistischen Beleidigungen
und Bedrohungen gegenüber Chemnit-
zer Verantwortlichen und Spielern ge-
kommen. (dpa)
Dutt entlassen
Der Fußball-Zweitligaklub VfL Bochum
hat sich am Montag von Trainer Robin
Dutt getrennt. Der VfL liegt nach vier
Spielen und nur zwei Punkten hinter
den Erwartungen zurück. Obwohl sein
Team am Samstag nach einem 0:3-Rück-
stand gegen Wehen Wiesbaden noch ein
3:3 erkämpfte, hatte Dutt sich anschlie-
ßend selbst in Frage gestellt und ein Ge-
spräch mit Sportvorstand Sebastian
Schindzielorz angekündigt. (dpa)
Überraschung gegen Russland
Den deutschen Volleyballfrauen ist bei
der EM eine große Überraschung gelun-
gen. Das Team von Bundestrainer Felix
Koslowski schlug Mitfavorit Russland
3:2 (18:25, 25:21, 25:23, 14:25, 15:11)
und errang damit bereits den dritten
Sieg im dritten Spiel, was die Führung
in der Vorrundengruppe D bedeutete.
Am Dienstag steht das Spiel gegen die
Slowakei an, am Mittwoch bildet die Par-
tie gegen Weißrussland (beide 20 Uhr/
Sport1) den Abschluss der Gruppenpha-
se. Die besten vier Teams der vier Sech-
sergruppen ziehen ins Achtelfinale ein.
Dort geht es in Überkreuzduellen gegen
die Gruppe B. (sid.)
Schuster trainiert Aue
Dirk Schuster wird neuer Trainer von
Erzgebirge Aue. Der 51-Jährige wurde
im Februar bei Darmstadt 98 freige-
stellt. Der Fußball-Zweitligaverein hatte
sich vor einer Woche völlig überra-
schend von Trainer Daniel Meyer ge-
trennt. (sid)
Jatta: Nächster Einspruch
Der Fußball-Zweitligaklub Karlsruher
SC hat wegen des Einsatzes von HSV-
Spieler Bakery Jatta Einspruch gegen
die Wertung der 2:4-Niederlage gegen
den Hamburger SV eingelegt. Der Ein-
spruch „erfolgt im Hinblick auf die nach
wie vor ungeklärte Situation um die
Spielberechtigung des HSV-Spielers Ba-
kery Jatta“, hieß es in einer Vereinsmit-
teilung. Zuvor hatten bereits Nürnberg
und Bochum protestiert. (dpa)
In Kürze
PERSÖNLICH
Der junge Fuchs
Der neueEuropameister der Springreiter tut es dem Götti nach
EUROSPORT1:5 Uhr: Tennis, US Open in New
York, erster Tag. 12 Uhr: Judo, Weltmeisterschaf-
ten in Tokio/Japan, dritter Tag. 15 Uhr: Rad, Spa-
nien-Rundfahrt, vierte Etappe von Cullera nach
El Puig. 18.05 Uhr: Tennis, US Open in New York,
zweiter Tag.
SPORT1:19.55 Uhr: Volleyball, Europameister-
schaft der Damen in Bratislava/Slowakei, Grup-
pe D: Deutschland – Slowakei.
D
ie ersten mutigen Rechenspiele
werden schon bemüht. Sie bein-
halten eine Mischung aus fri-
schem Selbstvertrauen und der
Gefahr von Hochmut. Was passiert ei-
gentlich, wenn der VfL Wolfsburg am
Samstag auch noch den SC Paderborn be-
siegt? „Da zählt nur eins. Ein Sieg“, fin-
det Torjäger Wout Weghorst mit Blick
auf die nächste Partie. Im DFB-Pokal die
zweite Runde erreicht, die ersten beiden
Spiele der Fußball-Bundesliga gewonnen
- so etwas darf man im Ansatz als einen
gelungenen Start in die Saison 2019/20
bezeichnen. Die Wolfsburger hören in
dieser Saison auf ein neues Kommando
mit klaren und doch dezenten Tönen.
„Mit den Ergebnissen bin ich bisher sehr
zufrieden. Aber auf uns wartet noch viel
Arbeit“, sagt der debütierende Cheftrai-
ner Oliver Glasner.
Für einen Freudentaumel ist es natür-
lich noch viel zu früh. Der 3:0-Erfolg bei
Hertha BSC Berlin, den die Niedersach-
sen am Sonntagabend bejubeln durften,
fällt gar nicht unter die Rubrik Glanztat.
