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er Schlaumeier sieht wieder
blendend aus. Braunge-
brannt, Flipflops, verspiegelte
Sonnenbrille, den Kragen
hochgestellt. Dazu diese strah-
lend weißen Zähne. Wer Uli Köhler trifft,
kann sich gut vorstellen, dass dieser Mann
sogar in München eine schöne Klippe fin-
det, von der er ins Meer springen kann.
Was auch daran liegt, dass Köhlers Profil-
bild bei Whatsapp ihn beim Sprung von
einer Klippe ins Meer zeigt. Es ist jeden-
falls schwer, in Deutschland einen 68-Jäh-
rigen zu finden, der jünger geblieben ist.
Köhler ist eine der markantesten Figu-
ren des deutschen Sportjournalismus, und
wenn der Begriff „Kult“ nicht so runterge-
wohnt wäre, dann wäre Köhler genau das:
Kult. Er ist das letzte Exemplar des klassi-
schen Münchner Sportjournalismus, der
über die Jahre eine ganz eigene Balance
aus Nähe (viel) und Distanz (wenn nötig)
zum großen FC Bayern kultiviert hat. Köh-
ler hat für dieAbendzeitunggeschrieben,
als darin noch die relevantesten Geschich-
ten über die Stadt und ihren größten Fuß-
ballverein standen. Er hat für den Bayeri-
schen Rundfunk Filme gedreht, als die Öf-
fentlich-Rechtlichen noch ein Monopol
hatten. Als sich der Journalismus breiter
aufgestellt hat, hat sich auch Köhler brei-
ter aufgestellt. Inzwischen ist er Reporter
bei Sky Sport News HD. Er twittert auch.
An diesem Vormittag steht Uli Köhler
wieder an der Säbener Straße, alle 30 Minu-
ten schalten sie live zu ihm rüber, keiner er-
klärt den FC Bayern so lässig wie er. Der frü-
he Köhler war so eine Helmut-Dietl-Figur,
auf alten Filmen trifft man ihn im Pelzman-
tel, mit blauer Sonnenbrille und mit Haa-
ren, deren Farbe man in der Natur lange
suchen muss und dann doch nicht findet.
Dieser zu Recht berühmte Uli Köhler ist
vor ein paar Monaten noch ein bisschen be-
rühmter geworden – dank Uli Hoeneß. Hoe-
neß ist ein Jahr jünger als Köhler, twittert
aber nicht. Hoeneß springt auch nicht von
Klippen ins Meer, was vermutlich gut für
das Meer und sicher gut für Hoeneß ist.
Der Tag, an dem Uli Köhler noch be-
rühmter wird, ist der 19. Oktober 2018, der
Tag der sagenhaften Pressebeschimp-
fungskonferenz, ein historischer Tag, wie
man heute weiß. Es ist der Moment, in dem
jeder dem FC Bayern dabei zusehen kann,
wie er von einer Klippe herunter aus der
Zeit fällt. Und mit dem FC Bayern auch Uli
Hoeneß, was sowieso dasselbe ist.
An diesem Donnerstagabend hat Hoe-
neß dem Aufsichtsrat des FC Bayern mitge-
teilt, was seit Wochen die ganze Fußballre-
publik gewusst hat: dass er sich bei der Jah-
reshauptversammlung im November
nicht mehr zur Wiederwahl als Präsident
stellt, auch den Vorsitz im Aufsichtsrat gibt
er ab; beide Ämter soll Herbert Hainer
übernehmen, der frühere Chef von Adidas.
Im Aufsichtsrat wird Hoeneß bleiben.
Es ist ein Abschied aus der ersten Reihe,
nach vier Jahrzehnten. Es ist ein Abschied,
der Fragen provoziert: Ist Hoeneß amtsmü-
de, frustriert, mag er nicht mehr? Oder
bleibt er mächtig und baut sich seinen
Klub so hin, dass er ihn aus der zweiten
oder anderthalbten Reihe weiter lenkt? Die
Geschichte der letzten Monate deutet dar-
auf hin, dass beides stimmt: Der Monarch
geht, aber erst mal nur in Altersteilzeit.
