Frankfurter Allgemeine Zeitung - 02.09.2019

(lily) #1

ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND


Montag, 2. September 2019·Nr. 203/36 R1 HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER 2,90 € D 2955 A F. A. Z. im Internet:faz.net


Todd Phillips’ Film „Joker“ zeigt


in Venedig das Chaos urbanen


Verfalls im Antlitz des lachenden


Irren.Feuilleton, Seite 9


Mit Gedanken über ein vorzeitiges


Ausscheiden überrascht Volker


Bouffier Koalition und Oppositi-


on.Rhein-Main-Zeitung, Seite 29


Es wird investiert und konsumiert



  • doch lebt das Land auf Kosten


der Zukunft?Wirtschaft, Seite 15


Eintracht Frankfurt tauscht den


Kroaten mit Andre Silva vom AC


Mailand. Bas Dost trifft beim 2:


gegen Düsseldorf.Sport, Seite 25


Stuttgart und Mannheim müssen


ihre Theaterbauten aufwendig


sanieren. Das sorgt für politische


Irritationen.Feuilleton, Seite 11


„Gesundheitist das A und O“


F.A.Z. FRANKFURT, 1. September.
CDU und SPD, die in Sachsen bezie-
hungsweise Brandenburg seit 30 Jahren
ununterbrochen regieren, haben bei den
Landtagswahlen am Sonntag deutliche
Verluste hinnehmen müssen. Die AfD
hingegen konnte ihre Ergebnisse deut-
lich steigern, in Sachsen sogar mehr als
verdoppeln. Beide Länder stehen damit
vor einer schwierigen Suche nach Regie-
rungsmehrheiten.
Laut ersten Hochrechnungen kam die
CDU in Sachsen unter Ministerpräsident
Michael Kretschmer auf knapp 33 Pro-
zent. Bei der Landtagswahl vor fünf Jah-
ren waren es noch 39,4 Prozent. Ihr Koali-


tionspartner, die SPD, erzielte knapp
acht Prozent, vor fünf Jahren waren es
noch 12,4 Prozent. Es ist das schlechteste
Wahlergebnis in der Geschichte der SPD
bei einer Landtagswahl. Ob die schwarz-
rote Koalition in Sachsen fortgeführt wer-
den kann, war am Abend ungewiss. Hin-
zugewinnen konnten die Grünen. Sie er-
reichten laut Hochrechnungen gut acht
Prozent; vor fünf Jahren hatten sie einen
Stimmenanteil von 5,7 Prozent.
Größter Gewinner in Sachsen ist die
AfD: 2014 kam sie auf 9,7 Prozent, nun
lag sie laut Hochrechnungen bei knapp
28 Prozent. Die Linke kam nach ersten
Hochrechnungen in Sachsen auf etwa
zehn Prozent (2014: 18,9 Prozent). Nach
ersten Hochrechnungen verpasste die
FDP den Einzug in den Landtag knapp.
Ministerpräsident Kretschmer sprach
trotz der Verluste von einem „wirklich gu-
ten Tag für unser Land“. Und weiter:
„Wir haben es geschafft. Es ist eine Bot-
schaft, die an diesem Abend von Sachsen
ausgeht. Das freundliche Sachsen hat ge-
wonnen.“ Nun habe man fünf Jahre Zeit,
um auch mit denen zu reden, „die wir
nicht erreicht haben“. Er gab der großen
Koalition in Berlin eine Mitschuld am
schlechten Abschneiden der CDU: „Es
wird niemand bestreiten, dass dieses Er-
gebnis auch viel mit Berlin zu tun hat,
das ist in Brandenburg nicht anders als
bei uns.“
Der Unionsfraktionsvorsitzende im
Bundestag, Ralph Brinkhaus, sprach von
einem Druck, der aus den Wahlergebnis-
sen entstehe. „Wir müssen im Herbst lie-


