Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

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SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N 21

französischen Einsprengseln, eine damals
durchaus nicht selbstverständliche Geste
war. »It will help the French people to under­
stand what is GDR«, erklärt er seinen Inter­
viewern weiter. »And you know better than
me that the next future will be difficult for
GDR people, and most of that difficult for
those of the GDR people who don’t want
GDR to be a colony of the Bundesrepublik.«
Jack Lang, der notorische Kulturminister
von Mitterrand, hatte eingeladen, ein Mann
mit exzellenten Deutschkenntnissen. Orga­
nisiert hatte es dann der Ostberliner Ku­
rator Christoph Tannert, der mehr oder
weniger die komplette Untergrundszene
vom Prenzlauer Berg einfliegen ließ, um
den Franzosen vor Augen zu führen, dass
diese ostdeutschen Kunstberserker tatsäch­
lich von einem völlig anderen Stern kamen
als die bundesdeutschen Kulturati, die sich
zu dem Zeitpunkt in ihren Zweithäusern in
der Provence schon lange nichts mehr vor­
machen ließen, was dassavoir-vivrebetrifft.
Auf den Filmaufnahmen von damals sieht
man jedenfalls den späteren Documenta­
Teilnehmer Via Lewandowsky sehr hager
und mit weitem Feldmantel in der Ausstel­
lung stehen, als wäre er eben zu Fuß aus
einer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt,
und eine Dolmetscherin übersetzt dem
ernst dreinblickenden Meister verschreckte
Journalistenfragen: »Viele ausgestellte Bil­
der zeigen grausame Szenen. Sehr viel Blut.
Auch im Kino gibt es eine Menge sehr hoff­
nungsloser Szenen. Ist das repräsentativ für
Ostdeutschland?«
Es ist dabei wichtig, sich diese Frage in
dem Akzent jener jungen Frau vorstellen,
die einst in den Showpausen bei »’arald
Schmidt« die Werbung mit dem Weizenbier
im Bauchnabel angesagt hat.
Es muss für beide Seiten eine zutiefst
irritierende Erfahrung gewesen sein. Das
soignierte französische Kunstpublikum auf
seinem feinen Schuhwerk dürfte den Ein­
druck gehabt haben, dass da ein bisher
unentdeckter Stamm von besonders natur­
belassenen Germanen über den Rhein ge­
rudert ist.Und die Ostberliner Punkmusiker
Christian Lorenz, genannt Flake, und Paul
Landers berichteten nachher, dass sie dort
dauernd von der Polizei angehalten wur­
den, weil ihr Aufzug nach Pariser Modevor­
stellungen mit Punk schon nichts mehr zu
tun hatte, sondern eher mit Landstreicherei.
Um der Verhaftung zu entgehen, mussten
sie dann jedes Mal die Einladungskarte der
Präsidentengattin aus ihren modernden
Lumpen ziehen: »Madame Danielle Mitter­


rand prie Monsieur Christian Lorenz de lui
faire l’honneur de venir déjeuner au Palais
de l’Elysée«, stand in schwungvollen Lettern
auf der von Flake. Nämlich: »le Samedi 20
Janvier 1990 à 13 heures 15«.
Was unter diesen Bedingungen an jenem