Die Geschichte der letzten Monate ist
nicht zu verstehen ohne diese Pressekonfe-
renz, auf der sich der Klub vor aller Augen
selbst verstümmelt. Der FC Bayern hat die
PK auf Youtube hochgeladen, mehr als
750000 Menschen haben sie sich bisher an-
geschaut. „Stellungnahme zu Medienbe-
richten“ hat die Social-Media-Abteilung
des Klubs über das Filmchen geschrieben,
ein ausgezeichneter Name für einen 32-mi-
nütigen Wutanfall. Die Pressekonferenz be-
ginnt mit Uli Hoeneß und Uli Köhler.
Am liebsten würden die Bayern diese
Pressekonferenz inzwischen verdrängen,
wie die Gallier in „Asterix und der Arverner-
schild“ am liebsten verdrängen würden,
dass es Alesia gibt, den Ort der großen galli-
schen Niederlage. Man würde sich jetzt ger-
ne vorstellen, wie Albert Uderzo einen Co-
mic zeichnet, darauf ein Mann mit rotem
Gesicht, der die Hände empört in die Hüf-
ten stemmt und ruft: „Die Pressekonfe-
renz? Die gibt es nicht!“ Es ist die Presse-
konferenz, in der Uli Hoeneß, bevor er aufs
Podium steigt, kurz innehält und Uli Köh-
ler „Schlaumeier“ ins Gesicht zischt.
Warum? Weil Köhler zuvor die Meinung
vertreten hatte, dass der FC Bayern einen
Spieler namens Bernat nicht ersetzt habe.
„Lieber Uli“, ruft Hoeneß also in der 17. Mi-
nute der Pressekonferenz in Richtung Köh-
ler, „zum zweiten Mal habe ich jetzt gehört,
dass du diesen Juan Bernat – Bernat! – so
verherrlichst ... Ich sage dir mal eins“, fährt
Hoeneß, lauter werdend, fort und erinnert
an einen Abend in Sevilla, an dem Bernat –
Hoeneß wird noch lauter – „einen Scheiß-
dreck“ gespielt habe. Einen Scheißdreck!
In der Jugend haben Hoeneß und Köh-
ler gegeneinander Fußball gespielt, Hoe-
neß im Sturm von Ulm 1846, Köhler im Tor
des FC Bayern, „nach seinem Schuss ha-
ben meine Hände gebrannt“. Hoeneß und
Köhler haben sich all die Jahrzehnte im-
mer wieder gestritten und immer wieder
vertragen, manchmal hat Hoeneß’ Fahrer
aus dem Auto Köhler angerufen und ge-
sagt: „Du, der Chef will was von dir.“
Zehn Monate nach der Pressekonferenz
sitzt Köhler im Münchner Schlachthofvier-
tel und sagt: „Das war die beste PR meiner
Karriere.“ Vor Kurzem hat ihm Sky einen
neuen Zwei-Jahres-Vertrag vorgelegt. Köh-
ler hat nicht einen Augenblick daran ge-
dacht abzulehnen. So trennen sich an die-
sem 19. Oktober 2018 die Wege der beiden
Ulis, die jahrzehntelang parallel verlaufen
sind. Uli Köhler, Jahrgang 1951, macht jetzt
weiter, und wenn sie ihm in zwei Jahren
noch mal einen neuen Vertrag anbieten,
dann macht er halt noch mal zwei Jahre
weiter. Uli Hoeneß, Jahrgang 1952, hört so
was Ähnliches wie auf.
Am Freitag sitzt Hoeneß im Pressesaal
der Münchner Arena, er wirkt diesmal gut
vorbereitet. Hoeneß erzählt, dass er lange
überlegt habe, seine Ämter abzugeben.
Und, dass seine Frau Susi und die beiden
Kinder ihn überredet haben aufzuhören.