fern“, sagte Brinkhaus. Die große Koali-
tion müsse die Themen Klima, Wirt-
schaft und Sicherheit „anpacken“. Man
habe „in der Vergangenheit durchaus ge-
liefert, aber wir haben da nicht drüber ge-
sprochen“, sagte Brinkhaus. Die Frakti-
onsvorsitzende der Grünen, Katrin Gö-
ring-Eckardt sagte: „Es ging um den Kli-
maschutz. Die Klimakrise hat überall
eine große Rolle gespielt.“ Die Grünen
seien bereit, Verantwortung zu überneh-
men, auch wenn es schwierig werde.
Auch in Brandenburg legte die AfD
deutlich zu: Sie kam nach Auszählung al-
ler Wahlkreise auf 23,5 Prozent der Stim-
men; 2014 waren es 12,2 Prozent gewe-
sen. Erst am Freitag musste der branden-
burgische AfD-Spitzenkandidat Andreas
Kalbitz zugeben, im Januar 2007 an einer
rechtsextremen Demonstration in Athen
teilgenommen zu haben. Die AfD war
das vorherrschende Wahlkampfthema.
Die rot-rote Landesregierung in Potsdam
hat damit laut ersten Hochrechnungen
keine Mehrheit mehr. Die SPD unter Mi-
nisterpräsident Dietmar Woidke verlor

mehrere Prozentpunkte. Sie erreichte
26,2 Prozent (2014: 31,9 Prozent), konn-
te sich aber vor der AfD auf Platz eins be-
haupten. Die Linke landete bei 10,7 Pro-
zent (2014: 18,6 Prozent). Die CDU ver-
lor ebenfalls deutlich: Sie kam auf 15,
Prozent (2014: 23 Prozent). Die Grünen
konnten ihr Ergebnis auch in Branden-
burg verbessern und erreichten 10,8 Pro-
zent, 2014 waren es 6,2 Prozent. Den
Freien Wählern reichten 5,0 Prozent zum
Einzug in den Landtag. Auch in Branden-
burg wird die FDP nicht dem Landtag an-
gehören; sie kam nur auf 4,1 Prozent der
Stimmen. Der Bundesvorsitzende Christi-
an Lindner äußerte sein Bedauern dar-
über.
„Die Herausforderungen sind nicht ge-
ringer geworden“, sagte Ministerpräsi-
dent Woidke. „Ich bin erst mal froh, dass
das Gesicht Brandenburgs auch in Zu-
kunft ein freundliches Gesicht bleiben
wird.“SPD-Generalsekretär Lars Kling-
beil sprach von „sehr gemischten Gefüh-
len“ und „ganz viel Demut“. Die kommis-
sarische SPD-Vorsitzende und Minister-

präsidentin von Mecklenburg-Vorpom-
mern, Manuela Schwesig, sagte, die ost-
deutschen Interessen müssen nun stärker
wahrgenommen und vertreten werden.
Der AfD-Vorsitzende Alexander Gau-
land sprach von einem „sehr guten Ergeb-
nis“, gab aber zu, dass die AfD ihr Ziel,
stärkste Kraft zu werden, nicht erreicht
habe. „Da fehlt noch ein Stück, insofern
beginnt die Arbeit erst jetzt.“ Das unter-
schiedliche Abschneiden seiner Partei in
beiden Ländern führte Gauland auf das
unterschiedliche Verhalten der CDU zu-
rück. Der brandenburgische Spitzenkan-
didat Kalbitz sagte: „Die AfD ist gekom-
men, um zu bleiben.“ Und weiter: „Jetzt
geht’s erst richtig los.“
In Sachsen waren 3,3 Millionen Wahl-
berechtigte zur Stimmabgabe aufgeru-
fen, in Brandenburg 2,1 Millionen. In bei-
den Ländern zeichnete sich eine deutlich
höhere Wahlbeteiligung als vor fünf Jah-
ren ab, in Sachsen stieg sie von 49,1 Pro-
zent auf etwa 65 Prozent, in Branden-
burg von 47,9 auf 61,3 Prozent.

