Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von dorothea baumer

I


n den deutschen Auktionshäusern
dürfte man eher mit gemischten
Gefühlen auf die vergangene Saison
zurückblicken. Die Stimmung auf
dem Markt blieb gedämpft und die
Ergebnisse in der Regel ebenso.
So verschieden die Häuser in Berlin,
Köln und München auch agieren, das
Geschehen kennzeichnete überall eine star-
ke Zurückhaltung. Die Bieter verhielten
sich denkbar wählerisch, waren auf gewis-
se Namen oder Topstücke fokussiert, ver-
schmähten Mittleres und sorgten so für
jede Menge Rückgänge. Der Markt scheint
sich, einem internationalen Trend folgend,
zunehmend zu verengen. Villa Grisebach
konnte mit seinem Moderne-Angebot aus-
gewählter Werke erneut nicht überzeugen.
Bei Lempertz und Van Ham spielten Samm-
lungen, die komplett veräußert wurden,
eine entscheidende Rolle. Ketterer sah sich
mit seinem neuen Format „Evening Sale“
gut gerüstet, verbuchte zwei Höchstzu-
schläge und erzielte das beste Saisonergeb-
nis. Zero-Kunst zeigte erstmals empfindli-
che Schwächen. Malerei von Ernst Wil-
helm Nay reüssierte durchweg.

In der alten Kunst, inzwischen zum Ne-
benschauplatz mutiert, standen vielfachen
Rückgängen nur einzelne Höhenflüge ge-
genüber. So animierten etwa bei Lempertz
zwei nach langen Museumsaufenthalten
restituierte niederländische Gemälde der
Sammlung Gosschalk zu hohen Einsätzen:
eine Felslandschaft von Joos de Momper
und Jan Brueghel dem Älteren, die mit Auf-
geld 248 000 Euro kostete, und eine weite-
re Landschaft Moyses van Uyttenbroecks,
die auf die Rekordhöhe von 372 000 Euro
stieg. Auch Jan Brueghels des Älteren Fein-
malerei einer „Dorfstraße mit tanzenden
Bauern“ schien jeden der elf mal 16 Zenti-
meter auf Kupfer wert zu sein (360 000),
was sich zu einem Umsatz von 3,6 Millio-
nen Euro summierte.
Bei Villa Grisebach waren es Zeichnun-
gen des 19. Jahrhunderts, die zu unerwar-

tet lebhaften Bietgefechten führten, am
erstaunlichsten im Fall von Adolph Men-
zel, dessen Kircheninneres zu Einsiedeln
sich ein Schweizer Privatsammler statt ma-
ximal 80000 Euro 275000 kosten ließ,
was Grisebachs Umsatz gegenüber der
Erwartung auf 1,7 Millionen verdoppelte.
Bei den Spezialisten für Altmeistergrafik,
bei Bassenge und Karl & Faber, sorgten
Dürer und Rembrandt zuverlässig für gute
Zuschläge.
Die größeren Bewegungen, mithin die
relevanteren Umsätze zeitigten die moder-
ne, die Nachkriegs- und zeitgenössische
Kunst. Bei Van Ham, das am 29. Mai die
Auktionsserie eröffnete, blieb die Moderne
unauffällig. Erst mit Kunst nach 1945
nahm das Geschehen Fahrt auf, allerdings
nicht störungsfrei. Beide Spitzenlose,
Nagelbilder von Günther Uecker mit Taxen
von 400 000 und 500 000 Euro, fielen
durch. Zweifellos ein Anzeichen, dass die
Zero-Kunst, die vor etwa 13 Jahren zu
ihrem beispiellosen Höhenflug ansetzte,
ihren Zenit möglicherweise überschritten
hat, zumal auch in anderen Häusern die
Arbeiten versagten. Im Zeitgenössischen
gut positioniert, fuhr das Kölner Haus mit
11,2 Millionen Euro dennoch sein bisher
bestes Ergebnis ein. Dazu trugen Gerhard
Richters serielles „Fuji“-Bild (300000) mit
über 438 000 Euro brutto ebenso bei wie
zwei Papierarbeiten von David Hockney,
die bei Taxen von 60000 und 80 000 mit
258000 und gut 212 000 Euro übernom-
men wurden, Ernst Wilhelm Nay, der aus-
nahmslos gute Preise erzielte und die
Sammlung SØR Rusche mit 130 zeitgenös-
sischen Arbeiten, die restlos gefiel.
Den Gegenwind in voller Stärke bekam
nur einen Tag später Villa Grisebach zu spü-
ren, wo von den 50 ausgewählten Werken
der Abendauktion 19 scheiterten: darunter
Hochdotiertes von Alexej Jawlensky, Otto
Mueller und Karl Schmidt-Rottluff wie
auch das Spitzenlos, Max Pechsteins mit
bis zu 700 000 Euro geschätztes „Stillleben
in Grau“ aus dem Jahr 1913. Diese Gemälde
begeisterten nicht, ambitionierte Schätz-
preise taten wohl ein Übriges. Ein Fischer-
Motiv von Max Pechstein aus den 20ern,
Gabriele Münters Murnauer „Heuhocken“
von 1909 und ein Spätwerk von Paul Klee
zählten zu den Ausnahmen, die sich für den
Abend zur schmalen Ausbeute von 4,8 Mil-

lionen Euro summierten. Bei den Zeitgenos-
sen wendete sich das Blatt nicht. Gravieren-
den Rückgängen standen gerade drei Lose
gegenüber, von Sigmar Polke, Günther
Förg und Tony Cragg, die mit Aufgeld in
den sechsstelligen Bereich gelangten. Zehn
Millionen Euro bilanzierte das Haus.

