Süddeutsche Zeitung - 22.08.2019

(ff) #1
MitderFrage,wievieleweißeundblaue
StreifeneinenMaibaumzieren,kannman
aufdemOktoberfestsicherdieeineoder
andereWetteumeineMassBiergewin-
nen.IneinemMonatwirdangezapft,und
werindendannfolgendenzweiWochen
nachzählenwill,hatesaufderWiesnnicht
weit.Aufdemderzeitnochrechtmatschi-
genFestgeländehabenArbeiteramMitt-
wochdiebeidenriesigenStämmege-
schmückt,diewiejedesJahrlinksund
rechtsamHaupteingangderBräuroslste-
henwerden.JeweilszweiFigurenflankie-
rendieWappenderbayerischenBezirke,
dagibteseinigeszuschleppen.AmEnde
freilichreichtMuskelkraftnichtmehr,da
wirdeinKrangebraucht,umdiebeidende-
koriertenMaibäumeinihrejeweiligePosi-
tionzubringen.Diedafürvorgesehenen
LöcherhabeneinebeachtlicheTiefe.Um
siezuinspizieren,brauchendieArbeiterei-
neLeiter.Aberschließlichsolljakeinesder
WahrzeicheninsWankengeraten–dasist
alleindenOktoberfestbesuchernbeimVer-
lassendesBierzeltsvorbehalten. 

München–EinedefekteMehrfachsteck-
dosewarerstenErmittlungenzufolgedie
UrsachefüreinenschwerenBrandineiner
WäschereiinderSchleißheimerStraßeam
Dienstagabend.Zeugenhattengegen
20.20UhrdieFeuerwehrbenachrichtigt.
DieEinsatzkräftemusstendieEingangstü-
renzuderReinigungaufbrechen,umden
Brandzulöschen.Weilbereitsdurchgeöff-
neteFensterRauchinmehrereWohnun-
gendesMehrfamilienhausesgedrungen
war,musstedieFeuerwehrauchdieseWoh-
nungengewaltsamöffnenundnachPerso-
nendurchsuchen,diemöglicherweiseeine
Rauchvergiftungerlittenhatten.DieWoh-
nungenwarenaberleer.Nach20Minuten
warderBrandgelöscht,derSachschaden
wirdaufetwa150000Eurobeziffert.Die
BewohnerdesHauses,indemmehrals60
Personengemeldetsind,konntenzurück
inihreWohnungen.DaderSchadenander
ElektrikdesGebäudessehrgroßwar,
musstensiedieNachtaufMittwochaller-
dingsohneStromverbringen. 

24 °/14°


Hoch-undTiefbau


aufderWiesn




München–DerPaketfahrerJuriL.steht
vordemGerichtssaalundhatTränenin
denAugen.DasUrteilistgefällt,jetzt
bangterumseinenJob.OderRobertA.,
ehemaligerInvestmentbanker,inden
nächsten30Minutenwirdsichentschei-
den,obereinpaarMonateimGefängnis
verbringt.ImAmtsgerichtssaalA30lau-
fenandiesemMontagdieFädendes
SchicksalsbeiThomasJungzusammen.
SeitneunJahrenverhandeltderRichter
Straf-undBußgeldangelegenheitenimBe-
reichStraßenverkehr.Diemenschlichen
DramensindseinAlltagsgeschäft,wobei
zwischenWahrheitundInszenierungzu-
weilenerheblicheLückenklaffenkönnen.

SorichtiginFahrtkommendie„Klien-
ten“vonRichterJung,wennesumOrd-
nungswidrigkeitenundPunkteinFlens-
burggeht.„WennmansomanchenVertei-
digerhört,dannmöchtemanmeinen,so
einPunktseischlimmeralsHaft“,sagt
Jungironisch.Einmalhatteereinen75Jah-
realtenRentner,dergegenseinenersten
Punktkämpfte,alsgingeesumseinLe-
ben.NachdemaktuellenBußgeldkatalog
drohtderFührerscheinentzugbeieinem
Punktekontovonacht.UndweilderDeut-
scheaufsein„liebstesKind“,seinAuto,
nichtverzichtenwill,isterumAusreden
nichtverlegen.„Einer,deramSteuerdas
HandyamOhrhatte,hatbehauptet,dassei
keinTelefon,erhabesichwährendder
Fahrtrasiert“,erzähltJung.OdereinRaser
versuchtedemGerichtweiszumachen,er
seizuschnellgefahren,weilseinAuto
„selbständigbeschleunigt“habe.
AuchLuisR.versuchtseinGlückmit
einerAusrede.Dem26-jährigenSchüler
wurdeschonvorJahrenderFührerschein
entzogen,weilermehrmalsbekifftam
Steuersaß–wasihnabernichtdavonab-
hielt,mitseinemAutoweiterGaszugeben.
2016wurdeerohneScheinerwischtund
verurteilt.Jetzt,imFebruar,wurdeerauf
derA99imAubingerTunnelmit123Stun-
denkilometerngeblitzt,immernochohne
Führerschein.DochdasFotoistschumm-
rigundbringtauchinderVergrößerung
keineindeutigesBild.DerSchülersagt:
„Dasbinichnicht!“
„Siewerdenjetztgesichtsmäßigse-
ziert“,kündigtRichterJunganundüber-
gibtanStephanieHolley.Soleichtkommt
derjungeMannausderNummernichther-
aus.DieSachverständigeknipsteinFoto
vonLuisR.imGerichtssaalvonschräg

