Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von nadeschda scharfenberg

R


egel Nummer eins für Journalisten:
Schreibe nichts Böses über Tiere.
Beziehungsweise nichts, was als bö-
se verstanden werden könnte. In der SZ
hieß es vor zehn Jahren – der Sommer war
damals mies verregnet – in einer Eloge auf
das Sauwetter (pardon, liebe Säue, war
nicht diskriminierend gemeint): „Die
Weinbergschnecken gedeihen in dieser
Saison besonders gut, mit Butter und
Knoblauch schmecken sie sehr sommer-
lich.“ Daraufhin füllte sich das Redaktions-
postfach schneller als jede Regentonne.
Regel Nummer eins für Politiker lautet
analog: Schreibe nichts Böses über Tiere.
Beziehungsweise nichts, was als böse ver-
standen werden könnte.
Warum gemein zu Tieren sein, wo es
doch die Grünen gibt?
Neulich hat Hubert Aiwanger, Stellver-
treter des immer mehr ergrünenden bay-
erischen Ministerpräsidenten, auf Face-
book das Foto einer verschrumpelten Gur-
kenscheibe gepostet, durch deren Mitte
ein Grashalm als Mast gepikst ist, mit Bu-
chenblatt-Segel oben dran. Begleittext:
„#Habeck für deutsche Beteiligung an Ma-
rinemission im Persischen Golf. Wenn wir
unsere Schiffe mit den Grünen Wehr-
dienstleistenden besetzen, reicht eine
Nussschale.“ Nach dieser Boshaftigkeit
krähte kein Hahn (pardon, liebe Hähne,
war nicht diskriminierend gemeint).
Anders bei einem humoristischen Nage-
tierfoto-Posting von Aiwangers Großbri-
tannienreise: „Englisches Eichhörnchen
rennt durch London. Hat einen #Oach-
katzlschwoaf und weiß es nicht. Hab’s ihm
gesagt.“ Prompte Belehrung im Kommen-
tarfeld: „Das ist ein Grauhörnchen!“
Hätte er sich das mal eine Warnung
sein lassen! Aber nein, Aiwanger wagte
sich diese Woche auf tierisch gefährliches
Terrain, besuchte eine Pferdeschau in Neu-
markt und eine Westernshow in Pullman
City und stellte, tief beeindruckt, Videos
von einem Zehnspänner, zwei Quadrigen
und diversen zotteligen Bisons ins Netz.
Daraufhin füllte sich das Kommentarfeld
schneller als jede Regentonne in diesem
auch nicht unbedingt trockenen August:
„Widerlich und dumm“, „überflüssig“,
„Tierquälerei“, „das sind BÜFFEL!“
Aiwanger schlug zurück mit seiner
ganz eigenen Logik: Wenn der Mensch
Pferde und Bisons nicht als Nutztiere hal-
ten würde, wären sie längst ausgestorben
„und nur noch als versteinertes Relikt im
Museum zu besichtigen“.
Regel Nummer eins für Tierschützer:
Schreibe nichts Böses über einen Aiwan-
ger. Beziehungsweise nichts, was er als bö-
se verstehen könnte. Sonst wird er wild
wie eine Büffelherde. Oder doch Bisons?

von benjamin emonts

M


ichael ist startklar. Der
Scheitel sitzt, die Lederho-
se passt, das Lächeln sieht
süß aus. Also Kamera ab!
„Servus, i bin da Michael,
bin 20 Jahre alt und komme aus einem klei-
nen Dorf: Otzing nennt sich des.“ Was er be-
ruflich macht? Industriemechaniker und
bald Student, Maschinenbau. „Ma muass
schließlich a weng schaung, wo ma bleibt
in seinem Leben.“ Und wie soll die Traum-
frau aussehen? „Ich bin eigentlich offen
für alles“, sagt Michael. „Sie darf Kurven
haben, aber darf mich nicht erdrücken.“
Was noch? Charakter und schöne Augen.
Passt. Moderator Klaus Rauschendorfer
schickt sicherheitshalber noch hinterher:
„Liebe Mädels, ich kann nur sagen: Der ist
ein Jackpot.“
So unkompliziert läuft das mit der Part-
nersuche auf der berüchtigten „Single
Couch“ am Straubinger Gäubodenvolks-
fest. Ein bisschen lächeln, ein paar Sätze
über Träume und Traumfrau – und schon
ist das Filmchen im Kasten. In den sozia-
len Netzwerken werden die Clips später
meist tausendfach geklickt. Es wird dar-
über geredet, gelacht und gespottet. Die
große Hoffnung der Kandidaten aber ist,
dass sie irgendwer sieht und sich meldet.
„Die Allermeisten suchen wirklich nach
Liebe“, sagt der Moderator.

