KURZ GEMELDET
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
in Berlin hat zwei mittelalterliche Kunst-
werke an die Erben des jüdischen Unter-
nehmers Harry Fuld senior zurückgege-
ben. Dabei handelt sich um sogenannte
Predellentafeln, die Bebilderung des
Sockels eines Altars. Die Tafeln waren
bisher in der Gemäldegalerie ausge-
stellt und stammen von Giovanni di
Paolo, wie die Stiftung dazu am Don-
nerstag erklärte. Die Museen hatten die
beiden Tafeln 1940 demnach über ei-
nen Kunsthändler erworben. Laut der
Preußenstiftung kann ausgeschlossen
werden, dass der Verkauf ohne die Herr-
schaft der Nationalsozialisten so verlau-
fen wäre, wie dies tatsächlich gesche-
hen ist. Daher habe sich die Stiftung zur
Rückgabe im Sinne der Washingtoner
Prinzipien von 1998 entschlossen. Diese
regeln den Umgang mit NS-Raub-
kunst. dpa
Raubkunstrückgabe
Wie Branchendienste berichten, plant
der Regisseur Richard Linklater eine
Verfilmung des Musicals „Merrily We
Roll Along“ von Stephen Sondheim. Bis
der Film zu sehen ist, wird es aber noch
ein paar Jahrzehnte dauern. 2014 kam
Linklaters Film „Boyhood“ ins Kino, der
über einen Zeitraum von zwölf Jahren
entstanden war. Die Musicalverfilmung
soll diesen ungewöhnlichen Drehpro-
zess nun noch toppen und über einen
Zeitraum von zwanzig Jahren entste-
hen. „Merrily We Roll Along“ basiert auf
dem gleichnamigen Theaterstück von
George S. Kaufman und Moss Hart und
hatte seine Premiere 1981 am New Yor-
ker Broadway. Das Stück erzählt rück-
wärts die Lebensgeschichte des Musical-
Schreibers und Filmproduzenten Frank-
lin Shephard. Ob die Dreharbeiten nun
im Gegensatz zur Handlung chronolo-
gisch stattfinden sollen und ob nicht
auch ein kürzerer Arbeitszeitraum oder
der Einsatz von Maskenbildnern ein
ähnliches Ergebnis erzielen könnten, ist
noch unklar.sz
18 FEUILLETON Samstag/Sonntag, 31.August/1. September 2019, Nr. 201 DEFGH
Bergen an der Südwestküste Norwe-
gens ist eine bezaubernde Stadt –
nur nicht im Winter. Kalt und trist
nieselt das Wetter vor sich hin und
schlägt auch den Einwohnern aufs
Gemüt. Gut möglich, dass Melan-
choliker in diesem Klima besonders
prächtig gedeihen. So einer ist der
Choreograf, Regisseur und Autor
Alan Lucien Øyen, 1978 in Bergen
geboren und im Dunstkreis des
Theaters aufgewachsen, wo sein
Vater als Garderobier anderer Leute
Mäntel verräumte. Der hoch ge-
wachsene, stets etwas bewölkt
dreinblickende Brillenträger weiß
feinmaschige Bewegungs- und
Textnetze zu knüpfen, in denen
sich seine Protagonisten höchst
kunstvoll verfangen. Bis sie darin
wie wehrlose Gefangene der Condi-
tion humaine zappeln, deren ele-
mentarer Wucht niemand ent-
kommt. Liebe, Hass, Zorn, Sehn-
sucht, Selbstzweifel und Zerstö-
rungswut regieren die Gefühlsöko-
nomie schließlich auch in Zeiten
von Tinder & Co. Davon erzählt
„Story.story.die“, Øyens jüngste
Produktion, die am Samstagabend
noch einmal beim Berliner Festival
„Tanz im August“ zu sehen ist.
Sieben fabelhafte Tänzer spiegeln
die Mechanik unserer Selbstinsze-
nierung, die letztlich nur einen
Antrieb und eine einzige Botschaft
hat: hab(t) mich lieb! Da ist die
Frau, die von körperlichem und
seelischem Selbsthass palavert,
sich dabei aber dauerlächelnd be-
gatten lässt. Oder der Kahlkopf im
Fellanzug, der sich grinsend eine
Selbstmassage verpasst, bevor
seine Riesentatze einen erzfreundli-
chen Zeitgenossen erst liebkost und
dann zusammenfaltet – blitzschnel-
ler Umschlag von narzisstischer zu
destruktiver Energie. Ein schüchter-
ner Typ bekennt die brennende
Angst, von aller Welt vergessen zu
werden. Prompt pinseln ihm die
Anderen ein Skelett auf den halb-
nackten Leib, als wäre er längst
lebendig begraben.
