Titel
öffentlicht. Einer über Adolf Hitler, bei
dem ein Historiker den Eindruck einer »ge-
schickten Hitler-Verherrlichung« gewann.
Der andere über die 1. Gebirgs-Division
im Zweiten Weltkrieg, in dem Kalbitz und
sein Schwiegervater verschweigen, welche
schweren Kriegsverbrechen die Soldaten
begingen.
Von 2009 bis 2013 verlegte Kalbitz Hör-
bücher, darunter Ernst Jünger.
Auf einer Interessentenliste der NPD,
die 2007 angelegt wurde, finden sich Kal-
bitz’ Name und Münchner Anschrift.
Ende 2014 übernahm er den Vorsitz des
Vereins für Kultur- und Zeitgeschichte –
Archiv der Zeit e. V., in dem er schon min-
destens sechs Jahre lang Mitglied gewesen
war. Der Verein gilt als revisionistisch, wur-
de von einem ehemaligen SS-Hauptsturm-
führer gegründet, NPD-Mitglieder saßen
im Vorstand.
All das ist bekannt, weil Medien es auf-
deckten. Kalbitz gab im Grunde nur zu,
was nicht mehr versteckt werden konnte.
Seine Verteidigung, immer wieder: Er sei
nicht lange bei den jeweiligen Organisa-
tionen aktiv gewesen, habe sich nur mal
umschauen wollen. Doch in der Summe
ist es ein Lebensabschnitt von mehr als
25 Jahren im rechtsextremen Milieu.
Kalbitz verteidigte auch, dass er 2007
bei einem Zeltlager der Heimattreuen
Deutschen Jugend (HDJ) war. Die Orga-
nisation, nach Hitlerjugend-Vorbild auf -
gebaut, wurde 2009 vom Bundesinnenmi-
nisterium verboten. »Ich war als Gast dort,
mutmaßlich, um mir das mal anzuschauen.
Ich sehe da kein Problem«, sagte Kalbitz.
Als Gast, einfach so? Bei einem gehei-
men Lager einer vom Verfassungsschutz
beobachteten Organisation, das an einem
abgelegenen Ort stattfand? Als erwachse-
ner Besucher in einem Jugendcamp? Und
»kein Problem«, obwohl die HDJ auf der
Unvereinbarkeitsliste der AfD steht?
Bevor solche Fragen zu drängend wur-
den, sich innerparteilicher Widerstand auf-
bauen konnte, geschah etwas, das Kalbitz
sehr gelegen kam: Plötzlich wurde über
einen weiteren Mann mit HDJ-Vergangen-
heit in der AfD berichtet. Einen Funktionär,
der im Telefonverzeichnis des Bundestags
als Mitarbeiter von Partei- und Fraktions-
chef Alexander Gauland geführt wurde.
Gauland sagte damals, er habe von des-
sen Vergangenheit nichts gewusst. Vermit-
telt wurde ihm Felix W., dessen Bruder
»Bundesführer« der HDJ war, von Kalbitz,
der W. zuvor in die Fraktion nach Bran-
denburg geholt hatte. Parteikollegen sind
überzeugt, dass Kalbitz die Info über die
HDJ-Vergangenheit von W. durchsickern
ließ, um von sich abzulenken. War der Par-
teifreund ein Bauernopfer? »Nein, ich teile
prinzipiell keine internen Informationen
mit Journalisten«, sagt Kalbitz.
Eine E-Mail, die dem SPIEGELvorliegt,
legt nahe, dass Kalbitz’ Verbindung zur
HDJ nicht so lose war, wie er behauptet.
Am 12. Mai 2009, sechs Wochen nach-
dem die Heimattreue Deutsche Jugend
verboten worden war, bekam Kalbitz eine
Mail von Sebastian Räbiger, dem letzten
»Bundesführer« der HDJ. Neben Kalbitz
erhielten nur sechs weitere Personen
die Mail, darunter Führungskräfte der
HDJ, eine Frau von der rechtsextremen
Gemeinschaft Deutscher Frauen und ein
NPD-Mann. Außerdem ging die Mail an
eine Adresse, die offenbar mit der »Deut-
schen Stimme« zu tun hat, der Zeitschrift
der NPD.