Mit „die Allermeisten“ meint Rauschen-
dorfer vor allem: Männer. Von den 170 Sin-
gles, die er heuer auf der Couch interviewt
hat, waren mehr als zwei Drittel männlich.
Und das ist vermutlich kein Zufall. Nieder-
bayern, und ganz besonders Straubing,
hat einen gehörigen Männerüberschuss,
wie die Zahlen des Landesamtes für Statis-
tik belegen. Im besonders paarungswilli-
gen Alter zwischen 20 und 44 Jahren kom-
men demnach auf 110 Niederbayern nur
100 Frauen; laut einer Studie des Instituts
der deutschen Wirtschaft in Köln ist das

die höchste Männerquote aller Regie-
rungsbezirke in Westdeutschland. Allein
in Straubing kommen auf 100 Frauen 119
Männer zwischen 20 und 44 Jahren. In
München sind es 100 Frauen auf 98 Män-
ner. Rein statistisch wird jeder elfte Nieder-
bayer nicht fündig, während die Frauen
sich vor Angeboten kaum retten können.
Theoretisch jedenfalls.
Zu beweisen wäre allerdings, ob sich die-
ses Ungleichgewicht tatsächlich bemerk-
bar macht auf der Suche nach Zuneigung.
Als Anlaufpunkt würde sich Markt Arns-
torf anbieten, die Gemeinde mit der sagen-
haften Männerquote von 62,8 Prozent.
Bürgermeister Alfons Sittinger aber wie-
gelt am Telefon ab. Es gebe da dieses gro-
ße Unternehmen, das zahlreiche Monteu-
re in der Gemeinde melde – daher die ex-
trem hohe Quote. Die Reise geht deshalb
nach Kirchdorf in der Hallertau, laut Statis-
tik die Gemeinde mit dem zweithöchsten
Männerüberschuss in Niederbayern. Auf
100 Frauen entfallen hier statistisch
140 Männer – das müsste doch schon je-
mandem aufgefallen sein. Vorbei an Hop-
fenfeldern und einer stattlichen Schreine-
rei geht es also ins Ortszentrum, in dem zu-
nächst nur eine Katze zu sehen ist. Im Dorf-
laden lachen dann zwei Frauen laut los, als
man sie auf den angeblichen Kirchdorfer
Männerüberschuss anspricht. „Also ich
hab drei Töchter“, sagt eine von ihnen. Die
andere kriegt sich vor Lachen gar nicht
mehr ein.
Also zum Bürgermeister Alois Prantl,
der auf dem Bankerl vor dem 300 Jahre al-
ten Holzhaus sitzt, das als Gemeindezen-
trum dient. Herr Prantl, wie ist es denn
nun mit dem Männerüberschuss in Kirch-
dorf? „Ich bin überrascht von den Zahlen“,
sagt der Bürgermeister, „aber irgendwie
habe ich schon so ein Gefühl gehabt, dass
es viele Junggesellen im Ort gibt.“ Am
Stammtisch sei darüber gesprochen wor-
den. Aber eine Erklärung? Hat der Bürger-
meister nicht wirklich. Auch er sagt statt-
dessen: „Ich habe drei Töchter.“
Dann eben die jungen Dorfbewohner
fragen. Im Freizeitraum der Katholischen
Landjugend sitzen Vorsitzender Matthias
Weiß und Kassiererin Kristina Kindsmül-
ler. „Das Verhältnis ist ausgeglichen“, sagt
die sofort, um alle Spekulationen zu been-
den. Matthias Weiß – selbst vergeben –
sagt, er kenne einige Alleinstehende, aber
die seien schon älter. Eine Frau zu finden,
macht er sehr deutlich, sei für Kirchdorfer
kein Problem. Der Fußballverein, ein
Kreisligist, habe zwei Damenmannschaf-
ten, obwohl die Ortschaft keine 1000 Ein-
wohner zählt. Und auf der „Halligalli-Par-
ty“, die der Verein alljährlich organisiert,
sei das Verhältnis „ausgeglichen“. Der jun-
ge Mann schaut verständnislos angesichts
der seltsamen Fragerei. Ein Anruf bei
Thorsten Benkel, Soziologe an der Uni Pas-