rechtsobenausderselbenPerspektivewie
dieBlitzeranlage.20Minutenspäterhat
sie53EinzelmerkmaleimGesichtvonR.
ausgemacht,diemitdemBlitzerfotoüber-
einstimmen:Ohrachse,Nasenhöhe,Ober-
lidraum,Mittelgesichtsbreite,Augenspal-
te–dieIdentitätsei„sehrwahrscheinlich,
Tendenzhöchstwahrscheinlich“.DerSchü-
lermitdenkahlgeschorenenHaarenund
derabgeschnittenenJeansistjetztstill.Er
hört,wieStaatsanwältinLisaHerzog2000
EuroGeldstrafefordert,RichterJungauf
1800Euroreduziert.DasGutachtenkostet
extra,auchdasmussderSchülerbezahlen.
ProtokollführerinClaudiaMenzel,seit
25JahrenamAmtsgerichttätig,ruftden
nächstenFallauf:unerlaubtesEntfernen
vomUnfallort.Der47JahrealteJuriL.lebt
seitMaimitFrauundzweiKindernin

Deutschland,arbeitetalsPaketfahrer–
undverursachtegleichindenerstenWo-
chenimneuenJobeinenUnfall.„Ichhab
nixbemerkt,eshatgeregnet,ichverteile
Pakete“,übersetztdieDolmetscherinseine
Aussage.RichterJungliestdemMannin
derrotenArbeitskluftdieAussageeiner
Zeuginvor.Siesah,wieeinKleintranspor-
tereinengeparktenWagentouchierte,
„einjungerBurscheinArbeitskleidung“
ausstieg,sichdieHaareraufte,schimpfte
undweiterfuhr.DieZeuginnotiertedas
Kennzeichen.„Ichfühlemichschuldig,ich
schämemichalsFahrerundMenschund
entschuldigemich“,sagtJuriL.schließ-
lich.EristAlleinverdienerundseineFami-
lielebtvon1678Euronetto.Trotzdem:
ZweiMonateFahrverbotund800Euro
Geldstrafe.AlsL.denGerichtssaalver-

lässt,glitzernTräneninseinenAugen.Auf
dieFrage,obernunseinenJobverliert,
zuckterhilflosmitdenSchultern.
„Ichhabeesnichtbemerkt“,dasseidie
StandardausredebeiUnfallfluchten,sagt
RichterJungspäter.Ermussdannbeurtei-
len,obdieTatnachgewiesenwerdenkann.
SowiebeiElmarT.,Filmemacher,derin
dunkelblauenWildleder-SlipperndenGe-
richtssaalbetritt.Der59-Jährigemitgelb-
blonderWallemähnesollimJanuarmitsei-
nemMaserativoreinemCaféinGrünwald
einenWagenangefahrenhabenundge-
flüchtetsein.„Erwolltebeistarkem
SchneefallundunebenerFahrbahnauf
demParkplatzineineLückerangieren,
kamnichtreinundfuhrweiter“,sagtsein
AnwaltStephanTschaidse.SeinMandant
habedenUnfall„nichtbemerkt“.DieGe-
genseitemachteanhandeinesGutachtens
2200EuroSchadengeltend.„Beiprivaten
Sachverständigengutachtenmussman
vorsichtigsein“,sagtRechtsanwalt
Tschaidse.DagibtihmJungrechtundsagt
später,erhabemaleinenFallgehabt,bei
demeinGeschädigterlautPrivatgutach-
ten3000EuroalsWiedergutmachungver-
langthabe,amEndeergabdasvomGe-
richtbeauftragteGutachtenabergerade
maleineSchadenssummevon300Euro.
EinejungeFrautrittindenZeugen-
stand.SiehatdenUnfallbeobachtetund
sagt,derMaseratihabendenMercedes
„imVorbeifahren“touchiert.DerFahrer
seiausgestiegen,habeseinAutobegutach-
tetundausprobiert,obsichderKoffer-
raumnochöffnenlasse,dannseierweiter-
gefahren.„Ichbinausgestiegen,umdie
Parklückezubegutachten,unddannhab
ichausdemKofferraummeinenSchirmge-
holt“,sagtderFilmemacher.„Ichnehm’
dasjetztmalzurKenntnis,glaubenmuss
ichdasnicht“,antwortetihmJung.Da
nocheinandererZeugegeladenwerden
sollunddasGerichteineigenesGutachten
inAuftraggebenwill,wirddieVerhand-
lungvertagt.
DassesaufMünchensStraßenruppiger
wirdmitdenJahren,daskannRichter
JungimAllgemeinennichtfeststellen.Vor
GerichtsiehterhauptsächlichAutofahrer,
dieamHandytelefonierthaben(„obwohl
fastjedereineFreisprechanlagehat“),da-
zunochRaseroderAlkoholsünder.Erhat
skurrileFälleverhandelt,wieetwaden
„Kampf“zwischeneinerAutofahrerinund
einemRadler,derdaringipfelte,dassdie
FraudenRadleraufdieMotorhaubedes
Wagenslud,dersichverzweifeltandie
Scheibenwischerklammerte,währendsie
500MeterdurchdieSchleißheimerStraße
raste.OderdiewirklichtragischenFälle.
EinLkw-FahrerübersaheinejungeRadle-
rinbeimAbbiegenim„totenWinkel“,be-
merktedenUnfallnichtundfuhrweiter.

