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or ein paar Tagen durchlebte
Lars Klingbeil einen der unange-
nehmeren Momente seiner bis-
herigen Amtszeit. Der General-
sekretär der SPD musste sich und der
Welt eingestehen, dass seine Karriere vor-
erst nicht vom Fleck kommt. Klingbeil
setzte sich in sein Büro in der SPD-Zen-
trale, vor sich eine Kamera, hinter sich
ein Bild von Willy Brandt.
Auch er habe überlegt, ob er für den
Parteivorsitz kandidiere, sagte Klingbeil
in seiner Videobotschaft an die Parteimit-
glieder. Er habe Gespräche geführt und
nach einer Partnerin gesucht. Nur habe
er feststellen müssen, dass es eine passen-
de »Konstellation« nicht gebe. Und so
habe er sich entschieden, nicht ins Rennen
um den SPD-Chefposten einzusteigen.
Was Klingbeil in seiner Botschaft etwas
umständlich umschrieb, lässt sich in einen
einfachen Satz kleiden: Er fand keine
Frau.
So ging es auch anderen. Noch läuft die
Frist, bis zum 1. September können sich
Bewerberinnen und Bewerber melden,
doch frauenpolitisch war die Kandidaten-
suche bislang ein ziemlicher Rückschlag.
Es gibt, erstens, zu wenige Frauen,
die zu einer Kandidatur bereit sind. Und
es gibt, zweitens, eine gute Woche vor
Ablauf der Bewerbungsfrist noch keine
Kandidatin aus der ersten Reihe der
Partei.
Dabei sollte die Doppelspitze, die es
bei Grünen und Linken bereits gibt und
die von Dezember an auch die SPD füh-
ren soll, eigentlich ein Fortschritt sein: Auf
Andrea Nahles, die erste Vorsitzende in
der Geschichte der SPD, soll damit wieder
eine Frau folgen, zumindest als Co-Vor-
sitzende. Die SPD will zeitgemäß wirken,
frischer, nicht mehr wie der vermachtete
Männerladen, der sie anderthalb Jahrhun-
derte lang war. Doch dann wurde die For-
derung nach einer Doppelspitze während
der Kandidatensuche plötzlich eher zur
Belastung. Woran lag das? Und was sagt
es über die SPD?
Eigentlich hat sich bei den Sozialdemo-
kraten ja viel getan in Sachen Frauen -
förderung, seitdem Gerhard Schröder
über »Frauen und das ganze andere Ge-
döns« schwadroniert hatte. Eigentlich gibt
es in der ersten Reihe der SPD mittlerwei-
le eine breite Riege prominenter Frauen.
Manuela Schwesig, 45, Regierungschefin
von Mecklenburg-Vorpommern, Bundes-
familienministerin Franziska Giffey, 41,
und die Europaabgeordnete und ehema-
lige Justizministerin Katarina Barley, 50,
hätten wohl nur den Finger heben müs-
sen – ihre Wahl an die Spitze wäre so gut
wie sicher gewesen. Sie alle hätten allein
aufgrund ihres Alters einen gewissen Um-
bruch verkörpern können, jenen Neu -
beginn, nach dem sich viele in der Partei
so sehnen. Schwesig kennt den Apparat
und das Regierungsgeschäft, Giffey ist
populär, Barley wirkt sympathisch und ist
noch nicht allzu lange in der Politik. Jede
von ihnen hätte auf ihre Weise der Partei
helfen können. Doch alle sagten ab. In-
tern ist der Ärger über ihre Absagen groß.
Natürlich, sie alle haben ihre Gründe.
Schwesig hat noch nie eine Wahl gewon-
nen, sondern ihr Amt von Vorgänger Er-
win Sellering übernommen. Ihr oberstes
Ziel ist die Verteidigung der Staatskanzlei
in Schwerin. Derzeit amtiert sie als kom-
missarische Parteichefin, was in der Lan-
despolitik bereits aufmerksam registriert
wird. Hätte sie den Parteivorsitz dauer-
haft übernommen, hätte man ihr schnell
das Image einer Halbtags-Landesmutter
anhängen können, der die Bundespolitik
ohnehin wichtiger sei.