F.A.Z.FRANKFURT, 1. September. Das
Motorsport-Wochenende in Francor-
champs ist von einem tödlichen Unfall
überschattet worden. Am Samstagabend
erlag der französische Formel-2-Pilot
Anthoine Hubert seinen Verletzungen,
die er bei einem schweren Unfall erlitten
hatte. Das Formel-1-Rennen am Sonntag
gewann Ferrari-Pilot Charles Leclerc vor
Lewis Hamilton und Valtteri Bottas (bei-
de Mercedes). Sebastian Vettel im zwei-
ten Ferrari wurde Vierter. Die deutschen
Basketballer verloren bei der WM in Chi-
na das wichtige Auftaktspiel gegen Frank-
reich 74:78. Bei der Ruder-WM in Linz
holten der deutsche Achter sowie Oliver
Zeidler im Einer jeweils eine Goldmedail-
le.(Siehe Sport.)

Zittert die Groko?Seite 2
Erfolge für die AfDSeite 2
Kämpfer KretschmerSeite 3
Ungewissheit in PotsdamSeite 3

Millionenfür die Oper


Frankreich vor Deutschland


Rebic geht, Silva kommt
Tödlicher Unfall


in Francorchamps


Heute


gna.WIELUN/WARSCHAU, 1. Septem-
ber. Vertreter vieler Länder haben am
Sonntag in Warschau und in der südpolni-
schen Kleinstadt Wielun des Beginns des
Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren ge-
dacht. In Wielun, wo – etwa gleichzeitig
mit dem Angriff auf Danzig – die Wehr-
macht 1939 das Feuer eröffnet hatte, bat
Bundespräsident Frank-Walter Steinmei-
er das polnische Volk im Beisein des
Staatspräsidenten Andrzej Duda um Ver-
gebung. Er wiederholte diese Bitte später
auf dem Pilsudski-Platz in Warschau.
Dort waren Vertreter von etwa 20 Län-
dern zusammengekommen. Redner in
Warschau waren Duda, Steinmeier und
der amerikanische Vizepräsident Mike
Pence. Kurzfristig hatte außerdem Bun-
deskanzlerin Angela Merkel ihr Kommen
angekündigt. Merkel nahm an der Ge-
denkfeier teil, redete jedoch nicht. Sie traf
sich jedoch zu einem Gespräch mit dem
polnischen Ministerpräsidenten Mateusz
Morawiecki. Die Regierungschefs legten

gemeinsam an einem der Gedenkkreuze
für 1944 von den deutschen Besatzern er-
schossene Warschauer Blumen nieder.
Duda beklagte, der Krieg habe insge-
samt 50 Millionen, unter Berücksichti-
gung der Opfer von Hunger und Krankhei-
ten sogar „80 Millionen Opfer“ gefordert,
„drei Prozent der damaligen Weltbevölke-
rung“. Der Gastgeber sagte, dass Steinmei-
er an den heiklen Ort Wielun mit seinen
vielen zivilen Opfern gekommen sei, „ist
eine Form der moralischen Wiedergutma-
chung“. Steinmeier nannte die Versöh-
nung nach dem Krieg eine Gnade, „die
wir Deutsche nicht verlangen konnten,
aber der wir gerecht werden wollen“. Mo-
rawiecki sprach bei einer Feier am Mor-
gen in Danzig mit Blick auf die deutsche
Besatzungspolitik von einem „Völker-
mord am polnischen Volk, an polnischen
Bürgern“. In seiner mit literarischen Zita-
ten geschmückten Rede sagte er, die von
den Besatzern verursachten Zerstörungen
seien finanziell „mehrere Dutzend Mal hö-

her“ zu beziffern als etwa die Errichtung
der Hafenstadt Gdingen durch Polen in
der Zwischenkriegszeit. „Deshalb muss
man über diese Verluste reden, erinnern,
die Wahrheit verlangen und Wiedergutma-
chung verlangen.“ Erst am Samstag hatte
Duda der „Bild“-Zeitung gesagt, Polens
Parlament, wo eine Arbeitsgruppe Polens
Kriegsverluste zu berechnen versucht,
werde „eine Rechnung vorlegen“. Duda
sagte jedoch auch: „Ich bin sicher, wir wer-
den eine Lösung finden.“
Zugleich gedachten in Berlin die Parla-
mentspräsidenten beider Länder, Wolf-
gang Schäuble und Elzbieta Witek, des
Kriegsausbruchs. Beide warben zugleich
für ein Denkmal für die polnischen Opfer
der NS-Gewaltherrschaft in Berlin. Der
passende Ort dafür sei der Askanische
Platz vor der Ruine des Anhalter Bahn-
hofs, sagte Schäuble. Witek nannte ein
solches Denkmal „eine moralische Wie-
dergutmachung“ für die Opfer.(Siehe Sei-
te 4.)

