Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1
len es Parteikollegen. Und die JA käme
und würde brav kleben und aufhängen,
verteilen, bauen, klatschen, abstimmen.
»Diese Darstellung ist unzutreffend und
diffamiert das Engagement und auch die
Eigenständigkeit unserer Jugendorganisa-
tion und jedes einzelnen JA-Mitglieds, das
unsere Partei tatkräftig unterstützt«, sagt
Kalbitz.
Cottbus Mitte Juli, an der Stadthalle
hängt ein Banner: »Cottbus ist bunt«.
Doch auf dem Platz davor sieht man vor
allem blau. Und schwarz-rot-gold, die JA
hat Deutschlandfahnen verteilt. Auf der
Bühne steht Parteichef Jörg Meuthen, Kal-
bitz daneben. Junge Männer der JA laufen

um die Zuhörer herum, beobachten, als
wären sie auf Patrouille.
Und tatsächlich, sie entdecken drei, die
nicht dazugehören. Sie kommen von der
Gegendemo, einer der jungen Männer hat
einen Kaffeebecher dabei, auf dem Anti-
AfD-Sticker kleben, die Frau hüllt sich in
eine Regenbogenfahne. Sie tun nichts, hö-
ren nur zu. Aber zwei JA’ler stellen sich
hinter die drei, laufen mit, wenn sie sich
bewegen. Dann kommt Franz Dusatko hin-
zu, auch von der Jungen Alternative,
einer von Kalbitz’ engsten Mitarbeitern.
Er diskutiert mit den dreien. Später geht
er zu Kalbitz, die beiden schauen zur Ge-
gendemonstration, die Arme verschränkt.
Dusatko berichtet, Kalbitz lacht.
Dusatko ist einer von mehreren JA’lern,
die Kalbitz über die Jahre versorgt hat, mit
Stellen oder 450-Euro-Jobs, bei sich oder
Kollegen. Kalbitz sagt auch hier, die Aus-
wahl erfolge allein nach fachlichen Krite-

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MARCEL MAFFEI / DER SPIEGEL
AfD-Sympathisant

Das militärische Auftre-
ten, die Durchsetzungs-
stärke imponieren ihnen.

rien. Aber: »Natürlich erfolgen auch inter-
fraktionell gegebenenfalls Nachfragen zu
gemeinsam bekannten Bewerbern.«
Glaubt man denen, die die jungen Män-
ner der JA gut kennen, sind sie Kalbitz er-
geben. Zum einen, weil er ihnen die Posten
verschaffe, sich auch intern immer für die
JA eingesetzt habe, das sorge für Loyalität.
Zum anderen, weil er ihnen imponiere:
das militärische Auftreten, die Durchset-
zungsstärke, die Macht in der Partei. Au-
ßerdem sei er wie ein Mentor, ein Freund,
gehe mit ihnen feiern.
Doch auch Angst spielt nach diesen
Schilderungen offenbar eine Rolle, weil
die jungen Männer nicht ihren ganzen
Freundeskreis verlieren wollen, falls sie
aus dem inneren Kreis verstoßen werden
sollten. Außerdem wisse Kalbitz durch
gemeinsames Feiern auch Peinliches über
sie. Kalbitz weist Vorwürfe in diesem Zu-
sammenhang zurück.
Weil sich Kalbitz so gern mit jungen
Männern umgibt, kursieren seit Langem
Gerüchte in der Partei. Was eigentlich Pri-
vatsache wäre, könnte relevant sein, weil
sich die Gerüchte um junge Erwachsene
drehen, die für ihn arbeiten. Und weil Kal-
bitz bald Chef der größten Fraktion im
Landtag sein könnte, in der Theorie sogar
Ministerpräsident.
Doch gerade in der Partei, die sich als
Bewahrer der bürgerlichen Familie und
Sexualmoral geriert, haben diese Gerüchte
Kalbitz bislang nicht geschadet. Obwohl
sie sogar öffentlich wurden.
Anfang 2017 berichtete die »Bild«, dass
es eine Anzeige wegen sexueller Belästi-
gung gegen Kalbitz gab. Die Staatsanwalt-
schaft Potsdam prüfte, ob sie Ermittlungen
aufnehmen solle. Auf einer Party der JA
am 1. August 2015 habe er sich »teilweise
noch minderjährigen Jugendlichen sexuell
genähert«, hieß es in der Anzeige.
Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermitt-
lungen nicht auf. Kalbitz hatte parallel
Anzeige wegen Verleumdung gegen unbe-
kannt eingereicht und eidesstattliche Ver-
sicherungen von seinen JAlern vorgelegt.
Sie bezeugten, dass er sich an dem Abend
niemandem sexuell genähert habe. Kalbitz
sagte heute: »Die erhobenen Vorwürfe
sind haltlos. Dass juristisch bereits aufge-
arbeitete Verleumdungen nun kurz vor
entscheidenden Wahlen medial ›aufge-
wärmt‹ werden, ist selbst erklärend.«
Als die Anzeige damals in der Partei die
Runde machte, ging Kalbitz intern in die
Offensive, sprach von einer »geschickten
Kampagne«. Er wisse auch, wer sie ange-
trieben habe.
Der Mann, den er dahinter vermutet,
soll kürzlich aus der Partei ausgetreten
sein.
Mail: [email protected],
Twitter: @akm0803

