Die Welt Kompakt - 27.08.2019

(Nora) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,27.AUGUST2019 KULTUR 21


nicht ins Theater gegangen, ins
Kino mäßig. Aber dann hat sich
eine Leidenschaft entwickelt.


Wo liegen jetzt Ihre Sympa-
thien – noch beim Theater oder
nur noch beim Film?
Beim Film bin ich wieder da, wo
meine Vorfahren herkommen,
Tagelöhner. Ich werde nach Ta-
gen bezahlt. Und kann mich im-
mer wieder neu entscheiden.
Mich interessiert immer mehr,
mit wem ich arbeite, als, was ich
arbeite. Wenn mir ein Produzent
oder ein Regisseur zum Beispiel
den „Lear“ anbieten würde, da
brauche ich wie ein Hochleis-
tungssportler Hilfe, damit ich
spielen kann. Da brauche ich eine
Mannschaft, einen Trainer – als
Alleinunterhalter kriege ich das
nicht hin. Das weiß ich. Da frage
ich, wer macht Regie? Wer spielt
noch mit? Wie viel Zeit haben
wir? Das heißt nicht, dass ich ab-
hängig bin. Aber wenn man die
Bälle nicht übers Netz bringt,
dann ist das kein richtiges Spiel.
Es bleibt der Satz: Theater ist ein
Mannschaftsspiel!


Bereuen Sie Ihre Zeit an der
Berliner Volksbühne?
Wie kommen Sie denn darauf?
Überhaupt nicht. Wir haben
Theatergeschichte geschrieben.
Und es war eine ständig unkünd-
bare Existenzgrundlage, auch
wenn ich nicht gespielt habe.


Wenn ich Ihre schauspieleri-
sche Theater- und Filmliste
zwischen 1966 und 2019 lese,
müssten Sie eigentlich Multi-
millionär sein.
Sie sollten Buchhalter werden,
Sie können nicht rechnen: 1966,
das war ein Ferienjob und 2019
habe ich bisher umsonst gearbei-
tet. Dazwischen waren zwei
Währungsreformen, die erste
von der Ostmark zur Westmark
und die zweite von der Westmark
zum Euro. Ich weiß ja nicht, von
welchen Gagen Sie ausgehen!
Meine erste Theatergage in Mag-
deburg betrug 350 Ostmark im
Monat. Es ging zwar aufwärts,
aber es waren keine exorbitanten
Gagen. Im Übrigen, meine Groß-
mutter hat immer gesagt, über
Geld und Krankheiten redet man
nicht, beides hat man.


Bei 1000 Ost-Mark waren Sie
im DDR-Fernsehen auf der Hö-
he von Erwin Geschonneck –
und das war ja nun wirklich ein
Schauspieler-Star. Aber Sie ha-
ben auch permanent gearbei-
tet.
Das macht doch der überwiegen-
de Teil um uns herum. Das ist
doch nichts Besonderes. Ich hat-
te auch Leerzeiten, zum Beispiel
am Theater, weil ich mich ver-
weigert habe, weil keine Regis-
seure da waren. So kam ich mit
Frank Castorf zusammen. Er war
mein Alter Ego und umgekehrt.
Da musste ich mich entscheiden,
spiele ich bei ihm in Anklam in
dem Stück „Nora“ oder spiele ich
im Fernsehen der DDR in einem
Strindberg-Stück eine jugendli-


che Liebhaberrolle unter der Re-
gie von Horst Drinda. Ich habe
dem damals berühmten Drinda
gesagt, dass ich das im Fernsehen
nicht mache und nach Anklam
gehe. Da hat er gedacht, er muss
mich einliefern lassen und wollte
wissen, ob es in Anklam über-
haupt ein Theater gibt!

Und Anklam war die richtige
Entscheidung?
Ja, ich war schlagartig wieder
wach fürs Theater.

Gab es da zwischen Castorf
und Ihnen eine geistige Erotik?
Geistige? Was ist das? Wir haben
einfach dieselben Sachen gut ge-
funden. Wir haben denselben
Humor. Er hat interessante Stü-
cke inszeniert und Leute in ihren
Stärken eingesetzt. Ich wollte
wissen, wie das geht. Da spielt
ein Bühnenarbeiter mit, ein
Schauspieler, eine Souffleuse –
und alle waren faszinierend an-
zusehen. Was Castorf gemacht
hat, es hat mir entsprochen. Er
hat in mir ein Potenzial gesehen.
So haben wir uns gegenseitig auf-
gebaut. Ohne mich, ohne unse-
ren Austausch über Spielideen
wollte er nicht in Köln und Ham-
burg inszenieren.