sau; er hat zu dem Männerüberschuss et-
was zu sagen. Das Ungleichgewicht stellt
er nicht infrage. Die Hauptursache sieht er
in der starken wirtschaftlichen Ausrich-
tung Niederbayerns auf Industrie, Hand-
werk und Landwirtschaft, sprich auf Beru-
fe, die eher von Männern ausgeübt wer-
den. Außerdem blieben in Niederbayern
viele Männer länger daheim im Eltern-
haus. Junge Frauen hingegen wanderten
vermehrt ab, um zu arbeiten und zu studie-
ren. Und: „Frauen wollen, wenn sie ein ge-
wisses Alter erreicht haben, sich emanzi-
pieren von ihrer Herkunft. Sie wollen auf
eigenen Beinen stehen und nicht länger
nur die wohlbehütete Tochter sein, die sie
in ländlichen Regionen oft sind.“
Für die Partnersuche sei dieses Un-
gleichgewicht durchaus problematisch.
„Die realen Möglichkeiten für Männer,
Sex zu haben, werden geringer. Weil aber
besonders junge Männer vorgespielt be-
kommen, dass Sex Männlichkeit aus-
macht, ist die Frustrationsquote dement-
sprechend hoch.“

Auf dem Gäubodenvolksfest wirken
die Männer eher heiter als frustriert, wo-
für vermutlich Goaßnmaßn, Rüscherl und
andere alkoholische Getränke verantwort-
lich sind. Ein Männerüberschuss lässt sich
auf Anhieb nicht feststellen. Abseits der
Kamera spricht man also mit Michael,
dem jungen Mann aus Otzing, ein offener,
sympathischer Kerl – aber trotzdem frau-
enlos. Auf die Statistik angesprochen,
wirkt er nicht sonderlich überrascht. In sei-
nem Dorf sei die Auswahl an Frauen nicht
groß, erzählt er. Und die wenigen, die da
sind, hätten ein Problem, dass er so fleißig
sei. Michael erzählt von einer unschönen
Erfahrung: „Ich hab mit einer was gehabt
und sie wollte furtgehen. Dann hat sie sich
mords aufgeregt, weil ich noch mit dem
Mähdrescher unterwegs war.“ So oder so
ähnlich laufe das öfter. Nach der Aktion
hat er die Sache beendet. Oder wie er es
sagt: „I hob’s dann weidaghaun.“
Das mit der Arbeit ist ein Problem, das
viele Männer hier teilen. Auch Moderator
Rauschendorfer erzählt davon. Etliche
Kandidaten, besonders die vielen Bauern,
hätten in den Vorgesprächen darüber ge-
klagt, dass die Frauen es nicht akzeptie-
ren, wenn sie viel arbeiten oder einen Hof
haben, den sie bewirtschaften müssen.
„Ich hab hier ganz viele Männer kennenge-
lernt, die nur Verständnis und Respekt be-
kommen wollen. Sie suchen gar nicht un-
bedingt nach einer Jungbäuerin, sondern
nur nach Verständnis.“ Der 20-jährige
Schreiner Maxi, der gerade von seinen
Freunden mit Sprechchören auf die Couch
genötigt wurde, sagt es so: „Es ist eh schon
nicht einfach, eine Frau zu finden, aber je
mehr Arbeit, desto schwieriger wird’s.“
Bleibt die Frage, wie die Frauen das mit
dem Männerüberschuss sehen. Nehmen
sie ihn überhaupt wahr? „Also ich hab bis
jetzt noch keinen gefunden“, sagt Melanie,
27, aus Pfaffenberg. „Die meisten trauen
sich gar nicht, eine anzusprechen, wenn
sie schön ist.“ Eva wiederum, die Jura-Hop-
fenkönigin 2018 aus Mittelstetten, sagt
vor laufender Kamera das, was Männer
wie Michael fürchten: „Am besten wäre es,
wenn er viel Geld hätte und wenig Arbeit –
damit wir viel saufen können.“ Ansonsten
ist Evi ganz bescheiden: „Hauptsache der
Charakter passt.“
Über zu viele Männer jedenfalls klagen
die Frauen auf der Single Couch nicht.
Christina, 25, aus Pilsting, findet bloß
nicht den richtigen. Sie sucht einen Mann
mit Ausstrahlung, Modebewusstsein und
Dreitagebart. „An Mo, der schee zam-
gricht is“, sagt sie. „Er muass mi oschaun
und i muass dahinschmelzen.“ Was das
Problem ist? „Ich finde hier keine Männer,
weil die extrem heimatverbunden sind.
Die bleiben lange im Elternhaus und den-
ken trotzdem, sie wären’s.“ Dann verkün-
det sie noch, ihren Wohnsitz womöglich
fest nach München zu verlegen.
Rauschendorfer weiß bislang nur von ei-
nigen Anfragen an seine Kandidaten, ein
Pärchen hat sich offenbar noch nicht ge-
funden. Die Niederbayern aber haben sich
als mutige Burschen präsentiert, die ih-
rem Glück auf die Sprünge helfen. In die-
ser Gegend Bayerns kann das vermutlich
nicht schaden. Markus, 47, Werkzeugma-
cher aus Rain, hat für die Frauen ein Ge-
dicht geschrieben: „I, da Markus, dat gern
mei Herzblatt finden, um mei Single-Da-
sein zu überwinden“, lautet daraus ein
Vers. Dieser Jackpot ist noch zu haben.