„Das war nicht unser bestes Spiel. Aber
das war ein perfekter Abend für uns“, sag-
te Mannschaftskapitän Joshua Guilavo-
gui. Seine Teamkollegen Weghorst (9. Mi-
nute per Foulelfmeter), Josip Brekalo
(82.) und Jérôme Roussillon (90.) erziel-
ten die Tore in einer Begegnung, die hart
umkämpft und nicht immer schön anzu-
sehen war. Aber bei den Berlinern ohne
Gegentreffer in dieser Höhe zu siegen ist
eine starke Leistung. „Das Ergebnis ist
vielleicht ein bisschen übertrieben. So
einfach war es natürlich nicht“, so VfL-
Torhüter Koen Casteels. Aber der Ein-
satzwillen und die Zielstrebigkeit der
Wolfsburger Mannschaft überraschten
abermals.
Mit der Verpflichtung von Glasner, der
den in der vergangenen Saison sehr er-
folgreichen Bruno Labbadia als Trainer
ablösen durfte, haben neue Denkmuster
Einzug gehalten. Aktiver, mutiger, ag-
gressiver: So sollen die Wolfsburger Pro-
fis in die eine Richtung agieren. Und in
der Defensive bildet Guilavogui den zen-
tralen Part einer Dreier-Abwehrkette mit
hünenhaftem Personal. Hinten stabil,
vorne flexibel: Das klingt auf den ersten
Blick nicht nach einer bahnbrechend neu-
en Spielstrategie. Aber der feine Unter-
schied zur vergangenen Saison besteht
darin, dass die Wolfsburger Taktik klar
zu erkennen ist und die Profis offenbar
keine lange Anlaufzeit benötigen, sie um-
zusetzen.
Schon beim 2:1-Heimsieg in der Vor-
woche gegen den 1. FC Köln war eine im-
posante Mixtur aus Stabilität und An-
griffslust zu beobachten. Deshalb ist es
gar nicht so vermessen, darüber nachzu-
denken, ob es im Duell mit dem nächsten
Aufsteiger namens SC Paderborn nicht
auch gelingen könnte, einen weiteren Er-
folg zu erringen. Glasner ist dafür geholt
worden, dass der VfL Wolfsburg seinen
nächsten Entwicklungsschritt schafft.
Neun Punkte nach drei Spieltagen wären
ein großer Schritt in die gewünschte Rich-
tung.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist
Glasner ein sehr freundlicher und feinsin-
niger Mensch. Der Österreicher klingt
charmant, wenn er seine Idee vom idea-
len Pressing und Gegenpressing erklärt.
In der Umkleidekabine hören sich seine
Vorgaben offenbar deutlicher und auch
ein wenig lauter an. Glasner achtet auf je-
des Detail, verlangt volle Aufmerksam-
keit von seinen Spielern, ohne zu stark
zu bevormunden. „Der wichtigste Hebel
ist, dass man als Mannschaft auf dem
Platz alles zusammen angeht. Und den
setzt Oliver Glasner im direkten Aus-
tausch mit den Spielern an“, sagt der
Wolfsburger Sportdirektor Marcel Schä-
fer. Ihm ist nicht entgangen, dass der
neue Cheftrainer während des Trainings
immer wieder auf die Pause-Taste drückt
und Übungsformen unterbricht, um sei-
ne Sicht der Dinge auf die grundlegen-
den Spielzüge zu erklären. Was Glasner
anspricht, wird offenbar schnell verstan-
den und sogar umgesetzt. Seine Art der
Kommunikation dringt in die Köpfe ei-
ner mit Profis aus aller Welt bestückten
Mannschaft ein.
Der Vergleich zu früheren Höhenflü-
gen drängt sich auf. Zehn Jahre ist es her,
dass der VfL Wolfsburg den FC Bayern
München grundlegend ausgetrickst hat
und sogar deutscher Meister geworden
ist. Unter dem strengen Regiment des da-
maligen Trainers, Sportdirektors und Ge-
schäftsführers Felix Magath musste ex-
trem viel gekämpft und gerannt werden.
Letzteres verlangt auch Glasner vehe-
ment. Sein System setzt neben Spiel-
intelligenz eine hohe Laufbereitschaft
voraus. Zwei der letzten Wolfsburger Vor-
bereitungsspiele waren statt der üblichen
90 auf 120 Minuten verlängert worden.