Seine enorme Begabung als Thea-
termacher hat Alan Lucien Øyen im
vergangenen Jahr schon beim Wup-
pertaler Tanztheater unter Beweis
gestellt, wo er einen eher sanftmüti-
gen Episodenreigen arrangierte.
Die eigene Kompanie Winter
Guests schont er dagegen nie. „Sto-
ry.story.die“ bringt physisch wie
psychisch hartes Geschütz auf dem
zwischenmenschlichen Minenfeld
in Stellung. Auch darüber kann
man durchaus zum Melancholiker
werden.dorion weickmann
von egbert tholl
J
uno und Jupiter arbeiten als Ar-
chäologen. Dabei schauen Marie
Goyette und Thorbjörn Björnsson
recht göttlich aus, sie tragen weiße
Togen und buddeln im Sand zwi-
schen den Trümmern auf der Bühne. Die
Ausgrabungsstätte ist geschützt durch ein
großes, weißes Zelt in Fachwerkbauweise,
die forschenden Götter hantieren vorsich-
tig mit kleinen Pinselchen. Sie haben et-
was entdeckt. Sie haben offenbar bereits
sehr viel entdeckt, denn im Foyer der riesi-
gen Kraftzentrale im Duisburger Land-
schaftspark Nord ist ein kleines „Museum
der Gegenwart“ eingerichtet, Schaukäs-
ten stehen herum, darin Fundstücke einer
untergegangenen Zivilisation, künstliche
Fingernägel, eine zerfledderte Konzert-
karte, eine löchrige Jeans, eine Ölflasche.
Die Beschriftung des Schaukastens
sagt dazu, dass es sich um einen zähflüssi-
gen Schmierstoff handelt, der bis ins 21.
Jahrhundert im Antrieb von Verbren-
nungsmotoren verwendet wurde, die wie-
derum für individuelle Freiheit standen,
im Lauf des 21. Jahrhunderts aber aus dem
Privatleben der Menschen verschwanden.
Oper hat oft etwas mit Archäologie zu
tun, auch wenn man Henry Purcells „Dido
und Aeneas“ – denn um die geht es bei die-
ser vierten Großproduktion der Ruhrtrien-
nale – nicht unbedingt erst ausgraben
muss. Gleichwohl: Ein mehr als 300 Jahre
altes Artefakt ist sie dennoch. Man kann
das Stück ins Museum stellen oder sich fra-
gen, was es bedeutet, was es erzählt. Der
Regisseur David Marton wählt die zweite
Möglichkeit.
Juno und Jupiter haben inzwischen ein
Ding freigelegt, das zunächst wie eine Ke-
ramik oder ein Schmuckstück aussieht.
Ihr Tun sieht man großformatig auch auf
Video, und es wird begleitet von einem Sir-
ren und Summen aus dem Graben, das Kal-
le Kalima komponiert hat, der hier selbst
E-Gitarre spielt. In diesem Flirren tauchen
klangliche Fundstücke aus Purcells Oper
aus, wie verschüttete Entdeckungen. Man
ahnt, dass der Abend viel konsequenter ge-
dacht und geplant ist, als es vordergründig
den Anschein haben könnte.
Jedenfalls erweist sich der Fund der Ar-
chäologen als ein Handy, auf dem Fotos ge-
speichert sind. Fotos von Dido, der legen-
dären Königin des legendären Karthago,
von ihrem ersten Mann, der getötet wur-
de. Und dann setzt Purcells Ouvertüre ein,
rasend schön gespielt vom Orchester der
Opéra de Lyon unter Pierre Bleuse, und
mit der Oper beginnt die Geschichte von
Dido, die Aeneas liebt wie er sie, der aber
weiter muss, Rom gründen als Ersatz für
das zerstörte Karthago, Jupiter will es so.
Und Dido stirbt an Liebeskummer, singt
am Ende „When I am laid in earth“, also be-
graben sein wird. Um später vielleicht wie-
der ausgegraben zu werden. Als Fund-
stück, als Skelett, dessen Knochenhand
noch die Computermaus hält. „Remember
me“, die schönste Arie der Barockoper.
