40 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
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ehr als 20 Jahre lang kämpfte
das 30 000-Einwohner-Städtchen
Naumburg an der Saale für sei-
nen Dom, bevor es im vorigen Jahr so weit
war: Im dritten Anlauf wurde das mittel-
alterliche Gebäude zum Unesco-Weltkul-
turerbe erklärt. Der Kirchenbau mit drei
vom Leipziger Künstler Neo Rauch gestal-
teten Fenstern und der berühmten Stifter-
figur Uta ist eine der größten Attraktionen
in Sachsen-Anhalt. Doch so stolz die Re-
gion auch sein mag auf das Wahr zeichen,
derzeit wird viel darum gestritten.
Für 1,8 Millionen Euro sollen zwei Ge-
bäude vor dem Dom saniert werden, weitere
800 000 Euro sind für die Reinigung der
aschgrauen Fassade eingeplant – beides fi-
nanziert aus dem neuen Sofortprogramm
der Bundesregierung, das für den Struktur-
wandel in den Kohleregionen vorgesehen ist.
Der von der Landesregierung in Mag-
deburg angemeldete Förderwunsch ist al-
lerdings für viele Bürger der Region kaum
nachvollziehbar. Denn Naumburg gehört
nicht zum Kerngebiet des Kohletagebaus,
und für neue Industriearbeitsplätze sorgen
die Bau- und Renovierungsarbeiten in
Naumburg auch nicht.
Die Streitigkeiten in Sachsen-Anhalt las-
sen erahnen, was in den kommenden Jah-
ren noch öfter passieren könnte. Hinter-
grund ist die Entscheidung der Bundes -
regierung, aus der Kohle auszusteigen –
ein wichtiger Schritt in der Klimapolitik,
der jedoch viele Arbeitsplätze kostet. Die
betroffenen Regionen in Sachsen-Anhalt,
Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-
Westfalen sollen mit Milliardenhilfen vom
Bund gefördert werden. Beschlossen ist bis-
lang nur ein Sofortprogramm, aber eigent-
lich soll da noch sehr viel Geld kommen,
das sinnvoll ausgegeben werden muss.
Die Summe von 240 Millionen Euro
wurde im Frühjahr freigezeichnet, damit
vor den drei ostdeutschen Landtags -
wahlen im September und Oktober schon
etwas ankommt. Das Bei-
spiel Sachsen-Anhalt zeigt,
wie schwierig es sein kann,
die Mittel für den Struktur-
wandel zu verwenden.
Erfüllen »vorbereitende
Maßnahmen« zum Preis
von 16,4 Millionen Euro
für eine Ortsumgehung
diesen Zweck? Oder eine
2,5 Mil lionen Euro teure
Halle für das »Rosarium«
in Sangerhausen? Besucher
können dort die größte
Rosensammlung der Welt besichtigen,
der Tourismus wird durch die Halle viel-
leicht etwas gefördert. Klarer dürfte der
Fall bei den 1,5 Millionen Euro sein, die
in ein Digitalisierungszentrum in Zeitz
fließen sollen.
Götz Ulrich (CDU), Landrat im Burgen-
landkreis im Süden von Sachsen-Anhalt,
schimpft über einen Großteil der Projekte.
»Mit dem Kohleausstieg hat dies nichts zu
tun. Als Startschuss ist das ungeeignet«,
sagt Ulrich über die Entscheidungen der
Landesregierung. Er zeigt auf dicke Ak-
tenordner, die vor ihm auf dem Tisch lie-
gen, gesammelte Vorschläge, die er nach
Magdeburg geschickt habe. Aber, sagt er:
»Viele unserer Projektideen hat der Bund
abgelehnt.« Das finde er falsch.
Im mitteldeutschen Kohlerevier arbei-
ten derzeit noch 2400 Menschen. Einer,
der sich dort am lautesten aufregt, ist Uwe
Kraneis, Bürgermeister der Verbands -
gemeinde Droyßiger-Zeitzer Forst. »Mit
den fast 20 Millionen für die Umgehungs-
straße und den Naumburger Dom könnte
man hier einiges umsetzen, um den Struk-
turwandel abzufedern«, sagt Kraneis. Die
Kommune hatte als Förderprojekt einen
Bürgerbus vorgeschlagen, der auf Wasser-
stoffbasis fährt, sowie den Bau eines Spiel-
platzes in einer ehemaligen Supermarkt-
halle. Der Bürgermeister empört sich:
»Sollen die Naumburger im Dom für uns
Zeitzer beten, dass der Strukturwandel
nicht so schlimm wird?«
Armin Willingmann (SPD) ist als Wirt-
schaftsminister mitverantwortlich für die
Entscheidungen in Magdeburg, er sagt:
»Ich hatte den Dom nicht unterstützt, aber
sicher ist der Tourismus für die Region ein
wichtiger Faktor.«
Dass viele der Vorschläge aus den Kom-
munen nicht aufgegriffen wurden, lag auch
daran, dass sie den Vorgaben des Bundes
nicht entsprachen. »Wir brauchen ein über-
zeugendes Konzept«, sagt Willingmann –
und das werde auch vorliegen, wenn das
verspro chene Milliardenpaket verabschie-
det ist.
Die Frage ist, woher das Geld kommt.
Dass es sich vor allem um zusätzliche
Mittel handeln wird, erscheint zweifel-
haft. Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
will möglichst viel Geld
aus anderen Infrastruktur-
projekten umleiten, etwa
aus Vorhaben für die Bahn,
was Verkehrsminister An-
dreas Scheuer (CSU) nicht
gefällt.
Allerdings sind in der
schwarz-roten Koalition alle
daran interessiert, den Be-
wohnern der Braunkohle -
regionen Zukunftshoffnung
zu vermitteln. Schneller
als erwartet hat das Bun -
deswirtschaftsministerium jetzt auf 54 Sei-
ten den Entwurf für das »Strukturstär-
kungsgesetz Kohleregionen« vorgelegt, in
dem Hilfen in Höhe von 14 Milliarden
Euro zugesagt werden. Das Paket wird
jetzt zwischen den Ministerien abge-
stimmt und könnte schon in der kommen-
den Woche im Bundeskabinett beschlos-
sen werden. Als Hürde könnte sich dann
noch der Bundesrat erweisen: Dort müs-
sen Länder zustimmen, die von den Mil -
liarden keinen Cent sehen würden.
Timo Lehmann
Mail: [email protected]
Lockende
Rosen
StrukturwandelDer Umgang
mit den Fördermillionen
für Kohleregionen zeigt: Es gibt
mehr Geld als Ideen, auf
die sich alle einigen können.
30 Millionen €
beantragt Sachsen-Anhalt
aus dem Sofortprogramm
für den Strukturwandel.
Mehr als
20 Millionen €
sollen in Orte fließen, die
nicht zum Kernrevier des
Kohletagebaus gehören.
FRANK RUMPENHORST / PICTURE ALLIANCE / DPA
Förderobjekt Naumburger Dom: »Mit dem Kohleausstieg hat dies nichts zu tun«