  1. Januar 1990 um Viertel nach eins ge­
    schah, war entsprechend bizarr: »Die Butler,
    die da rumstanden, haben sofort die Krise
    gekriegt, die waren so angeekelt«, gab Paul
    Landers später zu Protokoll. »Dann kam
    Mitterrand selbst, er sah schon wie einbal­
    samiert aus, und schüttelte allen noch mal
    die Hand. Selbst die här­
    testen Staatsfeinde hatten
    plötzlich ein dümmliches
    Grinsen im Gesicht. Auch
    die, die immer ›Anarchie‹
    und ›Nieder mit der Regie­
    rung‹ riefen.«
    Die DDR wurde dann,
    wie bekannt ist, trotzdem
    nicht an Frankreich ange­
    schlossen, sondern an die
    BRD. Aber den Lauf der ge­
    meinsamen Geschichte be­
    einflusst haben diese Ereig­
    nisse doch. Dadurch näm­
    lich, dass sich die erwähnten
    Punkmusiker Landers und
    Lorenz damals die U­Bahn
    nicht leisten konnten, jede noch so weite
    Strecke zu Fuß zurücklegten, darüber zu
    großen Kennern des Pariser Stadtplans wur­
    den, dabei wiederum befanden, dass die
    französische Hauptstadt zwar ganz schön
    teuer war, aber auch ganz schön schön –
    und dass es sich lohnen könnte, noch ein­
    mal in anderer Verfassung wiederzukom­
    men.
    Das taten sie dann auch. Ihre Band hieß
    nun Rammstein und war sehr erfolgreich,
    nicht zuletzt in Frankreich, und am liebsten
    tritt sie nach einhelliger Auskunft der
    Mitglieder bis heute wo auf? In Paris! Weil
    das Pariser Publikum regelmäßig am eupho­
    rischsten auf das spektakelhafte Teutonen­
    Theater reagiere, das diese Band so berühmt
    und so berüchtigt gemacht hat. Erst vor ein
    paar Wochen haben wieder Zehntausende
    offensichtlich sehr glückliche Menschen bei
    ihrem Auftritt in der Pariser La Défense
    Arena laut »Du ’ast« skandiert, dann »Du ’ast
    mich« und schließlich »Du ’ast mich gefragt«.
    So kann man den Gleichklang der zwei­
    ten Person Singular bei den deutschen
    Verben ’assen und ’aben natürlich auch un­
    terrichten. Die Rockgruppe Rammstein ist
    so gesehen im Moment vielleicht Deutsch­


lands effektivster Beitrag zur Erfüllung des
Elysée­Vertrags, in dem sich beide Länder
1963 verpflichtet haben, »konkrete Maß­
nahmen« zu ergreifen, um die Zahl der
Schüler zu erhöhen, die die jeweils andere
Sprache lernen. Damit hapert es auf der
französischen Seite traditionell fast noch
mehr als auf der deutschen.
»Die starke Verbreitung des Franzö­
sischen in der Welt überhob den Franzosen
die Notwendigkeit, Fremdsprachen zu erler­
nen«, schrieb Artur Rosenberg, der dama­
lige Frankreichkorrespondent derZeit, 1953
aus Paris: »Dadurch aber
verkümmerten die Organe
zur Aneignung fremder
Sprachen ganz auffallend.«
Ausgerechnet der verlorene
Krieg von 1870/71 habe die
Bereitschaft, Deutsch zu ler­
nen, dann gehörig angekur­
belt: »Von 1872 bis zum
Ausbruch des ersten Welt­
krieges stand das Deutsche
mit 58 bis 60 von Hundert
weitaus an erster Stelle der
Fremdsprachen in den
Gymnasien. Erst 1915 über­
nahm Englisch die führen­
de Rolle.« Seitdem sind die
Zahlen so weit zurückge­
gangen, dass man von Glück sagen kann,
wenn zumindest hin und wieder ein Stadi­
on voller Franzosen im Chor einfache, klare
Aussagesätze wie »Ich tu dir weh« und »Tut
mir nicht leid« aufsagt. Umgekehrt ist es
schließlich so, dass die letzten Chansonniers
aus Frankreich, die in Deutschland einen
ähnlich großen Erfolg hatten, Daft Punk
hießen, und zwar vermutlich nur deshalb,
weil die Discomusik machten, in deren Tex­
ten nicht eine Silbe Französisch vorkommt.
Das also wäre, mal so ganz grob, der kul­
turgeschichtliche Rahmen, in den auch mei­
ne ganz private Liaison mit dem Franzö­
sischen eingebettet war, mitsamt den üb­
lichen Erwartungen, Enttäuschungen,
Kommunikationsproblemen.
Die Revolution von 1989 hatte neben
vielem anderen auch die starre Regelung
hinweggefegt, dass man an den Schulen der
DDR immer nur entweder Englisch oder
Französisch lernen konnte, aber nicht
beides. Das ging dann auf einmal, und zu­
mindest für die letzten zwei Jahre bekamen
wir eine junge Französischlehrerin, die, wie
offenbar alle, die dieses Fach lehren, sehr
hinreißend war und sehr engagiert, die es
aber auch nicht einfach hatte. Immer mal

Rammstein ist


vielleicht


Deutschlands


effektivster


Beitrag zur


Erfüllung des


Elysée-


Vertrags

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