von caspar dohmen
Gazipur– „Beieinem Feuer können die
Menschen auf das Dach fliehen“, sagt San-
joy Kumar Das und vermerkt es in seinem
Computer. Der staatliche Arbeitsinspektor
steht auf dem Dach der zehnstöckigen Fa-
brik Hop Lun nördlich von Dhaka in Ban-
gladesch. Rundherum mehrstöckige Bau-
ten mit flachen Dächern, meist grau, aber
auch blau, gelb oder weiß gestrichen;
durch den Verkehrslärm dringt schwach
das Gebet eines Muezzins. Der Arbeitsin-
spektor hat aber nur Augen und Ohren für
Türen, Treppen und Schlösser und will von
den Managern wissen, wie gut sie ihre Ar-
beiter und die Fabrik auf einen Ernstfall
vorbereitet haben. Dann steigen sie die
Treppen hinab in die Produktion, die er-
füllt ist vom Rattern der Nähmaschinen.
Große Ventilatoren in der Wand schaufeln
Frischluft hinein. 6100 Arbeiter, überwie-
gend Frauen, oft barfuß und in ihren tradi-
tionellen Saris gekleidet, sitzen an mehr
als 3000 Nähmaschinen und nähen jeden
Monat drei Millionen Slips, Büstenhalter,
Badeanzüge, die bei Ketten wie H&M, Pri-
mark oder Carrefour verkauft werden.
Arbeitsinspektoren sind in Bangladesch
gefragt, seitdem bei der Katastrophe von
Rana Plaza am 24. April 2013 mehr als 1130
Menschen starben. Vorher hatten Aktivis-
ten vergebens auf Probleme von Statik
und Feuerschutz in den Fabriken hingewie-
sen. Nach dem Unglück waren die miserab-
len Arbeitsbedingungen schlagartig ein
Thema. Der Druck auf Bangladesch und
die Unternehmen stieg, endlich Abhilfe zu
schaffen. Bangladesch baut seitdem die
Arbeitsinspektion aus, auch mithilfe der
deutschen Bundesregierung. Wer bei der
Arbeitsschutzbehörde in Dhaka oder ei-
nem der 23 Regionalbüros vorbeischaut,
trifft viele junge Leute. Die Situation in der
Behörde habe sich deutlich verbessert, sa-
gen Mitarbeiter der regionalen Arbeits-
schutzstelle in Gazipur. Die Industriestadt
im Großraum Dhaka mit mehr als vier Mil-
lionen Einwohnern beherbergt 4105 Fabri-
ken. Von den 69 Planstellen für Inspekto-
ren in der Stadt sind 26 besetzt, wobei die
Arbeitsinspektoren keinen Hehl daraus
machen, dass auch 69 von ihnen nicht aus-
reichen würden für die viele Arbeit.
Andererseits habe es vor fünf Jahren
erst drei Inspektoren gegeben, sagt Shuly
Aktar, stellvertretende Leiterin des Regio-
nalbüros. Und es werde weiter rekrutiert.
Die Stellen seien ja begehrt, sagen diejeni-
gen, die schon im Job sind. Die Vorausset-
zungen sind nicht so viel anders als in ei-
nem westlichen Land: ein Studium mit Ba-
chelor-Abschluss und das Bestehen des
Auswahlverfahrens für den öffentlichen
Dienst. Es liegt wohl auch daran, dass die
Deutschen mitreden. „Eine ausreichende
Zahl gut ausgebildeter Arbeitsinspektoren
ist ein zentraler Baustein für sichere Fabri-
ken, und wir werden Bangladesch dabei
weiter unterstützen“, betont Bundesent-
wicklungsminister Gerd Müller (CSU) im-
mer wieder, wenn er über die Textilbran-
che spricht, eines seiner Hauptthemen.
300 Arbeitsinspektoren habe man in Ban-
gladesch bislang ausgebildet.
Die Katastrophe von Rana Plaza hat die
Textilindustrie des Landes verändert: Jede
dritte der einst 6000 Fabriken, die für den
Export gefertigt haben, hat geschlossen.
Es gab keine Aufträge mehr oder die Besit-
zer haben angesichts der schärferen Kon-
trollen das Geschäft aufgegeben.
