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m Frühjahr 1975 erlaubte sich der
Hamburger Kunstverein eine Sensa -
tion. Der junge Direktor des Hauses
stellte Gemälde des Malers Willi Sitte aus,
der immerhin der mächtigste Künstler und
Kunstfunktionär der DDR war. Sitte hatte
viele Bilder mitgebracht, darunter die
fast fünf Meter lange Tafel »Leuna 1969«,
eine Beschwörung der Schwerindustrie,
er ergriff auch selbst das Wort, gab dem
SPIEGELein Interview, betonte, dass sei-
ne weltanschauliche Position »eindeutig«
aus seiner Kunst ablesbar sei.
In der Bundesrepublik, so sagte er auch,
wolle er sich so vorstellen, »wie ich in mei-
nen Bildern wirklich bin«.
Diese Worte hallen seltsam nach in einer
Zeit, in der ständig aufs Neue diskutiert
wird, ob bei der Betrachtung von halbwegs
historischen Werken berücksichtigt werden
sollte, was der Künstler dachte oder wollte,
wie er war oder wen er schikanierte.
Bald knüpft auch das Düsseldorfer Mu-
seum Kunstpalast an diese Diskussion an,
unter anderem am Beispiel Sittes, der in
der DDR lange den Künstlerverband lei-
tete, der auch Politiker war, zum Schluss,
in den späten Achtzigerjahren, sogar Mit-
glied des Zentralkomitees der SED.
Ziemlich rhetorisch fragen die Düssel-
dorfer Fachleute nun, »ob nicht das Werk
des Hallenser Malers seine politischen Tä-
tigkeiten in den Schatten stellt«.
So steht es im Katalog zur Ausstellung
»Utopie und Untergang«, die am 5. Sep-
tember beginnen wird und an die Malerei-
geschichte der DDR erinnern und sie auch
aufwerten will.
Der Bilderparcours, für den Bundes -
präsident Frank-Walter Steinmeier die
Schirmherrschaft übernimmt, könnte pola -
risieren. Und das, obwohl oder gerade weil
die Veranstalter nichts übertrieben Kriti-
sches im Sinn haben. Auch Steinmeier
schreibt, es sei ein Fehler, Kunst auf die
poli tisch-gesellschaftliche Bedeutung zu re-
duzieren, er fordert einen »gerechten
Blick«. Wie aber sieht Gerechtigkeit aus,
wenn es um Bilder geht, die zum Teil des-
halb gemalt wurden, um eine Diktatur pro-
pagandistisch zu stützen?
Der im Kunstpalast zuständige Kurator
Steffen Krautzig hat sich bei der Auswahl
auf Gemälde und Papierarbeiten von
13 Künstlern beschränkt. Dafür zeige er
dann, sagt er, von jedem Maler mehrere
Werke und ermögliche so eine intensivere
Auseinandersetzung. Zudem werde es sich
um eine Präsentation berühmterer und
weniger berühmter DDR-Künstler »ohne
Hierarchisierung« in die eine oder andere
Richtung handeln. Das führt allerdings
auch dazu, dass er den Stars des Systems
wie selbstverständlich Platz einräumt. Sit-
te, 2013 verstorben, ist unter anderem mit
dem Gemälde »Nach der Schicht im Salz-
bergwerk« vertreten.
Stolz weisen die Veranstalter darauf hin,
es handle sich um die erste Überblicks-
schau zur DDR-Kunst in einem westdeut-
schen Museum seit 1989. Und tatsächlich
ist das eine verblüffende Entwicklung:
dass die Kunst der DDR in den sogenann-
ten alten Bundesländern vor der Wende
besser gelitten war als hinterher.
Als Sitte im April 1975 so selbstbewusst
mit dem SPIEGELredete, war mit einer Wie-
dervereinigung beider deutscher Staaten
nicht ernsthaft zu rechnen. Die Kunst aber
durfte reisen, und sie reiste nicht nur nach
Hamburg. 1977 präsentierte sogar die Docu-
menta in Kassel Werke von sechs DDR-
Künstlern (unter ihnen natürlich Sitte). Das
aber verärgerte den Maler Georg Baselitz,
der die DDR Jahre zuvor verlassen hatte, er
zog seine eigenen Werke zurück, so verfuhr
auch sein Kollege Markus Lüpertz. Trotz der
Skandalisierung kam die DDR-Kunst regel-
recht in Mode, weitere Ausstellungen folgten.
Der rheinische Schokoladenfabrikant und
Kunstsammler Peter Ludwig kaufte en gros
jenseits der Mauer. Der politisch bemühte
Realismus des Ostens wirkte auf eine Art alt-
modisch, die einigen Kritikern und Samm-
lern einfach besonders gefiel.
Erst nach dem Mauersturz wurde dem
Westpublikum allmählich bewusst, dass
die Kunst der DDR mehr ist als die Summe
vieler figurativer Oberflächen. Der Kunst-
betrieb im Osten war auch in sich geteilt
gewesen, in Privilegierte und Drangsalier-
te. Verbandschef Sitte, der keine Karriere
dem Zufall überlassen wollte, hatte die
Stasi häufiger eingeschaltet. Im Jahr 2000
verschob das Germanische Nationalmu-
seum eine Ausstellung zu seinen Ehren,
denn mittlerweile wurde er als »Verant-
wortungsträger dieses Unrechtsregimes«
gesehen. Im Düsseldorf des Jahres 2019
darf aus dem Mitschuldigen vielleicht wie-
der ein Maler, ein Ostgenie, werden. Fünf
große Gemälde und ein Selbstbildnis wer-
den ausgestellt, und im Katalog wird ihm
mit Nachsicht begegnet.
Dort ist er jedenfalls das »Universal -
talent«, sein »abenteuerliches Leben hat
Romancharakter«. Und selbst wenn es
heißt, dass die Sinnlichkeit seiner Bilder
»als Illustration eines bestimmten Gesell-
schafts- und Menschenbildes« unter Erich
Honecker gelten können – klingt das eher
harmlos. Sein ähnlich berühmter Kollege
Werner Tübke wird fast zum Rebellen ver-
klärt, er habe zwar Staatsaufträge ange-
nommen, »seine Werke allerdings waren
nicht für die Legitimation der Gegenwart
in der DDR geeignet«.
Die Experten erwähnen, dass viele
Künstler von der Stasi bespitzelt wurden.
Zugleich aber nennen sie es ein »Klischee,
nur der könne ein guter und glaubwürdi-
ger Maler sein, der während der DDR ver-
femt oder erfolglos war«.
In der Ausstellung wird es durchaus auch
um einige dieser Verfemten gehen, um Un-
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Kultur
Konforme Künstler
AusstellungenEin Düsseldorfer Museum will zeigen, dass die Malerei
der DDR überraschender war als ihr Ruf – und
übt dabei viel Nachsicht für die Stützen des SED-Regimes.
FOTO: ERIC TSCHERNOW
MDBK / BPK / MUSEUM DER BILDENDEN KÜNSTE LEIPZIG
Schon der Stil war ein
Bekenntnis zur von
der Partei geforderten
Ästhetik.