David Marton, geboren 1975 in Ungarn,
hat schon einige der ungewöhnlichsten
Musik-Theaterabende entworfen. Der Bin-
destrich ist wichtig, denn fast alle fanden
in Schauspielhäusern statt. Marton mach-
te lange Zeit Theater mit Musik, basierend
auf Opernstoffen, also letztlich dann doch
Oper, aber halt auch nicht.
In der ersten Saison von Matthias Lilien-
thal an den Münchner Kammerspielen
übertrug er Vincenzo Bellinis „Sonnambu-
la“ vom entrückten Belcanto in eine wun-
dersam gutgelüftete Erzählung über die
Wahrheit von Gefühlen und brauchte da-
für gerade mal eine Handvoll Musiker und
Sänger; im selben Jahr, 2016, baute er in
den Hof des Hauses eine Opernbude für in-
timste Begegnungen, schon hier gab es
„Dido und Aeneas“, allerdings nur ein paar
Minuten und nur für drei Zuschauer.
Marton hat am Schauspiel Dresden
Wagners „Rheingold“ mit ein paar Schau-
spielern, Musikern und Sängern als überle-
gen durchsichtige und alle Mittel der Oper
durchschauende Theatererzählung prä-
sentiert, hat aus Bachs „Wohltemperier-
ten Klavier“ Theater gemacht, an der Berli-
ner Schaubühne und am Hamburger Tha-
lia Theater die Schönheit von Monteverdis
Musik zu einem intimen Erlebnis werden
lassen, hat vieles an der Berliner Volksbüh-
ne gemacht, dazu gleich. Eines fällt auf:
Die genannten sind keine Opernhäuser.
Lyon schon. Die Oper dort wird geleitet
von dem unternehmungslustigen Serge
Dorny, der das Haus zu einem der span-
nendsten in Europa machte und 2021 die
Bayerische Staatsoper übernehmen wird.
Es ist das einzige Opernhaus, an dem Mar-
ton bislang gearbeitet hat, das allerdings
schon fünf Mal.
Die ersten Inszenierungen, sagt er, sei-
en richtig Oper gewesen, dann sei er freier
geworden. „Eine kontinuierliche Entwick-
lung“, von beiden, Marton und Dorny. Als
vor langer Zeit Stefanie Carp, Leiterin der
Ruhrtriennale, Marton nach einer Zusam-
menarbeit fragte, dachte er an eine Mini-
halle, an Oper im LKW. Es wurde dann
doch ein Riesenzauber, mit vollem Orches-
ter, zwei Schauspielern (die Götter), drei
Opernsängerinnen und –sängern und Eri-
ka Stucky als Hexe, Zauberin, Venus, archa-
isches Jodelgurgelwesen. Herausgekom-
men ist die Aufführung im März in Lyon;
ihre wahre Pracht jedoch entfaltet sie erst
in der riesigen Industriehalle in Duisburg.
Er habe in Ungarn den üblichen Weg ei-
ner Musikausbildung in sozialistischen
Zeiten eingeschlagene, so Marton, also Mu-
sikschule, Konservatorium, Akademie,
hat Klavier studiert, bis er auf einen Flyer
für einen Sommerkurs in Berlin stieß. Zu-
fall. Er nahm ihn an. Und begann, an der
Hanns-Eisler-Musikhochschule das Diri-
gierstudium. „Dirigieren ist auf mittelmä-
ßiger Ebene nicht so kompliziert.“
Erst jenseits der technischen Ebene wer-
de es interessant, wenn Gehör, Genialität
und Gehirn dazukämen. Er lässt offen, wie
er sich selbst da sieht. Wohl eher skep-
tisch. Schließlich sah er den nächsten Fly-
er, die Schaubühne suchte einen Korrepeti-
tor, Marton, wie er sagt, „einen Job und
Kohle“. Am Ende war er der musikalische
Leiter der Produktion, der Schauspieler
Matthias Matschke meinte, Marton müsse
Christoph Marthaler an der Volksbühne
kennenlernen, nahm ihn dorthin mit, wie-
der unterstützte Marton die Proben, fühl-
te sich geduldet, „als habe er einen Asylan-
trag laufen“, bis ihm Anna Viebrock, die
Ausstatterin, eine Hose gab. Da wusste er,
er ist dabei.
