zwar nicht für alle. Sie ist aber das, womit man rech-
nen sollte. Gleichzeitig geschieht noch etwas anderes:
Der anfangs starke Einf luss der Sexualität auf unse-
re Beziehungszufriedenheit schwindet. Mit anderen
Worten: Ob es uns in Ehe und Beziehung gutgeht,
wird von Jahr zu Jahr weniger auf dem Feld der Lust
entschieden. „Man holt sich das Glück in der Bezie-
hung mit der Zeit eher aus anderen Quellen“, sagt
Gregory Webster von der University of Florida. Das
heißt nicht zwangsläufig, dass die Paare keinen Sex
mehr haben – er ist bloß nicht mehr so dominant.
- Streit vergiftet die Erotik
Die Psychologin Maximiliane Uhlich hat untersucht,
wie alltägliche Streitereien mit Sexualität und Bezie-
hungszufriedenheit zusammenhängen. Die aus
Deutschland stammende Forscherin von der Schwei-
zer Universität Freiburg befragte dazu 180 Paare im
Iran über einen Zeitraum von sechs Wochen. Das
Bild unterschied sich nicht grundlegend von dem in
westlichen Ländern. „Eine befriedigende Sexualität
scheint ein kulturübergreifendes Grundbedürfnis
innerhalb von romantischen Beziehungen zu sein“,
sagt Maximiliane Uhlich. Auch offenbaren die Daten
einen Effekt, den man ebenfalls bereits in westlichen
Gesellschaften hat nachweisen können: Je häufiger
die Paare sich stritten, desto unzufriedener wurden
sie im Schnitt mit ihrer Sexualität und desto magerer
wurde ihr Beziehungsglück. Bei den meisten wirkt
Streit anscheinend wie Gift auf das Verlangen. Kom-
plett verallgemeinern lässt sich das Ergebnis jedoch
nicht. Denn bei einigen Paaren gab es auch einen
gegenteiligen Effekt: Je mehr sie sich stritten, desto
höher wurde ihre sexuelle Zufriedenheit. Durchaus
möglich, so mutmaßt Maximiliane Uhlich, dass die-
se Paare die körperliche Nähe „als Bewältigungsme-
chanismus“ einsetzten. Bei einer Minderheit scheint
Versöhnungssex also zu helfen. „Für die Mehrheit
der Paare funktioniert das aber nicht“, sagt Uhlich.
- Einer will – der andere nicht
Unser sexuelles Verlangen ist wie ein Feuer, das in
der Jugend wild auf lodert, sich später in Glut und
schließlich in qualmende Asche verwandelt. Oder
etwa doch nicht? Kristen Mark hat dokumentiert,
dass sich das Begehren eher wie ein hin und her wo-
gender Ozean verhält: „Verlangen geht und kommt
wie Ebbe und Flut“, erklärt sie.
In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung
zunehmend um ein Phänomen gekümmert, das man
im Englischen als sexual desire discrepancy bezeich-
net. Will sagen: Manchmal ist die Lust auf Sex zwi-
schen zwei Partnern sehr ungleich verteilt. Das ist
bei jedem vierten bis fünften Langzeitpaar der Fall.
Offenbar haben die Männer im Schnitt mehr sexu-
ellen Appetit als die Frauen – es kommt aber darauf
an, wen man fragt: Zwar sagen 57 Prozent der Män-
ner: „Mein Verlangen ist größer als das meiner Part-
nerin.“ Doch umgekehrt bestätigen nur 37 Prozent
der Frauen: „Mein Partner hat ein stärkeres sexuel-
les Verlangen als ich.“ Und bis zu 30 Prozent der Frau-
en bescheinigen sich selbst die stärkere Libido.
Was tun gegen den Frust, vom Partner ein ums
andere Mal abgewiesen respektive ständig bedrängt
zu werden? Kristen Mark empfiehlt drei Maßnahmen.
Die erste: Man spricht aus, dass etwas aus der Balan-
ce geraten ist. „Die meisten Paare reden erst gar nicht
darüber, und das ist vermutlich keine gute Idee.“ Der
zweite Schritt beginnt mit unseren Erwartungen: Man
sollte in jeder Beziehung mit derlei Phasen des Un-
gleichgewichts rechnen. Denn das Auf und Ab unse-
rer Sehnsucht läuft zwischen Partnern nicht immer
synchron. „Der eine hat mehr Lust als der andere –
solche Momente sind unvermeidlich und haben nur
selten etwas mit der Qualität unserer Beziehung zu
tun“, erklärt Kristen Mark. Viele betroffene Paare
brauchen also keine Therapie, sondern nur etwas Ge-
duld. Die dritte Maßnahme? „Besteht darin, sich se-
xuell zu betätigen“, sagt die Sexforscherin, „auch wenn
man gerade kein Verlangen danach verspürt.“
Nähe und Selbsterweiterung
Allerdings sollte dies nicht widerwillig geschehen.
Wenn (noch) nicht die Lust die treibende Kraft ist,
dann vielleicht das – echte – Bedürfnis, einander na-
he zu sein. Wie so häufig liegt auch hier das Geheim-
nis nicht im Akt als solchem, sondern in der Moti-
vation dahinter. Das zeigen etwa die Arbeiten der
kanadischen Psychologin Amy Muise. Für Sex gibt
es mehr als 200 Gründe (siehe Kasten Seite 68). Man-
che von ihnen zielen auf Vermeidung (avoidance),
andere dienen der Annäherung (approach). Vermei-
dung bedeutet, etwas nicht zu wollen: Man will zum
Beispiel keinen Streit mit dem Partner, keinen
Mit den Jahren ist Sex
nicht mehr die dominante
Quelle von Glück