Der Stern - 22.08.2019

(Tuis.) #1
FOTOS: WOLFGANG SCHARDT; STYLING: MARIA GROSSMANN; FOODSTYLING: ROLAND GEISELMANN

Z


ugegeben, als ich im Mai diese Wein-
gläser in der Post hatte, fand ich sie
erst einmal aufgeblasen und doof.
Aus Antipathie gegen ihre barocke
Form verdächtigte ich sie, schwierig
zu spülen und noch schwieriger ab-
zutrocknen zu sein, denn sie besitzen einen
gewellten Kelchboden. Als ich die Gläser
testete, merkte ich: Verdammt, die Teile sind
leider doch brillant. Sie lassen jeden Wein
auf irre Weise funkeln und besorgen, dass
auch seine Farbwahrnehmung – über die
Aromen und den Geschmack hinaus – zu
dem Genuss wird, der er immer schon hät-
te sein können, aber nie so richtig war.
Auch die Reinigung stellte sich als pro-
blemlos dar, so man zum Trocknen lang zu-
geschnittene und aus feinem Ringspinn-
garn gewobene Baumwolltücher nimmt;
oder glatte Mikrofasertücher, wie die Fir-
ma Riedel sie vertreibt (Weingläser in die
Spülmaschine stellen mag ich nicht).
In Folge dieser Mai-Überraschung haute
ich mir den Kühlschrank mit Rosé-Weinen
voll und führte den Juni über eine Art la vie
en rose (denn für Rotwein war der Juni nix).
Aus den Ferien zurückgekehrt, gedenke
ich das Lotterleben nun fortzusetzen, und
da der Sommer hoffentlich noch den Sep-
tember einschließen wird und ich nur
glücklich sein kann, wenn möglichst vie-
le Leser mein Glück teilen, stelle ich hier
a) die Gläser vor und b) vier rosafarbene
Weine – sowie zusätzlich einen hellroten.
Bei deren Betrachtung und Verzehr sollte
sich die Wärme ertragen lassen.

Reflexionen über das Wesen des Rosé


Zunächst aber, was ist Rosé? Treten wir ein
Stück zurück: Der Rebsorten sind ja viele.
Sie haben aber nicht alle gleichfarbene Bee-
ren. Es gibt da blasse, wie etwa den Gutedel,
und krasse, wie den Refosco, der fast schwar-
ze Weine macht. Dann gibt es noch apricot-
farbene Zwischenwesen, etwa den Graubur-
gunder. Es ist aber nicht etwa so, dass rote
Beeren Rotwein machen und die farblichen
Zwischenwesen den Rosé. Nein, es ist anders.
Dies bitte merken: Aus weißen Trauben
lässt sich kein Rotwein machen, wohl aber
aus roten Trauben Weißwein und Rosé. Der
Saft der Beeren selbst ist nämlich farb- 4

Rosé kommt in feinen
Nuancen, die Farbe
sagt nichts über
den Geschmack, sie
ist ein Wert an sich

Jetzt ist die Zeit, Rosé zu
trinken. Der Kolumnist empfiehlt die Weine
seiner Wahl – und ein gutes Glas dazu

La vie en rose


118 22.8.2019

GENUSS


Bert Gamerschlag ist der kulinarische Experte des stern

GAMERSCHLAGS KÜCHE

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