Laut gemosert hat darüber niemand. Die
Mehrheit der VfL-Spieler hat erstaunlich
schnell verinnerlicht, dass es sich lohnen
könnte, für diesen Trainer und seine of-
fensive Spielidee mehr zu rennen als
bisher.
Fußball,zweite Bundesliga, 4. Spieltag: FC
St. Pauli – Holstein Kiel 2:1.
Dritte Liga, 6. Spieltag: FSV Zwickau – 1. FC
Kaiserslautern 3:5.
Serie A, Italien, 1. Spieltag: Inter Mailand – US
Lecce 4:0
Rad,Vuelta á España in Torrevieja Männer
(3290,70 km) 3. Etappe Ibi – Alicante (188,00
km): 1. Bennett (Irland) – Bora-hansgrohe
4:25:02 Std., 2. Theuns (Belgien) – Trek – Sega-
fredo + 0 Sek., 3. Mezgec (Slowenien) – Mit-
chelton-Scott; – Gesamtwertung: 1. Roche (Ir-
land) – Team Sunweb 9:51:14 Std., 2. Quinta-
na (Kolumbien) – Movistar Team + 2 Sek., 3.
Urán (Kolumbien) – EF Education First + 8.
Tennis,Grand Slam/ATP-Tour, US Open in
New York (57,239 Mio. Dollar) Herren, Einzel
- Runde: Djokovic (Serbien) – Baena (Spa-
nien) 6:4, 6:1, 6:4, Medwedew (Russland) –
Gunneswaran (Indien) 6:4, 6:1, 6:2.
Damen: Mladenovic (Frankreich) – Kerber
(Kiel) 7:5, 0:6, 6:4.
Volleyball,EM, Frauen, Vorrunde, Gruppe D
in Bratislava: Deutschland – Russland 3:2.
Der Wolfsburger Weg
Ein Springreiter im Glück:
MartinFuchswird mit Clooney
endlich mal Erster. Foto Epa
Sport live im Fernsehen
HAMBURG(dpa). Dem FC St. Pauli
ist zum Abschluss des vierten Spieltags
der erhoffte Befreiungsschlag in der
zweiten Fußball-Bundesliga gelungen.
Die Kicker aus der Hansestadt gewan-
nen am Montagabend vor 29 546 Zu-
schauern durch die Treffer von Neuzu-
gang James Lawrence (49. Minute)
und Christian Conteh (66.) 2:1 gegen
Holstein Kiel und verließen damit die
Abstiegsränge. Makana Bakus Treffer
(81.) reichte den Kielern nicht.
ad./chwb.FRANKFURT.Kuala Lumpur,
Warschau, Wien, Moskau, Gstaad und
Rom. Sechs Turniere, bei denen die Beach-
volleyballerinnen Kim Behrens und Cinja
Tillmann hätten spielen wollen, aber
nicht spielen durften. Weswegen ihnen
mindestens 25 000 Dollar entgangen sei-
en, wie ihr Trainer Hans Voigt meint.
25 000 Dollar Einnahmen, wenn Behrens/
Tillmann hätten spielen dürfen, selbst
wenn sie kein Spiel gewonnen hätten. Wes-
halb sie es jetzt auf einen Rechtsstreit mit
dem Deutschen Volleyball-Verband
(DVV) ankommen lassen wollten, sagt ihr
Düsseldorfer Anwalt Paul Lambertz.
Denn der DVV hat jenen Teams den
Vorzug gegeben, denen mit Blick auf die
Olympischen Spiele 2020 mehr zugetraut
wird als Behrens/Tillmann. Vier Doppel
werden als Nationalteams geführt, der Ver-
band schützt ihr Startrecht bei den besten
Turnieren, obwohl Behrens/Tillmann
noch im Juni im Weltcup-Ranking teilwei-
se besser plaziert waren. Dem DVV ist am
Montag ein Schreiben von Lambertz zuge-
gangen, in dem es heißt, der Verband füh-
re „das Besten-Prinzip, welches dem Leis-
tungssport immanent ist, ad absurdum“.
Denn spielen darf nur, wen der DVV mel-
det. Und Behrens/Tillmann werden nicht
gemeldet. Oder ihre Meldung wird, wie
für das World Tour Final in Rom, vom Ver-
band zurückgezogen. „Mein Job ist es, den
Erfolg bei Olympischen Spielen abzusi-
chern“, hatte DVV-Sportdirektor Niclas
Hildebrand im Juli der „Süddeutschen Zei-
tung“ gesagt, „weil daran staatliche För-
dergelder gebunden sind, die für unseren
Verband überlebenswichtig sind.“ Dafür
müsse er nicht der fairste Sportdirektor
sein. Lambertz macht einen Verstoß ge-
gen das Kartellrecht geltend, der Verband
behandele gleichartige Unternehmen, die
Beachvolleyball-Paare, ohne sachlichen
Grund unterschiedlich und mache seinen
Mandantinnen die Berufsausübung un-
möglich. Er werde ihnen, sollte der DVV
seine Praxis nicht ändern, raten, das Bun-
deskartellamt einzuschalten und Schaden-
ersatz zu fordern.
