Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

2 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DAgenda:BrasilienAgendasRegenwaldkatastrophe ERSTANDARDWOCHENENDE


Die großflächigenWaldbrände am Amazonas zeigen, wie sehr dieWelt ihregrüneLungebraucht. Die Staatengemeinschaft ruft
zum Schutz des sensiblen Ökosystems auf, doch Brasiliensrechter Staatschef will die Angelegenheitlieber intern behandeln.
Dabei trägtvorallem auch seinePolitik Schuld amAusmaß derUmweltkatastrophe.

RegenwaldinFlammen


FEUERBESCHAU:Bianca Blei

Der Rauch der Waldbrände
zog vom Amazonas aus bis
in südamerikanische
Großstädte.
Foto:Reuters/Kelly

D


ichter Rauch,der sich im
Hintergrund immer dunk-
ler verfärbt, steigt über den
sattgrünen Baumwipfeln
auf. Die Flammen züngeln
zwischen dem teils abge-
brannten Waldstück auf.
Das Foto spricht für sich: Der Amazonas-Re-
genwald–der weltweit größte Regenwald
und die grüne Lunge unseres Planeten –
steht in Flammen. „Und niemanden interes-
siertes?“ Mit dieser rhetorischen Frage zu
diesem Bild machte Hollywood-Star und
UmweltaktivistLeonardo DiCaprio auf die
Brandkatastrophe in Südamerika aufmerk-
sam. Dass das Foto gar nicht die aktuellen
Feuer zeigt und vom bereits 2003 verstorbe-
nen Fotografen Loren McIntyre stammt, tut
nichts zur Sache. Binnen kurzer Zeit wur-
de das Bild mehr als 3,6 Millionen Mal auf
Instagram geteilt. Der Hashtag#PrayForA-
mazon dominiert die sozialen Netzwerke.


Heuer mehr als 75.000 Brände


Die Umweltzerstörung war nach mehr als
zwei Wochenauch in den
internationalen Medien ange-
kommen. Denn obwohl Wald-
brändeimAmazonasgebiet
nicht ungewöhnlich sind,ha-
ben sie ungewöhnlich große
Ausmaße angenommen. Der
dichte Rauch hüllte sogar die
brasilianische Metropole São
Paulo untertags in ein nächtliches Schwarz.
Seit Beginn des Jahres wüteten um 85 Pro-
zent mehr Feuer als in den ersten acht Mo-
naten des Vorjahres, zeigt die Auswertung
von Satellitenbildern durch das brasiliani-
sche Institut für Satellitenforschung (INPE).
Mehr als 75.000 Brände wurden registriert,
die höchste Zahl seit 2013.
Die Dimension der Katastrophe rief auch
internationale Politiker auf den Plan. „Die
anhaltenden Waldbrände in Brasilien be-
reiten große Sorgen“, schrieb die EU-Kom-
mission in einem Statement: „Wälder sind
unsereLungenundLebenserhaltungssyste-
me.“ António Guterres, Generalsekretär der
Vereinten Nationen, rief auf Twitter zum


Schutz des Amazonas-Regenwalds auf:
„Mitten in der globalen Klimakrise können
wir uns nicht leisten, dass eine Hauptquel-
le für Sauerstoff und Biodiversität weiter
beschädigt wird.“ Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron spricht gar von einer
„internationalen Krise“. Er fordert die G7-
Staaten dazu auf, die Waldbrände bei dem
Gipfel dieses Wochenende ganz oben auf
die Agenda zu setzen. Unterstützung dafür
bekam er von seinem kanadischen Amts-
kollegen Justin Trudeau: „Ich könnte nicht
mehr mit Emmanuel Macron übereinstim-
men“, schrieb dieser auf Twitter.
Brasiliens rechtskonservativer Präsident
Jair Bolsonaro fühlte sich dadurch angegrif-
fen. Sein Land ist nicht Teil der G7. Die
Brände seien eine brasilianische Angele-
genheit, und Macron würde wie ein Kolo-
nialherrscher denken. Dass Bolsonaro aber
nichtvielvomSchutzdesAmazonasgebiets
hält, ist bereits seit Monaten bekannt. Noch
vor seiner Angelobung hatte er angekün-
digt, das Umwelt- und Landwirtschafts-
ministerium zusammenlegen zu wollen.
Umweltschützer übten Kri-
tik. Bolsonaro ruderte zu-
rück, da die Agrarindustrie
Sanktionen durch Partner
wie die EU fürchtete.
Doch das Zeichen war klar:
Der Präsident war bereit, den
Umweltschutz für die Inte-
ressen der Industrie aufzuge-
ben. Die großen Unternehmen sollten mehr
Zugang zu dem geschützten Land erhalten.
Um das durchzusetzen, diskreditiert Bolso-
naro auch regelmäßig
veröffentlichte Zahlen.
Dass im ersten Halbjahr
2019 bereits 18.
Quadratkilometer Regen-
wald zerstört wurden,
wie das brasilianische
INPE-Institut berichtete,
schob der Präsident beiseite. Das Land wür-
de „erst so richtig abheben, wenn wir es ge-
schafft haben, die Reichtümer(desRegen-
walds,Anm.)vernünftig zu gewinnen“, sag-
te Bolsonaro. Der INPE-Chef musste seinen