Er wollte, sagt er, den Verein immer „pro-
fessionell aufgestellt“ übergeben. Es ist
eine gute Geschichte. Schimpfen will Hoe-
neß am Freitag nicht, er wirkt fast ent-
spannt. Einmal rät er einem Journalisten,
„sich nicht lächerlich“ zu machen. Am En-
de warnt er, dass er in Zukunft nicht nur
Golf spielen werde. Uli Hoeneß sagt: „Sie
brauchen sich keine Sorgen zu machen: Sie
werden weiter von mir hören.“
In dieser Pressekonferenz sitzen viele
junge Menschen, kaum einer von ihnen
hat Hoeneß noch als den faszinierenden
Fußballer erlebt, der er mal war, und nicht
viele haben 1989 jenes „Sportstudio“ ver-
folgt, in dem sich Hoeneß mit Christoph
Daum über die Existenz eines Heiligen-
scheins stritt. Die Welt um Hoeneß herum
wird immer jünger, und sie macht immer
mehr Dinge, die Hoeneß komisch findet.
„Das alberne Internet“, hat er vor Jahren
mal gerufen, Mails schreibt er bis heute
nicht, wer mit ihm in Kontakt treten möch-
te, muss ein Fax an den Tegernsee schi-
cken und hoffen, dass seine Frau Susi ir-
gendwann am Faxgerät vorbeiläuft.
Hoeneß ist ein intelligenter Mann, er
könnte das alles verstehen, wenn es nötig
wäre, aber es ist halt nie nötig gewesen bis-
her. Er hat seine Bayern jahrzehntelang
auch ohne Whatsapp regiert, ihm reichten
sein Verständnis für Zahlen, sein Instinkt
für die richtige Entscheidung zur richtigen
Zeit, sein Mut zur Provokation, sein phäno-
menales Gedächtnis und sein großes Herz,
zumindest für die, die er zu den Unterta-
nen am Hofe Hoeneß zählte. Seine Zustim-
mungswerte am eigenen Hof lagen stabil
zwischen 102 und 105 Prozent, und ein biss-
chen hat sein Rückzug auch damit zu tun:
Er hat das Gefühl, dass die schnelle und
junge Welt da draußen keinen Respekt
mehr hat vor der herausragenden Lebens-
leistung eines 67-Jährigen.
Hoeneß’ Lebensleistung (unzulässig ver-
kürzt): der erfolgreichste Fußballverein in
Deutschland, einer der erfolgreichsten
Fußballvereine in Europa, ein Unterneh-
mensumsatz von mehr als 700 Millionen
Euro, ein vor der Zeit abbezahltes Stadion,
eine konkurrenzfähige Basketball-Abtei-
lung und bald eine neue Halle, die mindes-
tens die schönste der Welt sein wird. Und
auch Uli Hoeneß gehört zur Lebensleis-
tung von Uli Hoeneß, eine durch und durch
bundesrepublikanische Figur, die All-Star-
Spiele für kranke Kinder organisieren lässt
und alles, was das offizielle Budget über-
steigt, aus eigener Tasche dazu schießt.
„Seele, Kopf und Herz des FC Bayern“
sei Hoeneß, hat der FC-Bayern-Aufsichts-
rat Edmund Stoiber in dieser Woche ge-
sagt, was absurd untertrieben ist. Hoeneß
ist viel mehr, er ist in diesem Verein auch
Bauch und Bizeps und möglicherweise so-
gar Schienbeinköpfchen. Und nun ist Hoe-
neß vielleicht nicht amtsmüde, aber amts-
frustriert. Die Jahreshauptversammlung
im November sei für ihn „ein solcher
Schock“ gewesen, sagt Stoiber, „sehr tief
getroffen“ habe ihn das, sagt Köhler, der
mit Hoeneß längst wieder Kaffee trinkt.
Ein Bayern-Fan namens Johannes Bach-
mayr hielt bei der Jahreshauptversamm-
lung eine Brandrede, die er einleitete mit
dem Satz: „Früher wollte ich werden wie
Uli Hoeneß, jetzt bin ich mir da nicht mehr
sicher.“ In der Rede hing auf spektakuläre
Weise alles mit allem zusammen, Bach-
mayr kritisierte Hoeneß für die Scheiß-
dreck-Wortwahl und die irre Pressekonfe-
renz, unterstellte Vetternwirtschaft, und
am Ende ging es auch noch um den Um-
gang mit dem Ehrenspielführer Paul Breit-
ner, der wiederum von Hoeneß ... wobei:
eigentlich wurscht. Zu kompliziert. Nicht
wurscht war die Resonanz im Saal: Bach-
mayr bekam Beifall, Hoeneß bekam für sei-
ne Reaktion („ich lehne eine Diskussion
auf dem Niveau total ab“) Buhrufe.