Trainer Voigt, der Julius Brink und Jo-
nas Reckermann, Olympiasieger von
2012, trainiert hatte und später auch Lau-
ra Ludwig und Kira Walkenhorst, sagt, es
gehe darum, am Beispiel seiner heutigen
Spielerinnen zu zeigen, dass die Beschnei-
dung der sportlichen Chancen durch den
Verband nicht in Ordnung sei. „Das ist die
Sicht vieler Spitzenspieler, die aufgrund
dieser Festlegungen ihre Karrieren aufge-
geben haben“, sagt Voigt. Erst vor zwei
Jahren hatten die Querelen um Karla Bor-
ger und Margareta Kozuch die Szene aufge-
wirbelt. Dem Team hatte der Verband vor-
schreiben wollen, dass es am Stützpunkt
in Hamburg trainieren sollte, was Borger/
Kozuch ebenso verweigerten wie Chantal
Laboureur und Julia Sude, die sich in Süd-
deutschland eingerichtet hatten. In beiden
Fällen setzten die Sportlerinnen letztlich
ihren Willen durch, der ständige Klein-
krieg hatte aber Energie gekostet. Dass
die Einschätzungen der Verbandsspitze
konträr zur Realität laufen, zeigte 2017
auch die Europameisterschaft, bei der es
die bislang letzte Goldmedaille für ein
deutsches Frauenteam zu gewinnen gab –
durch die „Falschen“: Nadja Glenzke und
Julia Großner hatten zuvor schon die Mit-
teilung bekommen, dass sie ein Team
ohne Zukunft seien. Das hinderte sie
nicht daran, die damals frischgekürten,
freilich etwas überspielten Weltmeisterin-
nen Ludwig/Walkenhorst im Viertelfinale
aus dem Turnier zu werfen. Danach löste
sich das Team Glenzke/Großner auf, bei-
de haben mittlerweile ihre Karrieren been-
det. Ludwig suchte sich nach einer Baby-
pause eine neue Partnerin und fand Ko-
zuch. Die anschließend einsetzende Rota-
tion brachte viele neue Teams hervor,
aber keine neuen Erfolge. Stand jetzt wä-
ren nur Borger/Sude für Olympia qualifi-
ziert. Nach Ansicht von Thomas Kaczma-
rek, dem zweiten Trainer von Behrens/Till-
mann, hat das auch damit zu tun, dass das
freie Spiel der Kräfte außer Kraft gesetzt
wurde. Seines Erachtens sollte sich der
Verband „im Sinne des Sports“ raushalten
und die Teams „über den sportlichen
Weg“ austragen lassen, welches sich für
die Olympischen Spiele oder die Hauptfel-
der der großen Turniere qualifiziert. Ame-
rikanerinnen und Brasilianerinnen spie-
len vor den eigentlichen Turnieren eine in-
terne Qualifikation um die Startplätze.
Der DVV dagegen hatte Anfang 2019 fest-
gelegt, wer Olympiachancen haben durf-
te. Vor den deutschen Beachvolleyball-
Meisterschaften am Wochenende in Tim-
mendorfer Strand konzentriert sich
Kaczmarek darauf, dass seinen Spielerin-
nen nicht gänzlich der Spaß am Sport ab-
handenkommt. „Wir versuchen, bestmög-
lich damit umzugehen, uns im täglichen
Training zu verbessern und trotz des gan-
zen Ärgers hundert Prozent Leistung auf
dem Platz zu bringen.“
„Wir wollen natürlich einen schönen
Saisonabschluss hinlegen“, kündigt Kim
Behrens an, die ansonsten das Problem ge-
danklich outgesourct hat. Selbst über das
World-Tour-Finale kommende Woche in
Rom, für das sie der DVV nicht nur nicht
angemeldet, sondern sogar abgemeldet
hatte, sagt sie: „Das Ding ist durch.“ Sport-
lich. Rechtlich gesehen, das hat der Ver-
band nun schriftlich, werden sie „der Sa-
che so lange nachgehen, bis eine rechtmä-
ßige Lösung gefunden wurde“.
chwb.FRANKFURT.Die Vergabe der
Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wird
in einem Prozess vor dem Landgericht
Frankfurt strafrechtlich aufgearbeitet.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frank-
furt teilte am Montag mit, es habe die
Anklage gegen die früheren Präsiden-
ten des Deutschen Fußball-Bundes
(DFB) Theo Zwanziger und Wolfgang
Niersbach sowie gegen den früheren
DFB-Generalsekretär Horst R.
