Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von barbara vorsamer

D


as Päckchen, das Béa Beste in
die Pleite trieb, kam einmal im
Monat. Darin: Pfeifenputzer,
Wackelaugen, Kabelbinder,
Aufkleber, Pappe und alles,
was man sonst noch so braucht, um zum
Beispiel eine Regenrassel zu basteln. Dazu
eine Anleitung, die erklärte, was eine Re-
genrassel überhaupt ist und wie man da-
mit spielt. Tollabox hieß das Päckchen, ein
Bastelabo für Kinder. Für Béa Beste aber
war es weit mehr als das: Es war ihr Her-
zensprojekt, ihr „Baby“, ihr Neuanfang.

Für 20 Euro im Monat, so das Verspre-
chen der Box, sollte die Entwicklung jun-
ger Kinder „in einer entscheidenden Phase
der Gehirnentwicklung“ allein durchs Spie-
len gefördert werden, ganz ohne Lern- und
Einkaufsstress. Doch Kinder haben nicht
immer Lust zu basteln – und Eltern nicht
immer Zeit, ihnen zu helfen. Oft war die
letzte Box noch unberührt, wenn DHL
schon die nächste lieferte. Vier Jahre nach
der Gründung musste Beste Insolvenz an-
melden, 2015 war das. Heute sagt die
50-Jährige über diese Zeit: „Tollabox zu be-
graben, hat sich für mich angefühlt, wie
ein Kind zu verlieren.”
Béa Beste, die eigentlich Isabella heißt,
sich selbst aber als Kind immer Béa nann-
te, steht in der Küche ihrer Berliner Dach-
geschosswohnung und rührt ein pragmati-
sches Mittagessen zusammen: Blumen-
kohl, Ziegenkäsereste und Mikrowellen-
kartoffeln. Nebenher hält sie ihre Koch-
künste für Instagram fest. Später am Tag
wird sie mal wieder auf einer Gründerkon-
ferenz sprechen. Ihre Vorträge tragen Titel
wie „Aus Fehlern lernen” oder „Regretting
Motherhood”. Sie geht darin der Frage
nach, ob es gut war, eine Business-Idee so
zu lieben wie ein Kind, erzählt, welche Leh-
ren sie aus ihren Niederlagen gezogen hat
und wie sie es schafft, nach einem
K.O.-Schlag immer wieder aufzustehen.

Mit Pleiten und vor allem mit Neuanfän-
gen kennt sich die Frau mit dem braunen
Kurzhaarschnitt und dem knallroten Lip-
penstift aus. Die Tollabox war nicht ihr ers-
tes Unternehmen, das sie gründete und
auch nicht ihr letztes. Beste gehört damit
zur seltenen Spezies der Start-up-Gründe-
rinnen. Laut Females Founder Monitor
2019 wurden auch im vergangenen Jahr
nur 15 Prozent der Start-ups in Deutsch-
land von Frauen gegründet. Bei 29 Prozent
war immerhin wenigstens eine Gründerin
im Team.
Béa Beste wächst in Bukarest auf. Ihr Va-
ter stirbt, als sie zwölf ist. Wenig später be-
schleicht sie das diffuse Gefühl, dass es
auch ihrer Mutter nicht gut geht. Sie durch-
wühlt die Schubladen und findet Röntgen-
bilder, Arztbriefe, versteht nichts. Sie geht
damit zu einem Nachbarn, einem Arzt, und
verlangte Aufklärung. „Er hat mich nur be-
schwichtigt”, erzählt Beste. Diese Unge-
wissheit sei schlimmer gewesen, als alles,
was danach kam. Und danach kam noch ei-
niges.
Wie sich herausstellt, hat ihre Mutter
Krebs, unheilbar. Die Chemotherapie
schlägt ihr aufs Gemüt, sie wird schizo-
phren. In einer dieser Phasen macht sie ih-
rer Tochter den Vorschlag, gemeinsam in
den Tod zu gehen. Doch die will leben – zur
Not auch alleine. Mit 15 Jahren flieht Beste
aus dem kommunistischen Rumänien
nach Deutschland, lässt ihre kranke Mut-
ter alleine zurück. Ihre Flucht ist ein Wett-
lauf gegen die Zeit, denn stirbt die Mutter,
bevor sie das Land verlassen hat, kann ihr
die kommunistischen Zentralpartei einen
Vormund stellen. Es habe damals außer-

dem das Gerücht gegeben, dass Waisen
mit guten Schulleistungen in Anstalten lan-
deten, um zu Spezialisten des rumäni-
schen Geheimdienstes Securitate ausgebil-
det zu werden, erzählt Beste. Verwandte
und auch ihre Mutter unterstützen die
Flucht. Mit einem Koffer und ihrer Ge-
burtsurkunde im Schuh besteigt sie an ei-

nem Augusttag 1984 eine Lufthansama-
schine nach Berlin. Nur eine Woche später
stirbt ihre Mutter.
Bei Verwandten in Karlsruhe muss Bes-
te ganz von vorne anfangen. Sie merkt
schnell: der Westen ist nicht das, was sie
sich vorgestellt hat, kein duftendes Schla-
raffenland. Aber ihr gefällt, dass sie auf of-
fener Straße „Ceaucescu ist ein Schwein“
schreien kann und nichts passiert (außer,
dass die Leute komisch gucken und ihr das
Herz bis zum Halse klopft). Sie lernt
schnell Deutsch, macht Abitur und heira-
tet jung, weil sie in Westberlin studieren
will und sich mit ihrem rumänischen Pass
nicht in die von der DDR umzingelte Stadt
traut. Mit 21 wird sie schwanger. Unge-
plant. Die Ehe hält nicht lange.