Vor Beginn der Versammlung hatte übri-
gens jemand eine nordkoreanische Fahne
mit der Aufschrift „not my president“ in
die Halle gehängt. Der große Hoeneß als
Kim-Jong-Uli? Das war zu viel.
Er hoffe, „dass es sich wieder ändert,
sonst ist das nicht mehr mein FC Bayern“,
sagte Hoeneß damals. In Wahrheit ist es
wahrscheinlich schlimmer: Hoeneß hat
das Gefühl, dass er manchmal auch nicht
mehr sein Uli Hoeneß ist.
„Das war’s noch nicht“: Diesen Satz hat
Hoeneß gesagt, bevor er ins Gefängnis
ging, aber nach seiner Rückkehr hat er
schnell gemerkt, dass dieser Satz halt doch
nur die halbe Wahrheit war. Hoeneß wollte
zurück in Amt und Würden, aber irgend-
wie ist ihm nur das Amt geblieben. Die Wür-
den waren weg. Er war jetzt der Steuersün-
der, konnte in keine Talkshow mehr gehen
und über die Linken schimpfen, und wenn
Reporter in sein Büro an der Säbener Stra-
ße kamen, hat er schnell die Börsenkurse
auf n-tv ausgeschaltet, weil er dachte, dass
die Reporter dann vielleicht denken ...
Er musste ein Hoeneß mit Schalldämp-
fer sein, und wenn er etwas nicht so gut
kann, dann das.
Natürlich habe das Gefängnis „den Uli
verändert“, sagt ein Freund. Hoeneß fühlt
sich von der Öffentlichkeit missverstan-
den, fast verfolgt, und am Ende so eines
emotionalen Prozesses kommt dann so
eine Pressekonferenz heraus. Hoeneß hat
in seinem Leben alle Transfers gemacht, er
hat alle Spiele gespielt, er sieht, wie
schlecht es Gerd Müller geht und dass auch
Franz Beckenbauer nicht mehr der Alte ist.
Hoeneß will und braucht das nicht
mehr: sich auf Mitgliederversammlungen
ausbuhen lassen. Aber loslassen?
Uli Hoeneß mag manchmal amtsfrus-
triert sein, aber er ist fest entschlossen,
sein Erbe zu regeln. Er weiß, dass das nicht
einfach ist: Der FC Bayern ist im Achtelfina-
le der Champions League ausgeschieden,
und irgendwie spürt Hoeneß wohl, dass
die Hauskultur aus einer Zeit stammt, in
der Uli Köhler noch blaue Sonnenbrillen
trug. Anderswo orientieren sich Klubs an
einer fußballerischen Leitidee, sie folgen
Denkschulen und wählen ihre Trainer da-
nach aus. Bei den Bayern glauben sie im-
mer noch, dass sich alles über den Kauf
von guten Fußballern regeln lässt, irgend-
wer stellt die dann schon auf, und am Ende
der Saison gewinnt man dann was.
Der Torwart Oliver Kahn stammt auch
aus dieser Zeit, er war der radikalste Gewin-
ner von allen, und der Funktionär Kahn
soll als künftiger Vorstandsboss derjenige
sein, der das Lebenswerk von Hoeneß in
die Zukunft transportiert. Kahn ist natür-
lich die Idee von Hoeneß, er gehört zu Hoe-
neß’ Leuten wie Herbert Hainer. Denn so
amtsgenervt kann Hoeneß gar nicht sein,
als dass er seinen Hof allein Vorstandschef
Karl-Heinz Rummenigge überließe, sei-
nem Begleiter durch all die Jahrzehnte.