Nadeschda Scharfenberg
mag keineSchnecken,
weder im Garten, noch in
Knoblauchbutter.

Ingolstadt– ImKorruptionsprozess ge-
gen den Ingolstädter Alt-OB Alfred Leh-
mann hält das Gericht am Vorwurf der Be-
stechlichkeit im Hauptfall fest. Dies teilte
Richter Jochen Bösl am Freitag mit. Zwar
kämen die Tatbestandsmerkmale etwa ei-
ner Vorteilsannahme in Betracht, jedoch
im Rahmen des Strafrechtsparagrafen Be-
stechlichkeit. In dem Fall geht es um Leh-
manns luxuriöse City-Wohnung; er soll
sie „zum Schein als Rohbau“ gekauft und
anfangs gratis ausgebaut bekommen ha-
ben. Zuvor soll er in seiner Funktion als
Chef eines kommunalen Gremiums zu-
gunsten des Bauträgers gemauschelt ha-
ben. Eigentlich waren am Landgericht
längst die Plädoyers vorgesehen, der mit-
angeklagte Bauträger brachte aber neue
Beweisanträge ein: Sie sollen belegen,
dass bestimmte Gespräche erst nach Leh-
manns Abschied aus dem OB-Amt 2014
stattfanden. Doch auch als späterer einfa-
cher Stadtrat und Mitglied des Gremi-
ums gilt er laut Gericht als „Amtsträger“.
Seit März steht der CSU-Politiker, Rat-
hauschef von 2002 bis 2014, wegen Be-
stechlichkeit in zwei Fällen vor Gericht. In
dem zweiten Fall – es geht um ein Invest-
ment in Studentenbuden auf einem Kaser-
nenareal – hatte das Gericht bereits ange-
deutet, dass nur Vorteilsannahme statt Be-
stechlichkeit denkbar sei. Dem 69-Jähri-
gen droht eine mehrjährige Haftstrafe.
Bei einer Verurteilung zu mehr als zwei
Jahren wäre keine Bewährung möglich.
Ein Teilgeständnis Lehmanns im Juli, wo-
nach er „Fehler gemacht“ und „Vorteile an-
genommen“ habe, hätte strafmildernd
wirken sollen – Richter und Staatsanwalt-
schaft zeigten sich damit aber wenig zu-
frieden. Plädoyers und Urteil sind nach jet-
zigem Stand im Oktober angesetzt. ojo

Junge Frauen hingegen
wandern vermehrt ab, um
zu arbeiten und zu studieren

UNTER BAYERN

Tierisch


gemein


Mädels,


wo seid ihr?


Niederbayern hat statistisch


den größten Männerüberschuss


in Westdeutschland.


Das macht die Partnersuche gerade


für Jungbauern noch schwieriger


Amor und Moderator Klaus Rauschendorfer
(Bild unten,r.) im Gespräch mit
Michael aus Otzing. Christina (oben, l.)
und ihre Freundin Nicole saßen auch
auf der Single-Couch. Doch den Richtigen
haben sie noch nicht gefunden.
FOTOS: VERONICA LABER/BEARBEITUNG: SZ, PRIVAT, YOUTUBE

Alt-OB Lehmann


droht Haftstrafe


Männeranteil in Niederbayern
Menschen im Alter von 20 bis unter 45 Jahren
DurchschnittBayern: 51,5 %

Männerreichster
Landkreis
Dingolfing-Landau

Männerreichste
Gemeinde
Markt Arnstorf

54,5%


62,8%


Männerreichste
Stadt
Straubing 54,3%

SZ-Grafik, Quelle: Landesamt für Statistik


DEFGH Nr. 195, Samstag/Sonntag, 24./25. August 2019 R13


BAYERN


Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld
soll bis 2035 vollständig verschwinden.
Kann das gelingen?  Seiten R14/R15

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