Und Giffey? Über ihr schwebt das Da-
moklesschwert ihrer umstrittenen Dok-
torarbeit. Wäre sie mit dem Risiko, dass
ihr der Titel aberkannt wird, in das Ren-
nen um den Vorsitz gegangen, hätte das
auch die Partei belastet. Und Barley hat
gerade erst mit einem historisch schlech-
ten SPD-Ergebnis die Europawahl verlo-
ren, außerdem hat sie ihr Privatleben um-
gekrempelt und ist nach Brüssel gezogen,
wo sie ihrem Partner näher ist.
Dazu könnte aber noch etwas anderes
gekommen sein, eine taktische Kompo-
nente. Tatsächlich war der SPD-Vorsitz
ja schon mal attraktiver als in diesen Zei-
ten. Und alle drei haben noch Zeit. Man
könnte ihre Absagen deshalb auch als Zei-
chen des wachsenden Selbstvertrauens
der sozialdemokratischen Frauen deuten:
Nur weil verzweifelt jemand gesucht wird,
treten wir nicht gleich an. Es muss schon
auch der richtige Zeitpunkt sein.
Allerdings führte der Verzicht der drei
führenden Frauen dazu, dass die interne
Suche nach geeigneten Bewerberinnen
zwischendurch leicht erratisch wurde.
Prominente Männer wie Generalsekretär
Klingbeil, Parteivize Ralf Stegner oder
Arbeitsminister Hubertus Heil suchten an-
geblich wie auf dem Heiratsmarkt nach
einer Partnerin. Und Vertreter der Partei-
spitze sahen sich gezwungen, gezielt in
Landtagsfraktionen, Landesregierungen
und der dritten Reihe der Bundestagsfrak-
tion Ausschau zu halten.
Auch dort gibt es eine Reihe talentier-
ter, aufstrebender Frauen, etwa die Land-
tagsabgeordnete Nancy Faeser aus Hes-
sen. Ihr Name kursierte zuletzt immer
wieder, wenn es um bundespolitische Äm-
ter ging – doch für den Bundesvorsitz
kam sie eigentlich schon deshalb nicht
wirklich infrage, weil sie, bislang Gene-
ralsekretärin der Hessen-SPD, demnächst
den dortigen Landesverband als Chefin
übernehmen und aufrichten soll. In Par-
teikreisen wird erzählt, sie sei trotzdem
angesprochen worden, sich das mit dem
Bundesvorsitz noch mal zu überlegen.
Faeser will dazu nichts sagen.
Auch die Bundestagsabgeordnete Man-
ja Schüle, 43, soll kontaktiert worden sein,
sie sitzt seit nicht einmal zwei Jahren im
Bundestag. Auch sie wollte sich zu mög -
lichen Avancen aus der Partei nicht äu-
ßern. Doch wie schnell Frauen aus der
zweiten und dritten Reihe der Partei
plötzlich zu potenziellen Parteichefinnen
heran wuchsen, sagt einiges aus über die
30 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
Deutschland
Sozi sucht Frau
GleichstellungDie SPD will sich mit einer Doppelspitze modernisieren. Doch die Frauen
haben andere Pläne – oder sind weithin unbekannt.
Bewerberflut
Zahl der Kandidaten für den
SPD-Parteivorsitz, Stand jeweils
bei Wochenbeginn
Bewerbungsfrist: 1. Juli bis 1. September
* letzter Stand
- 22.*
Juli August
- 22.*
2
5
8
15
17
Karl Lauterbach
Ralf Stegner und
Gesine Schwan
Olaf Scholz
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WSKI / DER SPIEGEL