Räbiger schrieb: »moin, für die, die
es interessiert. mittwoch 19-21 Uhr
http://www.netzradio-germania.de noch ein
paar dinge zur hdj und zum drum herum.«
Er hoffe, dass »nichts wichtiges geschnitten
wurde«, schreibt er, »gruß s«. Der Radio-
beitrag ist bis heute online. Räbiger erzählt
darin, dass alle Mitglieder »aus dem na-
tionalen Lager« stammten, man nicht an
Schulen oder sonst wo geworben habe.
Wer dort war, kannte sich. Aber Kalbitz
will einfach mal »als Gast« dort gewesen
sein?
Kalbitz sagt dazu nur: »Mir ist eine ent-
sprechende Mail von vor zehn Jahren
nicht bekannt.«
Eine weitere E-Mail, die dem SPIEGEL
vorliegt, lässt erahnen, wie tief Kalbitz im
rechtsextremen Lager verankert war.
Am 10. August 2008 verschickte der
Neonazi Horst Mahler eine Mail. Er hat
die NPD als Anwalt im Verbotsverfahren
vertreten und später die »Verkündung der
Reichsbürgerbewegung« veröffentlicht. In
der Mail berichtet er von seinem ersten
Prozesstag. Mahler stand damals wegen
Holocaust-Leugnung vor Gericht, wieder
einmal. Bis heute sitzt er unter anderem
deswegen in Haft.
Der Verteiler der Mail ist groß, 276
E-Mail-Adressen, viele von der NPD,
andere mit rechtsextremen Wortspielen
oder Kürzeln. Woher hatte Mahler die
Mailadresse von Kalbitz?
»Von einer E-Mail von Herrn Mahler
vor elf Jahren weiß ich nichts«, sagt Kal-
bitz. »Ich habe keinerlei Kontakt mit
Horst Mahler und distanziere mich schärfs-
tens von den von ihm aufgestellten
Thesen.«
Dabei hat Kalbitz bis heute keine Be-
rührungsängste mit der äußersten Rechten.
Er pflegt ein enges Verhältnis zu Götz
Kubitschek, dem Verleger und Netzwerker
der Neuen Rechten, tritt immer wieder bei
Veranstaltungen von dessen Institut auf.
Er stellte Leute aus der vom Verfassungs-
schutz als rechtsextrem eingestuften »Iden-
titären Bewegung« oder ihrem Umfeld ein,
selbst einem Ex-NPD-Mitglied gab er
einen Job. Bei dem sogenannten Trauer-
marsch in Chemnitz lief er gemeinsam mit
erkennbaren Neonazis.
Doch während sich die Partei in den ver-
gangenen Jahren immer wieder von Funk-
tionären trennte, deren Verbindungen ins
extrem rechte Spektrum öffentlich wur-
den, durfte Kalbitz bleiben. Nicht nur das,
seine Macht wuchs. Er prägt die AfD und
lässt damit den Rest ihrer bürgerlichen Fas-
sade bröckeln.
Wie hat er das geschafft?
Um Kalbitz’ parteiinternes Agieren ein-
schätzen zu können, hat der SPIEGELmit
über einem Dutzend AfD-Politikern aus
der ersten und zweiten Reihe gesprochen,
mit Kritikern wie Anhängern, Vertrauten
und ehemaligen Mitarbeitern, die mit ihm
gebrochen haben. Sie alle hatten eins ge-
meinsam: den Wunsch, zumindest durch
diesen Text nicht identifiziert werden zu
können. Fast ein weiteres Dutzend wollte
nicht reden, nicht über Kalbitz.
Das hat einen Grund. Für Kalbitz ist
man entweder Freund oder Feind, für oder
gegen ihn. Er herrscht mittels Loyalitäten,
notfalls über Angst und Schrecken.
Einer, der über Jahre eng mit ihm gear-
beitet hat, fasst es so zusammen: »Kalbitz
hat die Fähigkeit, Informationen zu gewin-
nen, zu speichern, zu nutzen, und auch
die Fähigkeit, gegnerische Truppenteile zu
spalten.« Er wende klassische Zersetzungs-
strategien an, und das »sehr elaboriert«.
Andere berichten, dass Kalbitz denen,
die sich mal gegen ihn gestellt haben, und
sei es nur in einer Sachfrage, den »Krieg«
erklärt habe. Sie seien von ihm beschimpft
und bedroht worden. Sie seien bei der
24 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
MARCEL MAFFEI / DER SPIEGEL
Wahlkämpfer, Publikum vor AfD-Bühne
Er prägt die Partei, lässt
den Rest bürgerlicher
Fassade bröckeln.