nächsten Listenwahl weit hinten gelandet
oder hätten ihre Jobs in Fraktion oder Par-
tei verloren. Eine Zeit lang hätten Kalbitz’
Mitarbeiter im Landtag sogar Strichlisten
geführt, wer bei einem seiner wenigen
Widersacher ins Büro ging.
Mit alledem konfrontiert, sagt Kalbitz:
Ȇber die Platzierung bei den Listenwah-
len entscheiden mehrere Hundert Mitglie-
der in geheimer demokratischer Abstim-
mung. Es handelt sich um einen reinen Dif-
famierungsversuch durch Ex-Kollegen.«
Kalbitz, da sind sich auch seine Anhän-
ger einig, ist kein Sachpolitiker, Inhalte
interessieren ihn kaum. Ihm geht es um
Macht. Er führt autoritär, opportunistisch
und clever. Spuren hinterlässt er kaum, am
liebsten telefoniert er, ab und an schickt
er eine SMS. In sozialen Netzwerken ist
er selbst nicht aktiv, seine Mitarbeiter schi-
cken ihm die wichtigsten Sachen.
Die Macht kommt über sein Netzwerk,
das Kalbitz seit fünf Jahren in der Partei
spannt und das weit über den »Flügel«
hinausreicht. Seine Karriere in der AfD
begann 2014, als er die Organisation des
Landesverbands und der Fraktion in Bran-
denburg für Gauland regelte, der nie einen
Nerv dafür hatte. So wurde aus Kalbitz
Gaulands Kronprinz.
Das ist auch der Grund, warum der Par-
teichef seine schützende Hand über ihn
hält. Gaulands Unterstützung wiederum
sorgt dafür, dass sich auch diejenigen mit
Kalbitz absprechen, die ihm und dem »Flü-
gel« eigentlich nichts abgewinnen können.
Und selbst die, die ihn gern stürzen wür-
den, sagen: »Es gibt aktuell keinen, der so
gut organisieren könnte.«
Kalbitz’ Leute sind praktischerweise an
für ihn interessanten Stellen in der Bun-
destagsfraktion. Neben einer Handvoll Ab-
geordneter, die ihm Rapport erstatten, sind
es auch Mitarbeiter. Einer, den er schon
lange kennt, ist nun verantwortlich für Ver-
anstaltungen. Eine Frau aus seinem Kreis-
verband ist Sekretärin im Büro des Parla-
mentarischen Geschäftsführers, ein Mann
wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Fraktion. Eine Kreisvorsitzende, die für
sein Machtgefüge in der Landespartei
wichtig ist, hat einen Job in einem Arbeits-
kreis bekommen. Kalbitz sagt, die besag-
ten Personen »haben sich regulär auf ver-
schiedene Stellen in der Bundestagsfrak -
tion beworben«.


Und dann ist da nochdie Junge Alterna-
tive (JA). Die Nachwuchsorganisation der
AfD gilt in der Partei als Kalbitz’ Macht-
instrument, das er nach Belieben einsetzt.
Wenn Ordner, Popcornverkäufer und
Bühnenbauer für Wahlkampftermine ge-
braucht werden oder wenn bestimmte
Kandidaten auf Parteitagen besonders viel
Applaus und Stimmen bekommen sollen,
sagt Kalbitz Bescheid, so jedenfalls erzäh-
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