Beim Theater haben Sie in Cas-
torf einen Regisseur gefunden –
und beim Film?
Keinen gefunden. Da sind die Ab-
stände zu groß. Es gibt keine
Kontinuität. Beim Theater, da
gibt es manchmal glückliche Paa-
rungen über eine gewisse Zeit.

Sie haben von 1966 bis 2019 in
30 Kriminalfilmen, aber nur in
zehn Literaturverfilmungen ge-
spielt. Was kann man gegen ei-
ne solche Schieflage tun?
Wenig. Schauspieler sind Einzel-
kämpfer. Wir haben keine Ge-
werkschaft für künstlerische
Fragen. Schauspieler sind Kon-
kurrenten. Mein Protestpotenzi-
al hält sich in Grenzen. Schau-
spieler steigen ein in ein laufen-
des Projekt und verlassen es
wieder während der Fahrt. Wir
sind Zulieferer. Wir können froh
sein, wenn wir einen Zug erwi-
schen, der da auch ankommt, wo
er hinwill. Es ist einfacher, wenn
dich eine Geschichte, eine Dra-
maturgie, ein Team trägt, wie
die Wellen eines bunten Wasser-
balls, als umgekehrt. Auch im
Motorsport ist das richtige Auto
entscheidend.

Wenn Sie auf Ihr Leben zurück-
schauen, sind Sie glücklich?
Mein Zustand ist ein Wechsel
zwischen Zufriedenheit und Un-
zufriedenheit. Die Tage verge-
hen, ich verzettele mich oder
pflege den Müßiggang. Aber na-
türlich weiß ich, Körper und
Geist müssen trainiert werden.

Wann schreiben Sie Ihre Bio-
grafie?
Ich fange nachher gleich an. Die
Verlage drängeln. Aber dann
lenkt mich die Sonne an der Ost-
see ab ...

tisch klingenden Albums, was sie
politisch versprechen?
Neben „Calm Down“ gibt es
noch zwei weitere unter den ins-
gesamt 18 Songs, die ein poli-
tisch-gesellschaftliches State-
ment setzen. Zunächst einmal
„The Man“. Taylor Swift ist be-
kannt als Verfechterin der
Gleichberechtigung, „The Man“
ist die Hymne dazu. Dort heißt es
im Refrain „I’m so sick of run-
ning as fast as I can, wondering if
I’d get there quicker if I was a
man.“ Es geht darum, dass Frau-
en sich so sehr anstrengen kön-
nen, wie sie wollen – als Männer
würden sie trotzdem schneller
ans Ziel kommen. Swift singt
über den Frust des Ungleich-be-
handelt-Werdens und ist sich si-
cher: Als Mann hätten Frauen es
im Job leichter.

Das zweite Lied, das auffällt,
ist „Miss Americana & The He-
artbreak Prince“: Es ist Swifts
Bestandsaufnahme der USA un-
ter Trump. „Amerikas Ruhm ver-
blasst vor meinen Augen“, singt
die 29-Jährige darin. „Ich fühle
mich hoffnungslos“, heißt es an
einer Stelle, „Ich fühle mich hilf-
los“ an einer anderen. Swift be-
nutzt darin die Allegorie der ty-
pisch amerikanischen
Highschool mit ihren Sport-
teams, den Abschlussbällen und
Schulbands, um damit auf das

K


atzen sind die besten
Freundinnen einer Frau,
nicht Diamanten. Das
macht Taylor Swiftim Video zu
ihrem Lied „Me“ unmissver-
ständlich klar. Ihr Duettpartner
Brendon Urie versucht Swift da-
rin erst mit Blumen zu besänfti-
gen, dann mit einem Ring – doch
ihr Herz kann er am Ende nur
mit einem Kätzchen erobern.

