Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

DERSTANDARDWOCHENENDE szenario SA./SO.,24./25.AUGUST2019| 33


Seelenzustände,


um gesehenzu werden


Der MalerKurt Kocherscheidt drang mit seinenreduziertenWerken in
unbekannte Ländervor. DasMuseum Liaunig inKärnten berichtetdavon.

Michael Cerha

bar, aber die Dekonstruktion öff-
net den Kanon der Erscheinungs-
bilder, sodass ein Schwall an Be-
deutungen in das Bewusstsein des
Betrachters hereinbricht.
Paradox ist, dass diese wunder-
bare Bedeutungsvermehrung
nicht durch eine Kumulation an
Formen und Farben erreicht wird,
sondern im Gegenteil durch eine
Konzentration der wahrgenom-
menenWeltaufarchaisch,gerade-
zu mythisch anmutende Siglen.
Museumsgründer Herbert Liau-
nig hat recht, wenn er meint, die
Faszination von Kocherscheidts
Bildern liege in der Schwierigkeit
der Interpretation. Es seien Bilder,
die gemalt wurden, um gesehen,
und nicht, um besprochen zu wer-
den: „Sie sind Ausdruck eines
Seelenzustands und eines Ge-
mütszustands und können nicht
einfach interpretiert werden. Man
muss sie gesehen haben.“
Das erste Bild Kocherscheidts
erhielt der Kunstsammler übri-
gens im Austausch gegen eine
Sammlung von Abenteuerheften.
Deren Inspirationskraft soll man
nicht unterschätzen, wie wir seit
Franz Grillparzer wissen.Bis 31.10.

V


on langsamer Heimkehr
kann man nicht sprechen,
von einer sehr bemerkens-
werten posthumen Stippvisite
schon. „Ich denke, mein Vater
wäre trotz der differenzierten Be-
ziehung zu seinem Heimatbun-
desland mit dieser Ausstellung
glücklich gewesen“, mutmaßt Ivo
Kocherscheidtobdervonihmmit-
gestalteten Personale zu Kurt
„Kappa“ Kocherscheidt im Süd-
kärntner Privatmuseum Liaunig.
Also, was halt „glücklich“ bei
einem Künstler bedeutet, für den
Bildtitel wieDer Frosch als Tod
oderTotenkopfbezeichnend sind
und der nach dem zweiten Herz-
infarkt eine rätselhafte Komposi-
tion–von „fliegenden Brocken“
sprach seine Ehefrau Elfie Semo-
tan –schon fast beschwörend als
Dynamo des Herzensausgab.
Die radikale Reduktion seiner
Bildwelt auf einige elementare
Formen und Farben hat der 1943
in Klagenfurt geborene Kurt Ko-
cherscheidt wohl schon Anfang
der70er-JahrewährendeinesLon-
don-Aufenthalts als lockend emp-
funden. Den neuen Werkab-
schnitt, der den bunten Anfängen

folgte, markierte der Signatur-
wechsel vom Vollnamen zu „Kap-
pa“, der Bezeichnung des „K“ im
griechischen Alphabet. 1986 ist
einRestblaubereits die Ausnah-
me, wobei da schon auch ein we-
nig Selbstironie mitschwingt. Im
sogenannten Spätwerk jedenfalls,
von den ausgehenden 80er-Jahren
bis zum Herztod im November
1992, gibt es noch einmal einen
Signaturwechsel, und zwar von
„Kappa“ zum nackten „K“.
In Holzarbeiten, vom Künstler
selbst „Bretterwände“ genannt,
von den 1986 entstandenenFel-
dernüber dasRote Hausbis zum
letzten Ölbild, demFlinken Auge
von 1992, kommt der Kocher-
scheidt’sche Hermetismus zur
Vollendung–und im Museum Li-
aunig eindrucksvoll zur Geltung.

UnbekanntesFarbland
Um es in des Künstlers Worten
zu sagen: „Es ist wie ein Vordrin-
gen in ein unbekanntes Land“,
eine „Grenze der Erklärbarkeit“
muss überschritten werden. Wie
in der hermetischen Poesie bleibt
die Realität als Ausgangspunkt
des Gestaltungsprozesses erahn-

„Konga“ von Kurt Kocherscheidt stammt von 1968 und damit aus der Phase, bevor der
Künstler die Reduktion auf archaische Formen und Farben für sich entdeckte.

