Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1

SPIEGEL: Herr Altmaier, nachdem die
Wirtschaft im vergangenen Quartal ge-
schrumpft ist, haben Sie von »Warnsignal«
und »Weckruf« gesprochen. Wer muss in
Deutschland aufwachen?
Altmaier: Wir alle. Die Deutschen hatten
das große Glück, einen zehn Jahre dauern-
den Aufschwung zu erleben. Das hat uns
ermöglicht, in Infrastruktur, Umweltschutz
und soziale Sicherheit zu investieren – und
trotzdem die staatlichen Schulden zurück-
zuführen. Es muss deshalb eine Aufgabe
auch für uns Politiker sein, diesen Auf-
schwung möglichst lange zu erhalten.
SPIEGEL: Ökonomen fürchten aber, dass
Sie das mit Ihrer Politik nicht schaffen. Sie
plädieren stattdessen dafür, ein wuchtiges
Ausgabenprogramm aufzulegen. Was hal-
ten Sie davon?
Altmaier:Konjunkturprogramme alten
Stils wären falsch und kontraproduktiv. Sie
haben meist nur ein Strohfeuer entzündet,
wenig gebracht und die Verschuldung
erhöht.
SPIEGEL: Finanzminister Olaf Scholz sieht
das anders. Er will im Fall der Fälle wieder
so handeln wie in der Finanzkrise 2008,
als die Regierung ein Konjunkturpaket von
mehr als 50 Milliarden Euro aufgelegt hat.
Altmaier: Das hat er so sicher nicht gesagt,
da haben Sie ihn falsch verstanden. Wir
sind uns in der Bundesregierung grund-
sätzlich einig, dass wir situationsgerecht
reagieren müssen. Deshalb müssen wir zu-
allererst klären: Wie ist die Situation?
SPIEGEL: Wir sind gespannt.
Altmaier: Wir erleben derzeit eine Wachs-
tumspause, aber keine Rezession. Und
von einem Einbruch wie 2009, als die
Wirtschaft um fünf Prozent geschrumpft
ist, sind wir meilenweit entfernt. Auch des-
halb haben wir keine Veranlassung für
Ausgabenprogramme in Milliardenhöhe.
Staatskunst ist, eine Rezession zu vermei-
den – mit Entlastungen für Bürger und
Mittelstand und einem umfassenden Bü-
rokratieabbau, anstatt tatenlos auf die Kri-
se zu warten, um dann riesige Summen
konsumptiv rauszuhauen.
SPIEGEL: Darüber redet die Regierung seit
Jahren. Geschehen ist wenig. Woran den-
ken Sie noch?
Altmaier: Wir haben einiges erreicht! Zum
Beispiel bei der steuerlichen Forschungs-


förderung, die wir nun einführen. Es ist
wichtig, dass Investitionen der Wirtschaft
in Digitalisierung, Automatisierung oder
Robotik durch bessere Abschreibungsbe-
dingungen gefördert werden. Unterneh-
men, die ihre Gewinne in die eigene Firma
stecken, müssen steuerlich entlastet wer-
den. Und wir müssen die steuerliche För-
derung der energetischen Gebäudesanie-
rung endlich beschließen. Wenn Olaf
Scholz hier für Bewegung unter seinen so-
zialdemokratischen Länderkollegen sor-
gen könnte, wäre schon viel gewonnen.
Und zwar sowohl für den Klimaschutz wie
auch für das Handwerk vor Ort – und ins -
be sondere für den Erhalt von Arbeitsplätzen.
SPIEGEL: Werden Ihre Vorschläge umge-
setzt, würde das Milliarden kosten. Ist so

die schwarze Null, also der Ausgleich von
Einnahmen und Ausgaben im Bundesetat,
noch zu halten?
Altmaier:Das haben wir uns vorgenom-
men, und dabei muss es bleiben. Wir haben
hohe Steuereinnahmen und historisch nied-
rige Zinsen. Es gibt deshalb erheblichen
Spielraum für wachstumsfördernde Maß-
nahmen, ohne dass die Regierung zusätzli-
che Kredite aufnehmen müsste. Die Zusage,
keine neuen Schulden zu machen, war eines
der wichtigsten Versprechen der Union im
Wahlkampf. Daran haben wir uns gehalten,
und das hat der Konjunktur gutgetan. Ich
sehe keinen Grund, dieses Markenzeichen
von CDU und CSU jetzt aufzugeben. Zu-
mal die Steuereinnahmen nach wie vor hoch
sind und die Arbeitslosigkeit niedrig ist.