In den Siebzigern haben Hoeneß und
Rummenigge zusammen für Bayern ge-
spielt, Hoeneß ging dann für ein paar Mo-
nate nach Nürnberg, ehe er Manager wur-
de. Rummenigge spielte drei Jahre für In-
ter Mailand, zwei für Servette Genf. Dann
wurde er Co-Kommentator in der ARD, spä-
ter Vizepräsident der Bayern, dann Vor-
standsboss. Rummenigge kennt die Agnel-
lis und andere Fußballmächtige, er gilt als
seriöser Außenpolitiker, sein Netzwerk er-
möglicht bis heute spektakuläre Trans-
fers. Im Ausland schätzen sie Rummenig-
ges rationale Art, auch, dass er fließend
Italienisch spricht. Er benützt gern Fremd-
wörter, manchmal sogar richtig. Tritt Rum-
menigge in Deutschland auf, sagt eràla
longue. Oder, dass die USA-Reise eine
conditio sine qua nonsei. Oder, dass er
nicht derspiritus rectordieser Pressekon-
ferenz gewesen sei. In Deutschland wird
Rummenigge nicht immer verstanden.
Als Hoeneß im Gefängnis war, hat Rum-
menigge ihn besucht und ihn seiner Loyali-
tät versichert, er hat den Verein in dieser
Zeit in Ruhe gelenkt. Hoeneß hat das regis-
triert und anerkannt, aber man hat selbst
auf den Fluren des FC Bayern das Gefühl
gewonnen, dass die beiden nach der Rück-
kehr von Hoeneß ein neues Verhältnis ent-
wickelt haben, eine spezielle Art der Sand-
kastenfreundschaft: Der eine zerbeult
dem anderen sein Förmchen, worauf der
andere das Förmchen des einen zerbeult.
„Die Zwistigkeiten“ zwischen den bei-
den hat Edmund Stoiber als einen Grund
für Hoeneß’ Rückzug benannt. Hoeneß hat
das pflichtgemäß dementiert, aber das
Wort „Zwistigkeiten“ ist jetzt in der Welt.
So verblüffend offen hat noch nie ein Klub-
vertreter über diese Rivalität gesprochen,
vielleicht hätten die Bayern nicht Stoiber
hinstellen sollen, sondern einen Medien-
profi, einen Ex-Politiker vielleicht, einen
früheren Ministerpräsidenten oder so.
Die Zwistigkeiten gipfelten zuletzt offen-
bar im Hintergrund, bei einem Projekt, das
Eingeweihte als einen langjährigen Traum
des Präsidenten bezeichnen.
Im Frühjahr kursierten Meldungen, wo-
nach der FC Bayern vom Anteilseigner
Audi zu BMW wechseln wolle, Zahlen wur-
den herumgereicht: 800 Millionen Euro
sei der Deal wert. Anfang März sagte Hoe-
neß: „Mir ist es ein ganz wichtiges Bedürf-
nis zu sagen: Ja, wir haben eine Vereinba-
rung mit BMW für die Zukunft. Aber die
Summen, die da in der Welt herumgeis-
tern, die stimmen hinten und vorne nicht.“
Wenig später stellte sich heraus, dass
auch die Vereinbarung in ihrer Endgültig-
keit hinten und vorne nicht stimmte.
Warum der Deal platzte, dazu gibt es ver-
schiedene Interpretationen. Teilnehmer
gewannen den Eindruck, dass diese Ver-
handlungen eingebettet waren in einen tie-
fen Männerkonflikt. Hoeneß soll den Deal
mit Norbert Reithofer, dem Aufsichtsrats-
boss von BMW, vorbereitet haben, aber in
den Verhandlungen habe Rummenigge ei-
ne eigene Agenda verfolgt. Er soll mit VW-
Vorstand Herbert Diess, der auch im Auf-
sichtsrat des Vereins sitzt, besprochen ha-
ben, dass Audi keinesfalls vorzeitig aus
dem 2025 auslaufenden Vertrag ausstei-
gen werde. So lange aber wollte BMW nicht
warten. Die Gespräche wurden abgebro-
chen. Menschen, die Hoeneß danach erleb-
ten, beschreiben ihn als extrem frustriert.