Was für Van Ham die SØR Rusche Collec-
tion, waren für Lempertz 40 Arbeiten aus
der Vorstandsetage der Kölner Kaufhofzen-
trale. Willkommener Treibstoff. In der Mo-
derne steuerte sie das Spitzenlos bei, Max
Liebermanns monumentale Marktszene
„Judengasse in Amsterdam“ von 1908. Auf

600000 geschätzt, bei 700 000 zugeschla-
gen, mit Aufgeld und einer 19-prozentigen
Regelsteuer auf Firmenbesitz für über eine
Million Euro in neue Hände gelangt. Größe-
re Überraschungen gab es nicht. Die Zu-
schläge blieben, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, im Rahmen der Taxen. Auch

die seltenen Kurt-Schwitters-Werke, „Gus-
tav Finzlerbild“ (1926/36) und die Collage
„Counterfoil“ (1942/45), wurden entspre-
chend mit Aufgeld für 500 000 und knapp
400000 Euro weitergereicht. Bei den Zeit-
genossen waren die Arbeiten von Imi Knoe-
bel, Günther Förg und, flott gesteigert, von
Norbert Kricke gefragt. Gerhard Richters
rote „Ölskizze“ (1998), die 300 000 bringen
sollte, interessierte nicht. Und auch Heinz
Macks Aluminiumstruktur „Silberfächer“
(200000) schied aus dem Rennen. An die
30 Prozent des zeitgenössischen Angebots
gingen zurück, auf knapp zwölf Millionen
Euro belief sich der Umsatz.

Das Muster wiederholte sich auch bei
Karl & Faber, wo überschaubaren Erlösen
im sechsstelligen Bereich, darunter für
Ernst Wilhelm Nays Gemälde „Blauklang“
von 1953 (325 000) und Max Pechsteins
„Calla-Stillleben“ (237 500), zahlreiche
Rückgänge gegenüberstanden. Sie betra-
fen expressionistische Grafik ebenso wie
das Titellos der zeitgenössischen Kunst,
Heinz Macks frühe Zero-Arbeit „Dynami-
sche Struktur Schwarz“ (200 000). Nicht
anders ließ sich auch die Kundschaft bei
Neumeister für Vieles im Angebot nicht ge-
winnen, hatte dafür einen Ausreißer mit ei-
nem sozialkritischen Heinrich-Zille-Blatt
aus dem Kriegsjahr 1916 (rund 80000).
Ketterer startete mit einer der besten Of-
ferten und lag mit seinem neuen Konzept
richtig. Statt eine ausgedünnte Moderne
und eine um ihren Nachschub nicht verlege-
ne Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst
in separaten Katalogen zu präsentieren,
bot man Topstücke aus beiden Bereichen,
knapp hundert Lose, gebündelt zum „Eve-
ning Sale“. Das auf 1,5 Millionen taxierte
Starlos, Wassily Kandinskys „Treppe zum
Schloss (Murnau)“, ein Frühwerk von 1909,
das im Dezember 2018 in New York geschei-
tert war, übernahm bei einem Zuschlag von
zwei Millionen mit Aufgeld für 2,5 Millio-
nen ein deutscher Sammler. Andy Warhols
elegantes „Portrait of a Lady“ (400 000)
ließ sich ein süddeutscher Käufer über eine
Million kosten, der zudem Ernst Ludwig
Kirchners „Drehende Tänzerin“ (300 000)
für 625 000 Euro übernahm. Für Daniel
Richters Gemälde „Alles ohne Nichts“
(2006/07), von 250 000 auf 500000 Euro
gehoben, fuhr man einen Rekord ein; mit
mehr als fünfzig 100 000-Euro-Zuschlä-
gen und 26,5 Millionen Euro Umsatz das
beste Moderne-Ergebnis der Saison. Doch
auch in Ketterers Evening Sale wurde etwa
ein Viertel der Lose verschmäht.
Der Rückblick auf die internationalen
Auktionen folgt kommende Woche.

Es gibt Anzeichen, dass die
Zero-Kunst ihren Zenit
überschritten haben könnte

Für Warhols „Portrait of a Lady“
bezahlt ein süddeutscher Käufer
mehr als eine Million Euro

Wählerisch


Ambitionierte Preise, zurückhaltende


Bieter – eine Auktionsbilanz


DEFGH Nr. 195, Samstag/Sonntag, 24./25. August 2019 FEUILLETON KUNSTMARKT 19


Los beim „Evening Sale“: Ernst Ludwig Kirchners „Drehende Tänzerin“, entstanden im Jahr 1931.ABB.:KETTERER

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