SPIEGEL: Der Chef der Wirtschaftsweisen,
der Essener Ökonomieprofessor Chris-
toph Schmidt, hält die schwarze Null für
das richtige Konzept im Aufschwung. In
der Krise aber, so sagt er, führe es in die
Irre. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Altmaier: Doch, aber wir sind in keiner
Krise. Und als Wirtschaftsminister habe
ich dafür zu arbeiten, dass es zu keiner
großen Krise kommt. Genau deshalb brau-
chen wir eine kluge Wachstumspolitik. Ich
habe vorgeschlagen, den Solidaritäts -
zuschlag auch für Unternehmen abzuschaf-
fen. Und ich fordere, der Wirtschaft einen
Beitragssatz zur Sozialversicherung von
höchstens 40 Prozent der Bruttolöhne zu
garantieren. Das würde in den Unterneh-
men schon einmal für stabile Rahmen -
bedingungen sorgen.
SPIEGEL: Derzeit sind die Zinsen so nied-
rig, dass der Staat sogar Geld verdient,
wenn er einen Kredit aufnimmt. Was
spricht dagegen, diese Situation für zusätz-
liche Investitionen zu nutzen?
Altmaier: Die Bundesregierung hat die In-
vestitionen bereits erheblich gesteigert.
Die Etatposten für Straßen, Schienen oder
Kommunikationsnetze wurden in den ver-
gangenen Jahren drastisch erhöht. Das
Geld fließt aber oft nur zögerlich ab, weil
die Planungsbehörden unterbesetzt und
die Unternehmen mit bürokratischen Re-
geln überlastet sind.
SPIEGEL: Wäre es dann nicht Aufgabe des
Staates, für Abhilfe zu sorgen?
Altmaier:Genau das habe ich getan. Ich
habe in den vergangenen Monaten zahl-
reiche Vorschläge zum Bürokratieabbau
vorgelegt. Nur der Koalitionspartner blo-
ckiert. Würden wir auf diesem Feld mutig
vorangehen und für Entlastungen sorgen,
könnte das Wachstum in Deutschland um
rund ein halbes Prozent höher liegen als
heute.
SPIEGEL: Die Regierung geht aber nicht
mutig voran, meint zum Beispiel Zentral-
bankpräsident Mario Draghi. Er hat des-
halb die Regierungen in der Eurozone er-
mahnt, mehr für die Konjunktur zu tun.
Werden Sie seiner Aufforderung folgen?
Altmaier: Ich bin mit Herrn Draghi einig,
dass die Bundesregierung das Wachstum
stärker fördern muss. Allerdings warne ich
davor, dass jetzt Länder wie Griechenland
oder Italien zu einer expansiven Haushalts-
politik zurückkehren. Ihre Schulden belau-
fen sich oft auf über hundert Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Das kann gefähr-
lich werden, wenn die Zinsen irgendwann
einmal wieder steigen. Deshalb sollten wir
das, was wir in diesen Ländern an Konso-
lidierung erreicht haben, nicht leichtfertig
aufs Spiel setzen. Alle müssen sich in ihrer
Haushaltspolitik an den Vorgaben der Eu-
ropäischen Union orientieren.
SPIEGEL: Viele in Europa kritisieren, dass
die Deutschen Sparen und Verzicht predi-

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Wirtschaft

»Die Deutschen wollen


keine neuen Schulden«


FinanzenBundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, 61, lehnt
milliardenschwere Konjunkturprogramme ab. Eine mögliche Krise
will er durch Bürokratieabbau und niedrige Steuern verhindern.

2006
3,7

2010
4,1

2016
2,2 2018
1,4

2009


  • 5,6


Prognose 2019,
IWH und Bundesregierung

Quelle: Statistisches Bundesamt

0,5


Rezessionsangst


Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts (BIP)
preisbereinigt, jeweils gegenüber
dem Vorjahr, in Prozent
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