Posten räumen. Eine öffentliche
Ausschreibung soll ein privat-
wirtschaftliches Unternehmen
mit der Überwachung des Re-
genwaldsbeauftragen–derStaat
will damit nichts mehr zu tun
haben.
Fast zeitgleich entließ Bolso-
naro das Steuerungsgremium
des Amazonas-Fonds, der zen-
tral für die internationalen Be-
mühungen des Regenwald-
schutzes war. Die Großspender
Norwegen und Deutschland
stoppten bereits versprochene
Spendenzahlungen von mehr
als 65 Millionen Euro.
Die Zerstörung des Regen-
walds geht somit noch ungestör-
ter weiter. Angeheizt durch die
Aussagen Bolsonaros hatten
Landwirte im Amazonasgebiet
den vergangenen Samstag zum
„Tag des Feuers“ erkoren und weite Flä-
chen für Anbaugebiete niedergebrannt. Die
Staatsanwälte des Bundestaats Pará wollen
deshalb Ermittlungen wegen Vergehen
gegen den Umweltschutz einleiten.

Kohlenstoffspeicher
Das Schicksal des Amazonasgebiets be-
trifft den gesamten Planeten. Das Becken be-
herbergt 40 Prozent des weltweiten Regen-
walds und bis zu 15 Prozent aller Landtiere.
Die Pflanzen des Ökosystems binden eine
große Menge an Kohlenstoff. Studien gehen
von 90 bis 140 Milliarden Tonnen aus, man-
che sogar von 200 Milliar-
den Tonnen. Doch durch
die Brände wird eine gro-
ße Menge an Kohlenstoff-
dioxid frei–rund 228 Mil-
lionen Tonnen waren es
alleineimheurigen Jahr,
wie eine Untersuchung
durch den europäischen Copernicus-Dienst
zur Überwachung der Atmosphäre zeigt.
Außerdem wird Kohlenmonoxid frei, das
durch den Rauch weit über die südamerika-
nische Küste hinausgetragen wird.

Der Amazonas recycelt das meiste seines
Wassers und versorgt sich selbst mit Regen.
Dadurch,dassderWaldschrumpft,passiert
dasinimmergeringerenMengen.Wirdeine
gewisse Schwelle überschritten, verwittern
größere Flächen des Regenwalds, und das
Schrumpfen kann nicht mehr aufgehalten
werden. Durch den Klimawandel rückt die-
se Schwelle immer näher, indem sich der
Wald erhitzt und mehr Wasser verdampft.
Dadurch wäre auch die Luftfeuchtigkeit be-
troffen,dieentlangderAndenbisnachBue-
nos Aires wandert. „Ohne den Amazonas
würde es in Südbrasilien oder Argentinien
Wüsten geben, genauso wie am gleichen
Breitengrad in Afrika“, sagt der brasiliani-
sche Klimaforscher Antonio Donato Nobre
imSTANDARD-Gespräch: „Wir merken die
Veränderungen jetzt schon. In Mato Gros-
so, dem größten Anbaugebiet für Soja und
Mais in Brasilien, wird jedes Jahr später ge-
pflanzt, weil der Regen immer später im
Jahr einsetzt.“ Dadurch könnte die Land-
wirtschaft, die Bolsonaro mit seiner um-
weltfeindlichen Politik stützen will, zu
einem der größten Opfer seines Vorgehens
werden. KommentarSeite 40

1.000 km

Manaus

Brasília

Amazonas

BRASILIEN


Aktive Brände, 20.–22. August

WaldbrändeimAmazonasgebiet


Quellen: APA, BBC |

Feuer und noch mehr
lodern im Moment
im brasilianischen
Amazonasgebiet.

2500


brasilianischen Regenwalds
wurden allein von Jänner
bis Juli 2019 zerstört.

18.000 km²


Tier- und Pflanzenarten leben
im Amazonasbecken.

3.000.

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