WATCHLIST


Foto: Galerie Die Schöne

Foto: Museum Lianunig

/Nachlass Kurt Kocherscheidt

1


2


3


Ausstellung


Konzert


Literatur/Musik


Den Mythos in die Gegenwart
holen und Funken daraus
schlagen, das wollen Stefan
Weiss’Bilder. Etwa wenn Adam
undEvaalsUrpaardesMensch-
heitsmythos traut aneinander-
gekuschelt offenbar einem
Überwachungsstaat ausgelie-
fert sind („Wir beobachten dich
und sogar deinen blöden
Freund“). Der STANDARD-
Kulturredakteur verquickt mit
Hinweis auf Roland Barthes’
Verständnis des Mythos ma-
lendIkonenderKunstgeschich-
te und Textfetzen zu vieldeuti-
gen Szenen. Michelangelo und
MargaretThatcherfindeninder
AusstellungAmor&Psychosin
derWienerGalerie Die Schöne
(26.–30. 8.) ebenso zusammen
wie Jason und mexikanische
Sozialrevolutionäre. (red)

PianistinMitsuko Uchidabeehrt
am Samstag die Salzburger
Festspiele. ImHausfür Mozart
spielt sie (19.30) ausschließlich
Werke von Franz Schubert.

Noch einmal Sommerfrische:
Im Südbahnhotel amSemme-
ringliestElisabeth Orthaus Ste-
fan ZweigsDie spät bezahlte
Schuld(Sa &Sojeweils 15.30).
Begleitet vonOttoLechner!

4 Theater
Der Altbürgermeister ist Vater
vieler Kuckuckskinder:Sex in
the Countryeben. Die Musical-
komödie von Michael Korth
läuft heute, Samstag, beimFilm-
hof Weinviertel(20 Uhr).

5 Musik/Kabarett
Mezzosopranistin Angelika
Kirchschlager und Kabarettist
Alfred Dorferfinden sich beim
MusiksommerBad Schallerbach
zusammen, um die Klassikwelt
zu irritieren:Tod eines Pudels.

„Sie sind uns nur voraus-
gegangen ...“ –allfälligen
Trost aus dieser Textzeile
erschüttert aber gleich die
folgende. Die Kindertoten-
liederGustavMahlers auf
Gedichte von Friedrich
Rückert jenseits rein ästhe-
tischen Erfassens wirken zu
lassen wagt man eigentlich
nie so recht. Monumentale
Gattung und Anmutung
schützen zusätzlich vor zu
viel Nachdenken über den
Inhalt. Und Solistinnen, die
zur Vermittlung der Trauer
einer Mutter über den Tod
zweier Kinder ihr Stimm-
gold aufpolieren, sind zum
Glück selten glaubwürdig.
Umso bewegender die
Lesart von Daniel Baren-
boim am Pult der Wiener
Philharmoniker und der
Mezzosopranistin Okka von
der Damerau. Die Sängerin
agierte weniger als „Vokal-
solistin“, sondern stellte
sich –mit souveräner Ruhe
–den Instrumentalisten zur
Seite: als gleichberechtigte
Partnerin von Oboe, Eng-
lischhorn, Klarinette, Bass-
klarinette, Horn, Celesta.
Der harmonisch ohnehin
oft radikale Bläsersatz Mah-
lers bekam in der radikal
kammermusikalischen Be-
handlungzusätzlicheKan-
ten, die den kleinen Zyklus
näher als bei üblicher „süf-
figerer“ Interpretation an
die Moderne rücken ließen.
Okka von der Damerau
entschlug sich ebenfalls al-
ler Opulenz und großer sän-
gerischer Gesten–und be-
wegte zutiefst mit der Wir-
kung beinah realistisch an-
mutender Fassungslosigkeit
angesichts unsagbaren Ver-
lusts. Dabei kam die Vokal-
stimme trotz dieser Zurück-
haltung gut und bei hervor-
ragender Textverständlich-
keit über den Orchesterpart.
Aber der Tod zweier Kin-
der macht noch kein Kon-
zert, Mahlers Fünfte folgte.
Spannend der Gegensatz
zwischen dem weichgespül-
ten eröffnenden Trauer-
marsch und dem brutal zu-
schlagenden „Stürmisch be-
wegt“. Von den Bläsern bo-
ckig artikulierte Tanzepiso-
den samt unverschämt „wie-
nerischer“Walzerfetzengibt
es ebenso zu vermelden wie
ein erstaunlich irdisches
Adagietto samt Rondo-Fina-
le, dem Barenboim bei aller
Monumentalität viel Witz
zusprach und nicht wenig
Ironie. (klaba)