EinAugenblicksversagen,dieFraustarb.
DerMannerhielteinFahrverbot,docher
erhobEinspruchgegendenStrafbefehl.
ObersicheineVerhandlungwirklichan-
tunwolle,fragteihnderRichter.Erwollte
–undsaßdemBruderunddenElternder
jungenFraugegenüber,dieihnmit
schwerstenVorwürfenüberzogen.
AuchRobertA.darfnichtmehrfahren.
DerInvestmentbankererscheintimSak-
ko,zwischenHoseundSchuhensindseine
Fußknöchelzusehen.Ergibtan,überein
Jahreseinkommenvonknapp300000Eu-
roverfügtzuhaben.Nebenbeiversuchteer
sichmiteinereigenenFirma,gingdamit
baden,wurdewegenvorsätzlichenBank-
rottsverurteiltundverlorseinenJobbei
derBank.DaerzweimalbetrunkenAuto
fuhr,istseinFührerscheinweg.Undweil
erbeiderMedizinisch-Psychologischen
UntersuchungeineflapsigeAntwortgab,
fielerdurchdenpsychologischenTest.
HeutelebterbeiundvonseinerFreundin.
Zweimalwurdeerzudemerwischt,alser
ohneFührerscheinunterwegswar,zuletzt
wurdeerzueinerBewährungsstrafeverur-
teilt,derenFristnochläuft.

NunfuhrereindrittesMalunerlaubt
miteinem„Drive-in-Auto“,wieseinAn-
waltNilsHulinskysagt.„Drive-Now“,korri-
giertihnRichterJung.„DieletzteVerurtei-
lungbliebohneWirkung.Esistihmtotal
egal,oderererkenntdenErnstderLage
nicht“,sagtStaatsanwältinLisaHerzog
undfordertfünfMonateHaftohneBewäh-
rung.RechtsanwaltHulinskyhingegen
sagt:„InmeinerHeimatZwickauwürde
ichParagraf153avorschlagen“,alsodasAb-
sehenvonderVerfolgungunterAuflagen
undWeisungen.„Indiskutabel,inBayern
istdadieLiniestrenger“,kontertRichter
Jung.DerAnwaltargumentiert,seinMan-
dantstehekurzdavor,nachEndederoffe-
nenBewährungerneuteinenlukrativen
JobbeiderBankzubekommen,alleswäre
danngut.EineharteStrafe,diesichdann
wiederimStrafregisterniederschlagen
würde,zerstörequasiseinLeben.
SoganzkannJungdenWünschennicht
entsprechen.„Mansperrtnichtgerneje-
mandeneinwegenFahrensohneFührer-
schein“,sagtderRichterzwarimUrteil,
aber150Tagessätze,insgesamt2250Euro
Strafe,könneerdem38-Jährigennichter-
sparen.„WirlegenkeineRechtsmittelein“,
sagtderAnwaltflugs,grinst,undgehtab.

DieNamenallerBeschuldigtensindgeän-
dert,umihreAnonymitätzuwahren.