WASHINGTON, 1. September (dpa).
Der Wirbelsturm „Dorian“ ist zu einem
Hurrikan der gefährlichsten Kategorie
hochgestuft worden. Am Sonntag drohte
er, „katastrophale Zerstörung“ auf den Ba-
hamas anzurichten mit Windgeschwindig-
keiten von mehr als 285 Kilometern pro
Stunde, wie das Nationale Hurrikan-Zen-
trum in Miami mitteilte. Der Sturm könne
sich auf dem Weg zur Ostküste der Verei-
nigten Staaten abschwächen, werde aber
ein gefährlicher Hurrikan bleiben. Es ist
der gewaltigste Wirbelsturm, der die Baha-
mas seit Beginn der Aufzeichnungen je ge-
troffen hat. Die knapp 400 000 Einwoh-
nern der Inselgruppe sollten sich in Notun-
terkünfte und höherliegende Orte bege-
ben.(Siehe Deutschland und die Welt.)

E


s ist gut, dass sich die Teilnehmer
der Gedenkveranstaltung zum


  1. Jahrestag des Beginns des Zweiten
    Weltkriegs in Polen nicht mit Rückbli-
    cken begnügt haben – so notwendig,
    das haben alle Redner mit Recht be-
    tont, diese sind und bleiben. Es wäre
    fatal, wenn das, was mit dem Überfall
    von Hitlers Wehrmacht auf Polen am

  2. September 1939 begann, im Nebel
    historischen Vergessens verschwände.
    Natürlich ist das alles schon ziemlich
    lange her. Aber gerade in Polen sind
    die Konsequenzen bis heute deutlich
    präsenter als in vielen anderen Län-
    dern. Darauf hat Staatspräsident
    Andrzej Duda hingewiesen, als er sag-
    te, der 1939 begonnene Krieg sei für
    sein Land im Grunde erst 1989 zu
    Ende gegangen. Es war auch Duda,
    der mit Blick auf die Welt von heute
    kein Blatt vor den Mund nahm und be-
    tonte, das Zeitalter militärischer Ag-
    gression in Europa sei noch immer
    nicht vorbei. Dass der russische Präsi-
    dent Wladimir Putin nicht nach War-
    schau eingeladen war, ist ein eindeuti-
    ges Signal.
    Denn der 1. September 1939 ist
    nicht denkbar ohne den gut eine Wo-
    che vorher abgeschlossenen Teilungs-
    pakt zwischen Hitler und Stalin. Und
    die deutsche Aggression gegen Polen
    wurde erst durch den 17. September
    1939, als die Rote Armee den Polen in
    den Rücken fiel, so richtig zum „Blitz-
    krieg“. Diese historischen Tatsachen
    relativieren die Schuld, die Deutsch-
    land und viele Deutsche auf sich gela-
    den haben, in keiner Weise. Das hat
    Bundespräsident Frank-Walter Stein-
    meier sowohl in Warschau als auch
    am frühen Morgen in Wieluńdeutlich
    gemacht.
    Die Kleinstadt im Westen Polens
    war das erste Ziel, das die deutsche
    Luftwaffe bombardierte. Wieluńwar
    ein würdiger Ort, um das polnische
    Volk im Namen Deutschlands um Ver-
    gebung zu bitten. Schon die Bombar-
    dierung dieser Stadt zeigte, welche
    Art Krieg die Nationalsozialisten zu
    führen gedachten. „Wir werden nie-