„Dann entdeckte ich die Theaterwelt
wie im Rausch.“ Zwei Jahre lang saugte er
alles auf, machte seine erste freie Produkti-
on in den Berliner Sophiensälen mit Men-
schen, mit denen er bis heute zusammen-
arbeitet. Nur Jelena Kuljic, flirrende Sänge-
rin avantgardistischen Jazz’, hat er verlo-
ren. „Sie ist Staatsschauspielerin gewor-
den, das ist toll für sie, aber sie fehlt mir.“
Kuljic ist im Ensemble der Kammerspiele.
Marton dachte nicht an Oper im Thea-
ter. Sondern eben an Musik-Theater. Er
wollte „durch und mit Musik Menschen er-
zählen“. Er habe die Oper gar nicht verän-
dern wollen, sie lieferte ihm einfach das
Material, mit dem er arbeiten wollte. „Ich
habe nicht daran gedacht, wie und ob das
als Oper wahrgenommen wird.“ Er brauch-
te einen freien Raum, um frei arbeiten zu
können, und das war die Volksbühne, das
einmalige Biotop: „Ich hätte Castorf zum
Intendanten auf Lebenszeit ernannt“.
David Marton ist keiner, der antrat, den
Opernbetrieb umzukrempeln, in dem die
Werkgestalt, ganz anders als im Schau-
spiel, für sehr viele immer noch sehr heilig
ist. Nimmt man etwa seine Duisburger „Di-
do“, so kriegt man alles, was Purcell kom-
ponierte, man kriegt einen aufregenden
Chor und zwei tolle Frauen, Alix Le Saux
als Dido und Claron McFadden als Belin-
da, und Guillaume Andrieux als Aeneas, ei-
nen Bariton, der falsettieren kann wie ein
Counter. Man kriegt also die ganze Barock-
pracht, aber noch viel mehr. Nämlich die
Antwort auf Martons Frage, wie man mit
den formell starken Vorgaben des Musik-
theaters erzählen kann. Bei vielen Regis-
seuren kommt dabei eine konzeptuelle Er-
zählung heraus, die an den Rändern
knirscht. Was auch nicht so schlimm ist.
Martons beschreibt sein Dilemma so:
„Ich bin ein Straßenhund zwischen Thea-
teridentitäten“, zuhause in der deutschen
Bahn, manchmal auch in Berlin. Zudem
lassen sich freie Musiktheaterproduktio-
nen so gut wie nicht finanzieren, die Oper
will Oper, die Theater wollen meist mindes-
tens zur Hälfte ihre Schauspieler in den
Produktionen sehen – daran scheiterte
Martons „Figaro“ an den Kammerspielen.
„Ich würde gerne Musiktheaterprojek-
te machen, die frei mit der Musik umge-
hen. Dafür aber sehe ich immer weniger
Platz im deutschen Stadttheater.“ Im Thea-
ter will er kein „Klangchen“ im Hinter-
grund, er will aber in der Oper selbst auch
keine „künstlerische Rechtfertigung
durch Miniänderungen“. Und kein Marton-
Siegel. Als nächstes macht er Oper-Oper,
Tschaikowskis „Pique Dame“ in Brüssel.
Wahrscheinlich ändert er da gar nichts am
Werk. „Ich will nicht zwei Stunden lang
auf den Minimoment der Legitimation
meiner Regie warten, ich will drei Stunden
eine Geschichte erzählen. Und ich habe
auch nicht die Hybris zu glauben, ich wür-
de die Oper verändern.“
In Zeiten, in denen nonkonforme Pro-
jekte an den meisten Häusern in der Tisch-
lerei oder im Malersaal stattfinden (wenn
überhaupt), klassische Konzertprogram-
me meist aus der Wiederholung des Im-
mergleichen bestehen, fand Marton seine
Freiheit. Seine „Dido“ erzählt mit psycho-
logischer Wahrhaftigkeit die Geschichte,
atmet Gegenwart durch Kalimas Interven-
tionen, wodurch Raum entsteht, völlig na-
heliegend das Stranden der Trojaner in
Karthago als zeitgenössisches Flüchtlings-
drama zu erzählen, aber sie blinzelt mit
den archäologischen Göttern auch in Rich-
tung der Wahrnehmung von Oper an sich.