Und das Gesicht der Industrie hat sich
geändert: Früher arbeiteten die Näher
meist seit an seit in Geschäften mit ande-
ren Betrieben oder Banken. Viele Fabriken
sind in Industriegebiete umgezogen, die
wesentlich leichter kontrolliert werden
können, erklärt Tuomo Poutiainen. Der
Landeschef der Internationalen Arbeitsor-
ganisation ILO stellt den für den Export
produzierenden Textilfabriken ein gutes
Zeugnis aus: „Die Lage hat sich drastisch
verbessert“. Aber es bleibe noch einiges zu
tun, und so hoffe er, dass die Industrie den
neuen Kurs weiter verfolgen. Doch das ist
nicht sicher. Die auch vom Westen ge-
wünschten Investitionen in gute Fabriken
schlügen sich nicht nieder in höheren Prei-
sen, beklagt etwa Asif Ibrahim, Vorstand
des Textilfabrikantenverbandes: „Anstatt
besser, werden die Margen schlechter.“
Von dem Unglück ist in Rana Plaza
nichts mehr zu sehen. Die Trümmer sind
weggeräumt, heute wuchert hier Gras. Ei-
ne Baulücke wie so viele im Großraum Dha-
ka. Der Blick von der Straße auf das Areal
ist versperrt, durch Garküchen und einen
Zaun. An einem Tag im Juli steht hier Mo-
xuda, eingehüllt in einen ausgewaschenen
Sari. „Ich komme regelmäßig her und bete
für meinen Sohn, eines der Opfer“, erzählt
sie. Er wäre wohl nicht mit 18 Jahren gestor-
ben, wenn rudimentäre Bauvorschriften
eingehalten worden wären. Zwar hatten
private Auditoren im Auftrag von Firmen
aus dem globalen Norden die Fabrik vor
dem Unglück inspiziert, aber die Statik ge-
hörte nicht zur ihren Aufgaben. Die Behör-
den waren heruntergewirtschaftet, es fehl-
te Personal an allen Ecken und Enden.
Damit steht Bangladesch nicht allein.
Viele Länder haben notwendige Beamten-
stellen gestrichen und bezahlen die Verblei-
benden oft schlecht, was anfällig macht
für Korruption. „Es gibt solche und solche
Inspektoren“, antwortet Shuly Aktar diplo-
matisch auf die Frage nach Korruption in
der regionalen Arbeitsschutzbehörde. Alle
Inspektoren nutzen hier bereits ein neues
elektronisches Erfassungssystem, dessen
Einführung die ILO unterstützt. „Es
schafft Transparenz“, sagt Mehedi Hasan,
der bei der Arbeitsschutzbehörde DIFE für
die Einführung des Systems zuständig ist.
Jetzt falle schnell auf, wenn ein Beamter
nur wenige oder immer die gleichen Fabri-
ken kontrolliere oder auffällig wenig Män-
gel feststelle. „Damit verschwindet die Kor-
ruption nicht, aber sie wird erschwert“,
sagt ILO-Landesdirektor Poutiainen.
Das Land ist von der Textilbranche ab-
hängig – mit 4,5 Millionen Beschäftigten,
von deren Lohn etwa 20 Millionen Men-
schen leben. Wichtigster Exportmarkt ist
Europa und hier Deutschland, wohin Ban-
gladesch 2018 Güter für 5,8 Milliarden Eu-
ro geliefert hat, vor allem eben Kleidung.
Als das Land nach Rana Plaza um diese In-
dustrie fürchtete, kamen zwei private Initi-
ativen ins Spiel, finanziert von Unterneh-
men aus dem globalen Norden, unter Betei-
ligung von Gewerkschaften und zivilgesell-
schaftlichen Organisationen.
Die Alliance und der Bangladesch Ac-
cord inspizierten mehr als 3000 Fabriken,
wobei sie viele Sicherheitsmängel fanden,
die sukzessive abgestellt werden. Die Alli-
ance hat ihre Arbeit in ihrer jetzigen Form
beendet, der Bangladesch Accord plant
dies für Mitte nächsten Jahres. Gegen das
Auslaufen seiner Lizenz hatte sich der
Accord lange gewehrt, weil er die staatliche
Struktur noch für unzureichend hält. Aber
auch Accord-Chef Rob Wayss, ein ehemali-
ger US-Gewerkschafter, sieht große Fort-
schritte in dem südostasiatischen Land.
„Verglichen mit anderen Entwicklungslän-
dern stehen in Bangladesch die sichersten
Fabriken.“ Jetzt gehe es darum, das Beste
aus der Situation zu machen, sagt er.
Hop Lun, was so viel wie „gute Hoff-
nung“ bedeutet, gehört zu den Fabriken,
die der Accord bei Gebäudesicherheit und
Feuergefahr für gut befunden hat. Auch in
einer solchen Vorzeigefabrik ist die Takt-
zahl für die Arbeiterinnen hoch. An den 116
Produktionslinien hängen Smilys: Lächelt
einer, hat die Linie ihr Pensum erfüllt,
schaut er traurig, sind die Näherinnen in
Verzug. In solchen Fabriken passieren im-
mer wieder Unfälle, schnell verletzt sich je-
mand an der Nähmaschine am Finger. Für
eine Fabrik dieser Größe sind zwei Kran-
kenstationen und Ärzte vorgeschrieben.