Ohnehin wirkten Hoeneß und Rumme-
nigge zuletzt so, als würden sie eine speziel-
le Tabelle führen. Wer zerbeult das Förm-
chen des anderen häufiger? In dieser Tabel-
le wird aufgeführt, wer den Trainer Kovač
haben wollte (Hoeneß), wer ihn loswerden
wollte (Rummenigge) und wer ihn noch
stützt (Hoeneß). Es wurde gewertet, dass
Rummenigge statt Kovač lieber Thomas
Tuchel wollte. Außerdem ging es darum,
ob der Gladbacher Max Eberl (Hoeneß)
oder der langjährige Kapitän Philipp Lahm
(Rummenigge) neuer Sportvorstand wer-
den solle. Am Ende einigten sie sich auf Ha-
san Salihamidžić, bis dahin Markenbot-
schafter, als gemeinsames Sandförmchen.
Zuletzt suchte Hoeneß dann auch noch
Oliver Kahn aus, ausdrücklich als Nachfol-
ger für Rummenigge. Im Gegenzug folgte
ihm Rummenigge beim BMW-Deal nicht.
Nun soll ein neuer Vertrag mit Audi ausge-
handelt werden, noch ist er wohl nicht
unterschrieben. Noch vor einer Woche gin-
gen die Teilnehmer eines Treffens der
VW-, Audi- und FC-Bayern-Spitzen offen-
bar ohne Unterschrift auseinander.
Einer, der Hoeneß und Rummenigge
gut kennt, spricht vom „kalten Krieg“ zwi-
schen beiden und sagt, das Verhältnis sei
„schlimmer als je zuvor“. Traditionell ha-
ben sich Hoeneß und Rummenigge immer
wieder freundschaftlich zusammenge-
rauft, weil sie wussten, dass dieser Verein
für ihre eigene Zukunft steht: Das war das
Band, das sie zusammenhielt. Die gemein-
same Zukunft ist jetzt aber weggefallen,
Ende 2021 löst Kahn Rummenigge ab, Hoe-
neß aber ist bis 2023 fest im Aufsichtsrat.
Was sie jetzt noch eint: Im Herzen sind
und bleiben beide Fußballer, die sich mit
Trophäen verabschieden wollen. Im Som-
mer haben sie großzügig transferiert,
115 Millionen Euro haben sie für zwei Ver-
teidiger ausgegeben, von denen der eine ge-
rade abgestiegen ist und der andere ein hal-
bes Jahr verletzt war. Sollte es diese Saison
mit der großen Trophäe nicht klappen, ha-
ben sie für den Leihspieler Coutinho eine
Kaufklausel ausgehandelt, für die dann
neue Rekordsumme von 120 Millionen Eu-
ro. Er wolle beim Abschied „durchs große
Tor gehen“, sagt Hoeneß am Freitag, „ich
glaube, das ist mir großartig gelungen.“
Die beiden großen Männer haben zum
Schluss noch ein bisschen für sich selbst
eingekauft, es ist eine Strategie, die kurz-
fristigen Erfolg bringen soll. Ob sieàla
longueaufgeht, darum muss sich Oliver
Kahn kümmern, der neuespiritus rector.
DEFGH Nr. 201, Samstag/Sonntag, 31. August/1. September 2019 DIE SEITE DREI 3
Good old days: Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge in den Siebzigern, als sie noch zusammen für den FC Bayern gespielt haben. FOTO: WEREK / IMAGO
Nachspielzeit
Uli Hoeneß hat jahrzehntelang den FC Bayern regiert. Jetzt geht der Monarch, aber erst mal
nur in Altersteilzeit. Zwei Männer, ein Abschied und die Schwierigkeit loszulassen
von christof kneer und benedikt warmbrunn
Am Freitag, zum Abschied,
sagt er, dass letztlich doch alles
großartig gelungen sei
Hoeneß wollte zurück in Amt
und Würden. Es wurde dann
aber nur das Amt, ohne Würden
Oliver Kahn ist seine Idee.
Soll der jetzt die Vergangenheit
in die Zukunft retten?
Am 19. Oktober 2018 kann alle
Welt live dabei zusehen, wie der
FC Bayern aus der Zeit fällt