Wann die nächste Gelegenheit zu so etwas
kommt? „Oper ist nicht mein Lebensthe-
ma. Musik ja.“
Auf dem Stadtportal Münchens
werden zu den „Top 20 Sehenswür-
digkeiten“ gerechnet: Frauenkir-
che, Alter Peter, Hofbräuhaus, Alli-
anz Arena, Alte Pinakothek, Neue
Pinakothek, Allerneueste Pinako-
thek (der Moderne)... Alles gut,
schön und sehenswürdig. Nur fehlt
leider auf dieser Liste die, wie Pep
Guardiola sagen würde, Toptoptop-
Sehenswürdigkeit: die Augusten-
straße 105.
Das ist ein Schwarzbau aus der
Nachkriegszeit, zusammengezim-
mert aus Schutt, Asche und Überle-
benswillen, der von so grandioser
Hässlichkeit ist, die tatsächlich
auch schon wieder sehr schön und
jedenfalls absolut sehenswert ist.
Es ist das letzte Behelfshäusl in der
Maxvorstadt – bestehend aus zwei
Ladeneinheiten zur Augustenstra-
ße und zum Hof hin aus einem
Wohngebäude, das eigentlich nur
ein halbes Dach mit drei seltsam
platzierten Beinahe-Schleppgau-
ben in drei verschiedenen Größen
ist. Das Schöne an diesem En-
semble: Diese Architektur ist eine
der stadträumlichen und sozial-
räumlichen Identitätsstiftung. Wer
das Spitzdachhaus sieht, der weiß,
wo er ist in München. Es ist un-
verkennbar und einzigartig.
Was man von den Büros und Woh-
nungen, die statt des Kuriosums
gebaut werden sollen, vermutlich
eher nicht wird sagen können: Mut-
maßlich werden die Büros wie
Büros und die Wohnungen wie
Wohnungen aussehen. Die Stadt
will das zwar nicht, gut so, der
Investor klagt aber dagegen.
Schlecht. München wird immer
austauschbarer und kraftloser in
seiner Gestalt. Markante Bauten
sind schon jetzt exotisch. Die Schön-
heit einer stadträumlichen Situati-
on ist nicht das, was der Immobili-
enmarkt darunter versteht, son-
dern sie ist das, was sich unter
besonderen Umständen aus Signifi-
kanz, Patina und Baugeschichte
zusammensetzt. Und aus den Men-
schen, die dort leben und arbeiten.
Das ist eine Geschichtlichkeit, die
mit viel Geld nicht zu kaufen ist.
Erhaltet das Kuriosum: Es ist kein
Kuriosum, sondern eine Sehens-
und Liebenswürdigkeit, es ist Mün-
chen. gerhard matzig
20 Jahre Dreharbeiten
Jeden Salzburger Sommer glaubt
man, sich satt gehört zu haben an
den Werken Mozarts, die dort bis
zum provinziellen Exzess abgespult
werden. Doch immer, wenn man
glaubt, es geht nicht mehr, kommt
ein junger Dirigent daher, zuletzt
Teodor Currentzis, nun der vor
Musikalität schier platzende Rapha-
el Pichon. Der französische Diri-
gent überrascht dort und nun auch
mit einer herausragenden Aufnah-
me: Pichon hat selten gehörte Wer-
ke Mozarts mit Kompositionen von
Giovanni Paisiello und Antonio
Soler zu einer neuen Oper „Libertà“
kombiniert. Sein Ensemble „Pygma-
lion“ zaubert nie gehörte Mozart-
Klänge hervor, und die betörenden
Sopranistinnen leuchten noch in
die letzte Nische der Partitur. Eine
von ihnen, etwa Siobhan Stagg,
hervorzuheben, wäre dabei wahr-
scheinlich fast schon wieder unge-
recht. helmut mauró
Kann Schrift laut sein? Kann sie
schnell sein? Unbedingt, meinten
die italienischen Futuristen. Die
Schlagzeilen und Balkenüberschrif-
ten hatten es ihnen angetan, die
riesigen Reklamen an den Haus-
wänden. In ihren Manifesten ka-
men die Buchstaben aus Megafon-
trichtern. Gern betrieben die Avant-
gardebewegungen Reklame für
sich selbst. Sie nutzten dafür Buch
und Broschüre, Plakat und Anzeige,
Fotografie und Film und nicht zu-
letzt die Ausstellung.