Sanjoy Kumar Das überprüft sie, be-
fragt eine Ärztin und kontrolliert den Medi-
kamentenschrank, der gerade ziemlich
leer ist. In der Produktion unterhält er sich
mit Arbeitern und Arbeiterinnen. Inklusi-
ve Leistungsprämien und Überstunden
könne sie umgerechnet 150 Euro monat-
lich verdienen, berichtet eine, was knapp
das Doppelte des gesetzlichen Mindest-
lohns von 80 Euro ist. Sind solche Gesprä-
che überhaupt sinnvoll, wenn der Personal-
verantwortliche danebensteht? „Entschei-
dend ist, dass es hier in der Fabrik eine Be-
triebsgewerkschaft gibt“, sagt der Arbeits-
inspektor gelassen. Mit deren Vertretern
will er später vertraulich sprechen.
Im Gespräch mit Journalisten nehmen
die Gewerkschafter im Betrieb kein Blatt
vor den Mund, auch wenn Manager dabei
sind. „Früher hatten wir manchmal Angst,
nach Hause zu gehen“, sagen Urmi, Shopon
und Halima vom Betriebsrat. Vorgesetzte
hätten ihnen mit der Kündigung gedroht.
Damals setzte die Geschäftsleitung selbst
eine Arbeitervertretung ein, eine übliche
Praxis. Seit Rana Plaza haben Beschäftigte
in 500 Betrieben freie Gewerkschaften ge-
gründet, die jedoch häufig ziemlich auf
sich allein gestellt agieren, was auch die Be-
triebsräte bei Hop Lun eingestehen. Aber
die Situation ist besser geworden. Mana-
ger, welche die Gewerkschaftsgründung
abgelehnt hatten, sind mittlerweile ausge-
tauscht worden. Der heutige Personalchef
Mohammad Anrif Chowdhury hält den so-
zialen Dialog für wichtig, auch für die Effi-
zienz der Fabrik. Aber längst nicht alle Ge-
werkschafter können im Land ungestraft
agieren. Bei den Protesten für einen höhe-
ren Mindestlohn im vergangenen Jahr wur-
den einige Arbeitervertreter inhaftiert.
Der Fabrik Hop Lun stellt Sanjoy Kumar
Das ein gutes Zeugnis aus. Nur wenige Din-
ge haben ihm missfallen, etwa die schwe-
ren Ballen mit Kleidungsmüll, die Arbeiter
im Hof verladen haben. Andererseits hätte
eine schlechte Fabrik wohl auch kaum ei-
nen Arbeitsinspektor mit Journalisten her-
eingelassen. Der Fokus bei der Arbeitssi-
cherheit lag in den vergangenen Jahren in
Bangladesch auf den Textilfabriken, die
für den Export produzieren. Aber wie sieht
es eigentlich in den anderen Fabriken aus?
Bis heute kommt es zu Unglücken, auch in
Gazipur, wo bei einem Brand 2015 in einer
Chemiefabrik 34 Menschen starben und
2017 bei der Explosion eines Boilers in ei-
ner Textilfabrik 13 Menschen. Am Tag, als
Arbeitsinspektor Das Hop Lun inspiziert,
brennt eine Spinnerei in der Stadt ab,
sechs Menschen sterben. Ein Indiz dafür,
dass bei den Zulieferbetrieben noch eine
Menge Arbeit auf die Inspektoren wartet.
Hinweis: Der Beitrag entstand nach einer Recher-
chereise mit der Deutschen Gesellschaft für die
Vereinten Nationen.
Die Statik
stimmt
Sechs Jahre nach dem Brand von Rana Plaza sind die
Arbeitsbedingungen in Textilfabriken besser geworden
In 500 Betrieben betreiben
die Beschäftigten nun
Unternehmensgewerkschaften
Die Arbeiterinnen verdienen
bis zu 150 Euro im Monat –
Überstunden inklusive
Bangladesch baut seit
der Katastrophe
die Arbeitsinspektion aus
Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Gazipur nördlich von Dhaka
in Bangladesch.FOTO:MEHEDI HASAN/IMAGO
28 WIRTSCHAFT HMG Samstag/Sonntag, 31.August/1. September 2019, Nr. 201 DEFGH
- April 1937 25. August 2019
„Ich wollte immer nur Autos bauen.“
Zutiefst erschüttert über den unerwarteten Tod
meines geliebten Ehemannes, unseres hochgeehrten Partners, Vaters und Großvaters
HERRN DIPL. ING. ETH, PROF. DR. H.C. FERDINAND K. PIËCH
Ingenieur, Perfektionist und Visionär
nehmen wir Abschied von einem herausragenden Menschen.
In tiefer Trauer:
Ehefrau Ursula Piëch und Familie
Marlene Porsche und Familie
Herma Hutter und Familie
Corina von Planta und Familie
Die Beisetzung findet im engsten Familienkreis statt.
Allfällige Kondolenzschreiben senden Sie bitte an:
Trauerhaus Dipl. Ing. ETH, Prof. Dr. h.c. Ferdinand K. Piëch, Imbergstraße 29, 5020 Salzburg, Österreich
Ferdinand K. Piëch