Während ihre Kommilitonen abends
um die Häuser ziehen, sitzt Beste daheim,
alleine mit Kind. Doch sich einfach mit Si-
tuationen abzufinden, ist nicht ihr Ding.
Nicht nach allem, was sie schon erlebt hat.
Über ihre Jugend sagt Beste heute, sie habe
sie stark gemacht fürs Leben. „Bei Sorgen
erinnere ich mich immer an die ersten Mo-
nate in Deutschland und sage mir: Wenn
ich das geschafft habe, schaffe ich alles.”
Ihr kommt die Idee, einen „Jugendfor-
schungsmonitor“, also junge Trends, an ei-
ne Werbeagentur zu verkaufen. Ab jetzt
wird sie fürs Ausgehen bezahlt. Nach dem
Studium arbeitet sie bei Sat 1, dann sechs
Jahre als Beraterin bei Boston Consulting.
2005 kommt ihr die nächste Idee: Mit 36
gründet sie zusammen mit einem Unter-
nehmer die Privatschulkette Phorms. Der
rote Faden, der sich durch all ihre Projekte
zieht, ist das Lernen. Beste selbst bezeich-
net sich als „Edupreneurin“, eine Wort-
schöpfung aus „education“ und „entrepre-
neur“. Auf diesem Gebiet sprudelt sie über
vor Ideen und Plänen, hat nie „nur Plan B,
sondern immer Plan A bis Z.“ Überhaupt
sprudelt viel aus ihr heraus, sie erzählt oft
verschiedene Geschichten parallel, immer
wieder muss man sie daran erinnern, was

gerade noch mal die Frage war. Eine Mitar-
beiterin sagt über sie: „Die nimmt keine
Drogen. Die ist so.“
Warum also leitet sie die Privatschulket-
te heute nicht mehr? Phorms sei schnell ge-
wachsen, bei 2500 Schülern und 360 Mitar-
beitern hätte es Prozessoptimierer und Di-
plomaten an der Spitze gebraucht, sagt Bes-
te heute selbstkritisch. „Ich bin beides
nicht. Ich hätte früher einen gestandenen
Manager an meiner Seite gebraucht, um
große Teile des operativen Geschäfts abzu-
geben.“ Sie selbst hätte sich stattdessen
auf das Kreative und Innovative fokussie-
ren sollen, denn, so Beste selbstbewusst:
„Ich bin eine Gründerin. Ich kann aus
nichts etwas machen.“ 2011 verlässt sie das
Unternehmen.
Traurigkeit und Selbstmitleid sind in ih-
ren Erzählungen selten zu spüren, auch
dann nicht, als sie von der Flucht aus Rumä-
nien erzählt oder von der Tollabox-Pleite,
dem „verlorenen Kind“. Ein paar „regrets“
hier, ein „da hätte ich kaltschnäuziger sein
müssen“ da. Aber sie hadert nicht mit dem
Schicksal. Nur wenige Tage nach der Insol-
venz von Tollabox tritt sie einen Beraterjob
in Nairobi an. Immer weiter, nach vorne,
„adelante“ heißt das auf Spanisch. Beste
hat einen Zweitwohnsitz auf Teneriffa.
Als Beraterin arbeitet sie auch heute
noch. Nebenher betreibt sie die Website
„Tollabea“. Die ging ursprünglich mal on-
line, um den Launch der Tollabox zu beglei-
ten. Heute ist die Seite mit einer Viertelmil-
lion Besuchen im Monat und 125000 Face-
book-Fans einer der reichweitenstärksten
Familienblogs in Deutschland. Und natür-
lich hat sie auch schon wieder ein neues
Projekt im Kopf. „CanAreas“ soll ein Aus-
tauschprogramm für spanische Pädago-
gen werden. Denn in Deutschland werden
Erzieher händeringend gesucht, auf den
kanarischen Inseln finden sie trotz Ausbil-
dung keinen Job. Doch im Moment liegen
die Pläne noch in der Schublade eines Mi-
nisteriums, die Finanzierung steht noch
nicht. Béa Beste versucht, Geduld zu haben
(fällt ihr schwer) und optimistisch zu sein
(fällt ihr leicht). Sie sitzt unter ihrer mit
Sinnsprüchen behängten Lampe und sagt:
„Solange ich zwei Hände und ein Hirn ha-
be, wird es mir gut gehen.“

Die Neuanfängerin


Mit derTollabox, einem Bastelabo für Kinder, ging Béa Beste pleite. Heute schreibt sie einen der


meistgelesenen Familienblogs Deutschlands und fragt sich: Darf man eine Business-Idee so lieben wie ein Kind?


Mit dem Schicksal zu hadern
ist nicht ihr Ding.
Im Nachhinein schon gar nicht

Sie sei „Edupreneurin“, sagt
Beste – eine Wortschöpfung aus
„education“ und „entrepreneur“

Béa Beste floh mit 15 Jahren alleine aus Rumänien nach
Deutschland. Über ihre Jugend sagt die 50-Jährige heute, sie
habe sie stark gemacht fürs Leben.FOTO: MALINA EBERT

Ihre Vorträge tragen
Titel wie „Aus Fehlern lernen”
oder „Regretting Motherhood”

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