In der Berliner Kunstbibliothek ist
derzeit im Rahmen des Bauhaus-
Jubiläums ein reizvolles Beispiel zu
sehen, eine Rekonstruktion der
Ausstellung „Wohin geht die typo-
grafische Entwicklung?“, die der
aus Ungarn stammende Maler,
Fotograf, Typograf und Bühnenbild-
ner László Moholy-Nagy im Früh-
jahr 1929 zusammenstellte. Alle 78
Text- und Bildtafeln der Ausstel-
lung, die im Martin-Gropius-Bau
gezeigt wurde, hat er der Staatli-
chen Kunstbibliothek geschenkt.
In programmatischer Kleinschrei-
bung – sie war als Instrument der
Beschleunigung des Schreibens
gedacht – verkünden die Schreib-
maschinenbuchstaben, dass die
Typografie aus dem Zeitalter des
Setzens herausgetreten ist. Aus
dem Setzer wird der „Monteur des
Druckmodells“, der alle möglichen
Schrift- und Bildelementen auf
einer Seite versammelt und davon
ein „Typo-Foto“ erstellt, das zur
Vorlage einer Druckplatte wird.
Auf den französischen Dichter Guil-
laume Apollinaire und die Futuris-
ten beruft sich Moholy-Nagy bei
der Aufsprengung des Zeilenban-
des. Sehr schön ist zu sehen, wie –
etwa in den Bauhaus-Büchern – die
Experimente mit Vertikalen, Kei-
len, Winkeln, roter und schwar-
zer Farbe zugleich dem Impera-
tiv der Standardisierung folgen,
den industriellen DIN-Normen.
Flankiert werden Moholy-Nagys
Text- und Bildtafeln durch Filmpla-
kate, Einladungskarten, Vordrucke,
Buchumschläge, Geschäftsformula-
re von Herbert Bayer, Willi Baumeis-
ter, Kurt Schwitters, Jan Tschichold
und anderen. Wie die Parfümrekla-
me gehört die Biersteuer-Erklä-
rung zu den Visitenkarten der „Neu-
en Typografie“. lothar müller
László Moholy-Nagy und die neue Typo-
grafie.Bis15. September. Kunstbibliothek
Berlin,Kulturforum.
Dann setzt die Ouvertüre
von Henry Purcells Oper ein
- rasend schön gespielt
Marton über Marton:
„Ich bin ein Straßenhund
zwischen Theateridentitäten.“
Der Freiräumer
David Marton wollte die Oper nie verändern. Hat er aber.
Ein Treffen in Duisburg, wo er „Dido und Aeneas“ inszeniert
Als der sehr politische Folksänger Woody
Guthrie 1950in den Beach Haven Apart-
mentkomplex in Brooklyn zog, lernte er
schon bald, seinen Vermieter zu hassen. Der
hieß Fred C. Trump, Vater des späteren Prä-
sidenten Donald. Guthrie war so wütend,
wie schamlos Trump nur an Weiße vermie-
tete, dass er einen Vers über „Old Man
Trump“ schrieb und später seine Ballade
über die Heimatlosen der Depression „I
Ain’t Got No Home“ ergänzte. sz
„Ich nehme an, der alte Trump weiß
Wie groß der rassistische Hass ist
Den er in den Herzen der Menschen aufge-
wühlt hat
Als er die Farbgrenze zog
Hier in diesem Komplex für achtzehnhun-
dert Familien
Beach Haven ist nicht mein Zuhause!
Ich kann einfach die Miete nicht bezahlen!
Mein Geld ist futsch!
Meine Seele ist böse verbeult!
Beach Haven sieht aus wie der Himmel
Wo keine Schwarzen herumlaufen!
Nein, nein, nein! Alter Trump!
Old Beach Haven ist nicht mein Zuhause!“
Alan Lucien Øyens Choreografien
FOTO: HARMONIA MUNDI
Augustenstraße 105
Der gebürtigeUngar David Marton ist nach Berlin und Lyon nun bei der Ruhrtriennale angekommen. FOTO: IMAGO
FOTO: KUNSTBIBLIOTHEK, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN
GEHÖRT, GELESEN,
ZITIERT
Old Man Trump
FOTO: MATZIG
FOTO: MATS BACKER
Raphael Pichon László Moholy-Nagy und die Typografie
VIER FAVORITEN DER WOCHE