mals vergessen“, sagte Steinmeier.
Die Deutschen von heute sind aufgeru-
fen, die Worte ihres Präsidenten mit
Leben zu erfüllen. Nichtvergessen
setzt Wissen voraus. Und wissen muss
man auch wollen. Dann, nur dann, ist
nachhaltige Versöhnung möglich. Im
Lichte der Ereignisse ist es ein Wun-
der und ein Geschenk, dass die
deutsch-polnischen Beziehungen, al-
len kurzfristigen Irritationen zum
Trotz, so gut und stabil sind.
Damit sie es bleiben, ist es notwen-
dig, dass sich Deutschland weiter
und im Rahmen seiner Möglichkei-

ten intensiver engagiert als in der
Vergangenheit. Diese Passage der
Rede Steinmeiers war mindestens so
sehr an die Deutschen wie an die Po-
len gerichtet. „Engagement“ und
„Verantwortung“ sind in Deutsch-
land nicht eben populär. Viele wür-
den nur zu gern die Augen vor der
Welt verschließen. Aber vom Weg-
schauen wird nichts besser.
In vielen Reden wurde der durch
kein verbrecherisches Regime zu un-
terdrückende Freiheitswille des polni-
schen Volkes gerühmt. Und in der Tat
gebührt den Polen größte Anerken-
nung dafür, dass sie maßgeblich zur
Auflösung des Ostblocks beigetragen
haben. Der amerikanische Vizepräsi-
dent Mike Pence sagte gar, die Frei-
heit sei die Bestimmung für die gesam-
te Menschheit. Das war sicher ein ge-
lungenes Schlusswort für eine Ge-
denkfeier. Man muss freilich hoffen,
dass sich die amerikanische und die
anderen Regierungen des Westens,
der nach Steinmeiers Worten mehr
sein muss als eine Himmelsrichtung,
dann auch im Alltag dieses Anspruchs
als würdig erweisen.

Mehrzu den Wahlen

Z


weimal hatte die AfD in Sachsen
zuletzt die Nase vorn. Aus einer
Partei, die es 2014 in Dresden zum ers-
ten Mal in ein Landesparlament ge-
schafft hatte, war in atemberauben-
dem Tempo die stärkste politische
Kraft geworden. Und sie wäre es wohl
auch am Sonntag geblieben, hätte die
CDU nicht nach dem schmachvollen
Bundestagswahlergebnis 2017 das Ru-
der herumgeworfen. So ist Angela
Merkel noch immer Bundeskanzlerin,
aber Michael Kretschmer hat sich in
den knapp zwei Jahren seit seinem
Amtsantritt als Ministerpräsident an
die Spitze einer Bewegung gesetzt, die
mit den Traditionen einer selbstgefälli-
gen und angesichts von Phänomenen
wie Pegida und offenem Alltagsrassis-
mus sprachlosen Staatspartei gebro-
chen hat. Und er hat den Spagat ge-
meistert, dem Volk aufs Maul zu
schauen, ohne denen, die sich als das
Volk ausgeben, nach dem Mund zu re-
den.
Am Ende haben fast drei Viertel
der sächsischen Wähler am Sonntag
ihre Stimme Parteien gegeben, die mit
einer zwischen Radikalismus und Ex-
tremismus changierenden AfD nichts
zu tun haben wollen – und mehr als je-
der dritte Wähler sieht die Geschicke
des Freistaates noch immer in den
Händen der CDU am besten aufgeho-
ben. Doch werden die Zeiten auch in
Sachsen nie wieder so sein wie in den
beiden Jahrzehnten nach der Wieder-
vereinigung. Zwar wird auch jetzt kei-
ne Regierung gegen die sächsische
CDU gebildet werden können. Aber
mit womöglich zwei Koalitionspart-
nern dürfte der politische Alltag an-
strengender und nicht unbedingt
glaubwürdiger werden. Denn jede Ko-
alition findet eigentlich nur aus der
Verlegenheit zusammen, dass noch
kein Mittel gefunden ist, die AfD auf
den Weg in die Bedeutungslosigkeit
zu schicken.
Dass die Bäume der AfD indessen
nicht in den Himmel wachsen, zeigt
auch die Wahl in Brandenburg. Die