Schmidt und den früheren Generalse-
kretär des Internationalen Fußballver-
bandes, den Schweizer Urs Linsi, we-
gen Steuerhinterziehung zugelassen.
Das OLG bejahte einen hinreichenden
Tatverdacht und kam damit zu einer an-
deren Einschätzung als das Frankfurter
Landgericht, das die Eröffnung des
Hauptverfahrens im Oktober 2018 ab-
gelehnt hatte. Gegen diesen Beschluss
legte die Staatsanwaltschaft mit Erfolg
Rechtsmittel ein.
Die Ermittler waren nach dreijähri-
ger Untersuchung zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass die damaligen DFB-
Funktionäre eine Zahlung in Höhe von
6,7 Millionen Euro in der Steuererklä-
rung des DFB für das Jahr 2006 zu Un-
recht als Betriebsausgabe deklariert
und damit gewinnmindernd geltend ge-
macht hätten. Der Verband hatte diese
Summe 2005 als Kostenbeitrag zu einer
Gala im Vorfeld der WM verbucht, die
nie stattfand. Das Geld diente mutmaß-
lich zur „Rückzahlung eines Privatdarle-
hens des Fußballers F.B.“, wie es in der
Pressemitteilung des OLG heißt, an
den 2009 verstorbenen früheren Adi-
das-Chef Robert Louis-Dreyfus. Drei
Jahre zuvor waren 6,7 Millionen Euro
von WM-Organisationschef Franz Be-
ckenbauer und Louis-Dreyfus an den
früheren Fifa-Funktionär Mohamed
bin Hammam in Qatar geflossen.
Gegen diese Version wehren sich die
Beschuldigten. „Weder die Tatsache
noch der Inhalt des Beschlusses ändern
etwas an der von hier aus vertretenen
Rechtsauffassung, wonach die Vorwür-
fe gegen meinen Mandanten unbegrün-
det sind“, teilte Zwanzigers Anwalt
Hans-Jörg Metz mit. Zwanziger hat
Strafanzeige wegen „falscher Verdächti-
gungen“ gegen die Ermittlungsführerin
der Frankfurter Staatsanwaltschaft ge-
stellt. Gleiches wirft er der Schweizer
Bundesanwaltschaft vor. Die Schweizer
Behörde hatte Zwanziger, Schmidt und
Linsi wegen Betrugsverdachts in Mittä-
terschaft und Niersbach wegen des Ver-
dachts des Betrugs in Gehilfenschaft
angeklagt. Das Verfahren gegen Be-
ckenbauer wurde abgetrennt und wird
separat weitergeführt. Grund ist der ge-
sundheitliche Zustand Beckenbauers,
der eine Teilnahme oder Einvernahme
an der Hauptverhandlung vor dem Bun-
desstrafgericht nicht zulasse. Der DFB
geht weiterhin davon aus, „dass die Zah-
lung der 6,7 Millionen Euro betrieblich
veranlasst war“, sagte DFB-Medien-
direktor Ralf Köttker auf Anfrage der
Deutschen Presse-Agentur.
Ergebnisse
St.Pauli glückt
gegen Kiel ein 2:1
Kampf um das freie Spiel der Kräfte
Zwei Beachvolleyballerinnen wollen es auf einen Rechtsstreit mit dem DVV ankommen lassen – weil sie sich ausgebremst fühlen
„Berufsausübung unmöglich“:Kim
Behrens (l.) und Cinja Tillmann Foto dpa
Neu und erfolgreich:Der Wolfsburger Trainer Oliver Glasner kommt auf seine Spieler zu und wird offenbar verstanden. Foto firo
Prozess wegen
WM-Vergabe
Niersbach und Zwanziger
in Frankfurt vor Gericht
Viel laufen, mehr Mut
und Aggressivität:
Der neue Trainer
Oliver Glasner macht
sich auf Anhieb bei
seinen Profis
verständlich.
Von Christian Otto,
Wolfsburg