Salzburg:Mahlers


„Kindertotenlieder“


KONZERT


I


mPrinzip ist das dänische Pro-
testschwein in seiner weibli-
chen Form eine ganz normale
Sau, nur rot-weiß-rot gestreift.
Auch deshalb kann es niemals mit
einem Zebra verwechselt werden.
Es grunzt, frisst alles und suhlt im
Gatsch. Eber dieser Art wiegen
maximal 350 Kilogramm. Dass die
Schulterhöhe bis zu 90 Zentime-
ter beträgt, will man eigentlich
nicht wissen. Die Bestie Mensch
mästet, schlachtet und paniert es.
Ist man einem putzigen Protestfer-
kel einmal persönlich begegnet,
wird man automatisch zum Vege-
tarier oder steigt zumindest auf
Truthahn um, weil der eher
schiach ist.
Was das dänische Protest-
schwein nicht kann: twittern.

Dank Donald Trump ist es wieder
indenFokusderÖffentlichkeitge-
raten. Der US-Präsident will ja Dä-
nemark die Insel Grönland abkau-
fen. Wobei „abkaufen“ schon ein
gewisser Fortschritt ist, er hätte ja
auch „wegnehmen“ twittern kön-
nen. Die dänische Politik reagier-
te jedenfalls empört, bezichtigte
Trump des Irrsinns, fragte rheto-
risch,obergegeneineTraversege-
rannt beziehungsweise Schleuse
geschwommensei.Daskönntevor
Jahren tatsächlich passiert sein.
Das Protestschwein ist ein Sym-
bol für Dänemarks Wehrhaftigkeit.
Ende des 19., Anfang des 20. Jahr-
hunderts, als es der in Nordfries-
land lebenden Minderheit unter-
sagt war, den Dannebrog, also die
rot-weiße Landesflagge zu hissen,

Schweinerei


um


Grönland


Foto: Picturedesk

/David Maupile

Rudi Rüssel

GLOSSE


züchteten begabte dänische Bau-
ern aus Protest gegen die Unter-
drücker das Protestschwein. Aus
bestehenden Sattelschweinras-
sen, Kreuzungen von holsteini-
schen und jütländischen Marsch-
schweinen. Aber auch das engli-
sche Tamworth-Schwein und das
Angler Sattelschwein wurden mit-
gemischt. Raus kam die lebende
Fahne, die bei Wind nicht weht,
sondern grunzt und furzt.
Zwischendurch war das däni-
sche Protestschwein (auch rot-
bunter Husumer genannt) übri-
gensausgestorben.Seit1984muss
man sich diesbezüglich keine Sor-
gen mehr machen. Das Land
Schleswig-Holstein fördert wegen
des kulturellen Werts den Erhalt
dieser Rasse.

Trump könnte als Gegenmaß-
nahme ein amerikanisches Pro-
testschwein basteln lassen. Rot-
blau gestreift, mit 50 weißen Ster-
nen auf dem Rücken (Grönland
wäre die Nummer 51), die Vorder-
haxerln sollten in der Lage sein zu
twittern. Höhepunkt dieser Qual-
zucht wäre ein orangestichiger
Borstenschopf. Die Prachtschwei-
ne könnten an der Grenze zu Me-
xiko patrouillieren.
Das wird es aber nicht spielen,
erfuhrDer STANDARDaus gut in-
formierten Kreisen. Die For-
schung sei noch nicht so weit. Das
amerikanische Protestferkel wäre
so nebenbei schiacher als ein aus-
gewachsener Truthahn. Donald
Trump wird die Schlacht um
Grönland nicht hoch gewinnen.
Free download pdf