Wäschereigeht


inFlammenauf


FOTO:PETERKNEFFEL/DPA

UmkeineAusredeverlegen


MitHandyamSteuer?Nein,daswareinRasierer!UnfallbeimEinparken?Nichtbemerkt!Zuschnellunterwegs?Ichdochnicht!
RichterbekommenvonVerkehrssündernsoallerhandzuhören.EinTagimVerhandlungssaal



W


oderBlitzderErkenntnisein-
schlägt,lässtsichschwervor-
hersagen.SchoneinGewitter
stelltExpertenvorProbleme,manhat
dasindiesemSommerofterlebendür-
fen.„Dasist,alsstelltemaneinenTopf
mitWasseraufdenHerdundsollvoraus-
sagen,wannundwodieerstenDampfbla-
senaufsteigen“,argumentierenMeteoro-
logen,wennmandenGrillabendwegen
einerGewitterwarnungwiedermalum-
sonstabgesagthat.Schade,aberwassoll
manmachen?VieleNaturkatastrophen
sindschwervorherzusagen,dasgiltauch
fürErdbeben,Vulkanausbrüche,Meteori-
teneinschläge–undfürdieS-Bahn.
BeidermachtederBlitzderErkennt-
nisneulicheininteressantesGeräusch.
EsklangwieeingewaltigerPeitschen-
hieb,undmiteinemMalwarderOstbahn-
hofingleißendhellesLichtgetaucht.Al-
leserstarrte,unddieMenschenanden
Bahnsteigenfürchtetensich.Dochdaer-
töntevonobeneineStimme.Undsie
sprach:„WennSieindieInnenstadtwol-
len,nehmenSiebitteeinenanderenZug.“
EinKurzschluss.DieLokwarhinüber,an
Ersatznichtzudenken.Dafürbildetesich
amBahnsteigeinspontanerLokführer-
Stammtisch.Begeisterttauschteeinhal-
besDutzendblau-rotuniformierterMän-
nerAnekdotenüberStörungenallerArt
aus,undmanbeglückwünschtedenKol-
legenmitdemKurzschluss,dassernun
wirklicheineganzbesondersschönezu-
standegebrachthabe.
MansollteLokführer,wennsiegute
Launehaben,bessernichtstören.Nicht
mitpraktischenFragen,wannoderwie
esweitergeht(schlechteIdee),undschon
garnichtmitFragen,dieaufdiegenerelle
HäufungvonS-Bahn-Störungenabzie-
len(ganzschlechteIdee).„Ichweißnicht,
wasSiewollen“,konterteeinerderUnifor-
mierten,„Ihnenwirdjawohlauchschon
maldaheimdieKaffeemaschinekaputt-
gegangensein.“InsolchenMomenten
dauerteskurzmitderErkenntnis.Was,
wenndieS-BahntatsächlicheineKaffee-
maschinewäre?WassiewohlfürKaffee
machte?Espresso?(Längeriststörungs-
freierBetriebsichernichtmöglich.)Nes-
presso?(Vielzuteuerfürdas,wasman
amEndeinderTassehat.)OderMucke-
fuck?(KlingtwieeinSchimpfwortund
schmecktauchso.)Wedernoch.Wäredie
S-BahneineKaffeemaschine,produzier-
tesienureines:jedeMengeTeetrinker.

FreieWählerpräsentieren


Hans-PeterMehlingtritt


alsKandidatfürdie


OB-WahlinMünchenan


München,SeiteR4

GehtesumPunkteinFlensburg,
kommendieBeschuldigten
oftsorichtiginFahrt

Heutemit


Kostprobe


aufSeiteR4


„Mansperrtnichtgerne
jemandeneinwegenFahrens
ohneFührerschein.“

NR.193,DONNERSTAG,22.AUGUST2019 PGS


Staatsanwaltgibtauf


GegenHansSchaidinger,


einstOBvonRegensburg,


wirdnichtmehrermittelt


Bayern,SeiteR11

NachAuflösungvonNebelscheinthäufig
dieSonne,imTagesverlaufzeigensicheini-
geWolkenamHimmel. SeiteR12

ZuwenigAbstand,zuvielGeschwindigkeit,zuvielAlkohol–wersichimStraßen-
verkehrfalschverhält,kannvorGerichtlanden. FOTO:MATTHIASBALK/DPA

München


MÜNCHNERMOMENTE

Abwarten und


Tee trinken


FOTOS:R.HAAS,DPA

Diözesestelltaus


EineMuseumsschauinBamberg


schafftinspirierendeundmanchmal


auchverstörendeBezüge


Kultur,SeiteR14

DAS WETTER



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