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ls Yitzhak Rabin erschossen wur-
de, spürte Ella Regev Erleichte-
rung. Es war der 4. November
- Rabin, damals israelischer
Ministerpräsident, hatte angekündigt, Frie-
den mit den Palästinensern zu schließen.
Im Gegenzug wollte er von Israel besetzte
Gebiete zurückgeben.
Regev erinnert sich, wie sie an jenem
Abend vor dem Fernseher saß und eine
Kundgebung mit Rabin in Tel Aviv ver-
folgte. Die Sendung wurde unterbrochen,
auf dem Bildschirm sagte ein Reporter
einen Satz, der den Nahen Osten verän-
dern sollte: Rabin wurde umgebracht. Ein
jüdischer Extremist hatte den Ministerprä-
sidenten mit zwei Schüssen getötet.
»Ich weiß, dass es grausam klingt«, sagt
Regev heute, »aber ich habe damals auf-
geatmet.«
Regev ist eine herzliche Frau: 54 Jahre,
ein lautes Lachen. Sie lebt mit ihrem Ehe-
mann Boris in der Nähe von Aschdod,
einem Küstenort südlich von Tel Aviv.
Regev arbeitet als Kindergärtnerin, Boris
als Fliesenleger. Sie gehören keiner Partei
an, und doch haben ihre politischen An-
sichten Israel verändert.
Ella Regev ist keine religiöse Fanatike-
rin. Sie ist gebürtige Russin.
Damit gehört Regev zu einer Minder-
heit, die das Land in den vergangenen
Jahrzehnten von Grund auf verändert hat.
Und die bei der Wahl am 17. September
maßgeblich die Zukunft des jüdischen
Staates bestimmen wird. Deshalb dreht
sich der Wahlkampf in diesen Tagen da-
rum, wer die russischsprachigen Wähler
für sich gewinnen kann.
Mehr als eine Million Israelis stammen
mittlerweile aus der ehemaligen Sowjet-
union. Eingewandert vor allem in den
Neunzigerjahren, bilden sie eine der größ-
ten Wählergruppen: Etwa zwölf Prozent
der Stimmen entfallen auf »die Russen«,
wie sie in Israel alle nennen, obwohl sie
längst israelische Staatsbürger sind. Die
meisten von ihnen kannten in den vergan-
genen Jahren nur eine politische Richtung.
»Wir sind alle rechts«, sagt Ella Regev.
Sie nennt die Palästinenser »Parasiten«
und Gaza »einen Müllhaufen«. Jerusalem
ist für sie »unteilbar«. Und israelische Sied-
lungen aufzugeben käme für Regev nie-
mals infrage. »Wir geben nichts zurück«,
sagt sie. »Nicht einen Zentimeter.«
Rund 85 Prozent der russischsprachigen
Juden, die als Erwachsene nach Israel ein-
gewandert sind, haben bei vergangenen
Wahlen für die Parteien des rechten Lagers
gestimmt. Das ist weit mehr als im israeli-
schen Durchschnitt. Selbst als in Israel eine
breite Mehrheit noch an eine Zweistaaten-
lösung glaubte, wählten »die Russen«
schon rechts. Der ehemalige US-Präsident
Bill Clinton bezeichnete sie einmal als ei-
nes der großen Hindernisse für Frieden im
Nahen Osten.
Dabei sind Ella Regev und der Großteil
der russischsprachigen Juden erst seit we-
nigen Jahrzehnten im Land. Regev kam
im heutigen Jekaterinburg zur Welt, einer
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Ausland
Russische Revolution
IsraelDie Wähler aus der ehemaligen Sowjetunion haben das
Land nach rechts gerückt. Nun hängt es von ihren Stimmen
ab, ob Benjamin Netanyahu noch einmal Premierminister wird.
CORINNA KERN / DER SPIEGEL
Politiker Lieberman nach einem Wahlkampfauftritt in Modiin: Ein Gemisch aus Härte und Nationalismus