Psychologie Heute - 09.2019

(coco) #1

Spielhallen sind ein seltsames Phänomen. Viele ha-
ben derlei Etablissements noch nie betreten. Dennoch
liegt der Jahresumsatz mit Geldspielautomaten in
Deutschland bei sieben Milliarden Euro – und damit
siebenmal höher als der Umsatz, den etwa Kinobe-
treiber mit dem Verkauf von Eintrittskarten erzielen.
Für nicht wenige Spieler werden die Automaten ge-
fährlich. Sie machen süchtig. Die Bundeszentrale für
gesundheitliche Auf klärung urteilt: Die Maschinen
sind „risikoreich für das Auftreten von Problemspiel-
verhalten“. Niemand hat die merkwürdige Psycho-
logie hinter den Automaten so gründlich untersucht
wie die amerikanische Anthropologin Natasha Dow
Schüll.
Professor Schüll, warum haben Sie ausgerechnet
Spielautomaten erforscht?
In den 1990er Jahren – ich war noch Studentin – bin
ich einmal von New York nach Kalifornien gef logen.
Dabei hatte ich eine Zwischenlandung in Las Vegas.
Man stieg aus dem Flieger und hörte sofort diese
merkwürdigen Geräusche: Überall saßen Menschen
vor einarmigen Banditen. Niemand unterhielt sich.
Ich hatte so etwas noch nie gesehen – und wusste
sofort: Das möchte ich mir näher ansehen.
Korrekt, dass Sie bereits Ihre Bachelorarbeit über
Las Vegas geschrieben haben?
Das stimmt. Es war während der Ära der „Disney-
fizierung“. Davor saßen in Las Vegas Männer in dunk-
len Anzügen um Poker- oder Blackjacktische. Alles


war umweht von dieser Aura des Halbseidenen, Halb-
kriminellen. Aber auf einmal hat sich die Stadt den
ganz normalen Leuten aus der Mittelschicht geöffnet.
Damit schlug auch die Stunde der einarmigen Ban-
diten. Die hatten vorher nur 40 Prozent des Umsat-
zes gemacht. Innerhalb weniger Jahre wurden daraus
80 Prozent.
Mit Spielautomaten wird unfassbar viel Geld ver-
dient, auch in Deutschland.
Darf ich Sie etwas fragen? Wie wird diese Art des
Glücksspiels in Deutschland eigentlich besteuert?
Die Betreiber der Spielhallen zahlen eine Ver-
gnügungssteuer. Pro Jahr kommen da etwa eine
Milliarde Euro zusammen.
Dasselbe Muster findet man überall. Glücksspiel ist
ein einfacher Weg, die öffentlichen Kassen zu füllen,
ohne die Steuern zu erhöhen. Der Staat verdient im-
mer mit. Das sollte man nie vergessen.
Kann Glücksspiel süchtig machen?
Natürlich. Auch wenn sich die offizielle psychiatri-
sche Definition in den großen Diagnostikhandbü-
chern DSM und ICD über die Jahre immer wieder
geändert hat. Früher sah man exzessives Glücksspiel
als ein Problem der Impulskontrolle – in der Nach-
barschaft von Phänomenen wie Pyromanie oder von
Leuten, die sich die Haare ausreißen. Erst in den neu-
esten Fassungen wird es explizit als Sucht aufgeführt.
Sucht ist etwas ausgesprochen Menschliches. Sie
funktioniert immer über dieselben Schaltkreise im

„Spieler sind in einem


Trancezustand: der Zone“


Natasha Dow Schüll erforscht seit vielen Jahren, wie
Geldspielautomaten unser Verhalten steuern. Hier verrät sie,
mit welchen Tricks uns das Design der Maschinen süchtig macht –
und warum psychologische Studien oft zu kurz greifen

Natasha Dow Schüll
forscht und lehrt
an der New York
University. Ihr Buch
Addiction by Design
über die Spielauto-
maten von Las
Vegas gehört heute
an vielen Universi-
täten zur Standard-
lektüre (eine deut-
sche Übersetzung
liegt nicht vor)
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