VON KATJA BELOUSOVA

„Me“, die erste Auskopplung
aus Swifts neuem Album „Lover“,
ist eine Hymne an den Individua-
lismus und die positive Selbstlie-
be. Und anders als ihre vergange-
nen Musikvideos ist es nicht düs-
ter, sondern ebenso pastellbunt
wie die Aufmachung ihres siebten
Studioalbums, das gerade erschie-
nen ist. Taylor Swift, die Königin
des Pop, setzt auf Veränderungen.
Und von denen gab es seit Er-
scheinen ihres Albums „Reputati-
on“ im Jahr 2017 einige.
Zunächst einmal gibt es einen
neuen Mann in ihrem Leben: Ka-
ter Benjamin. Ihr Instagram-
Feed ist voll von Bildern des Tie-
res. Swift ist ein prominenter
Katzenfan – was sich nicht nur
im Erwerb ihrer bereits dritten
Katze, dem Musikvideo zu „Me“
und ihrem Instagram-Profil nie-
derschlägt, sondern auch in ih-
rem Mitwirken in der Filmadap-
tion des Musicals „Cats“. Darin
wird die Sängerin ab Dezember
als animierte Katze Bombalurina
zu sehen sein. Und anders, als sie
es von ihren Single- oder Albu-
mankündigungen kennt, erntete
der Trailer zu diesem Film jede
Menge Spott.
Die andere große Veränderung
in Swifts Leben hat wiederum
nichts mit einem Kinofilm zu tun,
sondern mit der zweiten Single-
Auskopplung „You Need to Calm
Down“. Was auf den ersten Blick
wie ein Zuckerwattetraum anmu-
tet, entpuppt sich als politischs-
tes Lied der 29-Jährigen.
Darin positioniert sie sich für
die Rechte von homo- und transse-
xxxuellen Minderheiten und gegenuellen Minderheiten und gegen
Internet-Trolle – zu denen sie
aaauch Kanye West und Ehefrau Kimuch Kanye West und Ehefrau Kim
Kardashian zählt. 2016 nannte Kar-
dashian-West sie eine „Schlange“,
ein Motiv, das Swift seither in vie-
len Musikvideos aufgegriffen hat –
aaauch in „Calm Down“, wo sie allenuch in „Calm Down“, wo sie allen
Trollen zu verstehen gibt: „Ihr
solltet euch mal beruhigen!“ In
dem dazugehörigen Video wirken
neben ihr viele bekannte Gesichter
der amerikanischen LGBTI-Com-
munity mit.
Ein homophober Pastor aus
Coloradofühlt sich durch das
bunte Video derart angegriffen,
dass er Swift prompt als „Sünde-
rin“ bezeichnete, die dringend ei-
nen „Erlöser“ bräuchte, und ihr
mit dem Zorn Gottes drohte. Vor
nur wenigen Jahren galt Taylor
Swift als „Everybody‘s Darling“,
als Künstlerin, die Amerika einte,
von Liberalen als Feministin und
der rechtsextremen Alt-Right-
Bewegung als „arische Göttin“
verehrt wurde – ohne sich zu der

einen oder der anderen Seite zu
positionieren.
Doch die Zeiten, in denen sich
Taylor Swift mit politischen Äu-
ßerungen zurückhielt, sind vor-
bei. Bei den amerikanischen Zwi-
schenwahlen 2018 warb sie in ih-
rem traditionell republikani-
schen Heimatstaat Tennessee für
den Demokraten Phil Bredesen.
Über die republikanische Kandi-
datin Marsha Blackburn schrieb
sie auf Instagram: „Sie glaubt,
dass Geschäfte das Recht haben
sollten, homosexuelle Paare ab-
zuweisen. Sie glaubt auch, dass
sie nicht das Recht haben sollten,
zu heiraten. Das sind nicht MEI-
NE Tennessee-Werte.“
Der Beitrag sorgte für viel
Aufsehen. Während Demokraten
und Liberale sie feierten, sagte
der republikanische US-Präsi-

dent Donald Trump, er würde
sie jetzt 25 Prozent weniger mö-
gen. Wenig mögen wird er auch
Swifts Online-Petitionfür einen
Gleichberechtigungsparagrafen,
der die Rechte der LGBTI-Com-
munity schützen soll. Für die
wirbt Swift auch am Ende des
„Calm Down“-Clips.
Die Marschrichtung für
„Lover“ ist also klar: Mit einer
bunten Pop-Platte zieht Taylor
Swift in den Kampf gegen den
grauen Alltag unter Präsident
Trump und seinen Trollen. Aber
halten die Lieder des so roman-

Liebe als Waffe


Taylor Swifts neues Album „Lover“ ist
voller Balladen. Aber in drei Songs legt sie

sich mit der amerikanischen Rechten an


FFFür LGBTI-Rechte und britische Boys: die Sängerin Taylor Swiftür LGBTI-Rechte und britische Boys: die Sängerin Taylor Swift

UNIVERSAL MUSIC

/ VALHERIA ROCHA

FORTSETZUNG AUF SEITE 22
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