„ewige“ märkische Regierungspartei
SPD mit Ministerpräsident Dietmar
Woidke an der Spitze konnte buchstäb-
lich auf den letzten Metern ihre Haut
retten und die AfD auf Distanz halten


  • was nicht nur angesichts des selbst-
    zerstörerischen Treibens der SPD im
    Bund fast einem Wunder gleich-
    kommt. Denn zwischen Prignitz und
    Lausitz wähnten sich die Sozialdemo-
    kraten im Verein mit der Linkspartei
    noch zu einer Zeit im Besitz des wah-
    ren Glaubens an einen paternalisti-
    schen Staat, als dieser längst an seine
    Grenzen gestoßen war. Mittlerweile


aber haben sich nicht nur die Sozialde-
mokraten, sondern auch die Grünen
das ursprünglich auf die Migration ge-
münzte Wort des ehemaligen Bundes-
tagspräsidenten Wolfgang Thierse zu
Herzen genommen, dass über allen
Veränderungsprozessen den Einhei-
mischen das eigene Land nicht fremd
werden darf.
Sollte dieser Satz in Ost wie West
wirklich zur Maxime des politischen
Handelns gleich in welcher Parteien-
konstellation werden, dann muss ei-
nem um die Zukunft der parlamentari-
schen Demokratie in Deutschland
nicht bange sein. Zwar haben die bei-
den Diktaturen des 20. Jahrhunderts
Spuren in der Wirtschaft und in der
Gesellschaft, ja vor allem in den Her-
zen und Köpfen der Menschen hinter-
lassen, die noch lange nachwirken
werden. Aber dieser Wahlsonntag, an
dem weitaus mehr Bürger als zuletzt
von ihrem Wahlrecht Gebrauch ge-
macht haben und damit zeigten, wie
wertvoll ihnen ihre Demokratie ist,
gibt allen Anlass, nicht in den Chor
der Untergangspropheten einzustim-
men.

Die Fratze


des Publikums


„Dorian“ ein Sturm der


gefährlichsten Kategorie


Hunde würden Chappi wählen:Border-Collie-Mischling Emma in einem Wahllokal in Dresden Foto Daniel Pilar

WürdigesGedenken


Von Peter Sturm

sat.WASHINGTON, 1. September. Bei
einem Schusswaffenangriff in Amerika
sind am Samstag sieben Personen getötet
und 19 verletzt worden. Zu den Getöte-
ten zählt auch der mutmaßliche Täter,
der von der Polizei erschossen wurde.
Der Mann hatte bei einer Verkehrskon-
trolle zwischen den Zwillingsstädten Mid-
land und Odessa im westlichen Texas das
Feuer eröffnet und war dann davonge-
rast. Auf der Flucht schoss er wahllos auf
andere Autofahrer und Passanten. Über
das Motiv des Schützen war zunächst
nichts bekannt. Es soll sich um einen 36
Jahre alten weißen Mann handeln. In Wa-
shington wurde abermals über eine Re-
form des Waffenrechts diskutiert.(Siehe
Seite 5.)

Verluste für CDU und SPD bei Landtagswahlen


AfD legt in Sachsen und Brandenburg deutlich zu / Auch Grüne steigern Ergebnis in beiden Ländern


Briefe an die Herausgeber Seite 18


Steinmeier: Versöhnung ist Gnade für Deutschland


Erinnerung an Beginn des Zweiten Weltkriegs / Morawiecki: Völkermord an Polen


Nocheinmal davongekommen


Von Daniel Deckers

Viele Tote bei


Schießerei in Amerika


CDUund SPD können
wahrscheinlich weiter
regieren. Dennoch geht
eine Ära zu Ende.

Auch nach achtzig
Jahren ist das Zeitalter
militärischer Aggression
noch nicht vorbei.

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Belgien,Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal (Cont.), Slowakei, Slowenien, Spanien 3,70 € / Griechenland, Kanaren, Malta, Niederlande, Zypern 3,80 € / Dänemark 28 dkr / Großbritannien 3,50 £ / Schweiz 5,00 sfrs / Ungarn 990 Ft

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