1000 km
Plymouth
NewYork
Westwindzone
GROSSBRITANNIEN
USA
KANADA
GRÖNLAND
NORDATLANTIK
Skipper Boris Herrmann im Schiffsbauch zwischen Computer und Carbon
Die „Malizia II“ wird nur im Ausnahmefall der hier gezeigten
Ideallinie folgen können. Skipper Boris Herrmann muss Stürme
umfahren – und gegen ständigen Westwind kreuzen
Die Strecke
INFOGRAFIK: SAMSON GOETZE; FOTO: ANDREAS LINDLAHR/DPA
N
ach zwei Stunden hat
das verdammte Schiff
gewonnen. Keine
Chance. Alles dreht
sich. „Hier, nimm die
mal“, hatte Boris
Herrmann, der Skipper, am
Nachmittag gesagt, bevor ich an
Bord geklettert war. Er hielt mir
eine kleine graue Tablette hin.
Gegen Seekrankheit. Es war ein
Nachmittag mit mäßigem Wetter
Ende Juli, und ich dachte: Gott,
wie schlimm kann so eine Segel-
tour schon sein?
Ich bin 31 und hatte keine Ahnung.
Jetzt rast das Schiff, mit dem
Greta Thunberg nach New York
segeln wird, mit 25 Knoten an
der französischen Atlantikküste
entlang. Wobei die Worte
„segeln“ und „rasen“ eigentlich
schon die ersten Untertreibun-
gen sind. Die „Malizia II“ buckelt
und bockt. Wie ein krawalliger
Delfin flippert sie über die Wellen-
berge. Alle paar Meter hebt es
das Schiff aus dem Wasser, dass
man denkt: Gleich hebt sie ab!
Allerdings nur für eine Sekunde.
Im nächsten Augenblick kracht
sie mit ungeheurer Wucht ins
Wasser. Von rechts und links flu-
ten meterhohe Wellen das Heck,
auf dem sich die Crew befindet
und auf dem es sich jetzt anfühlt
wie auf einer außer Kontrolle ge-
ratenen Waschmaschine.
Ich sitze auf einem weißen Klapp-
sitz unter dem Vordach und halte
mich an einem Seil fest. Was
auch nötig ist, weil es einen sonst
schnell aus dem Sitz schleudern
würde. Zur Sicherheit hat man
mich noch zusätzlich in ein Stahl-
seil auf dem Boden eingeklinkt.
„Wir fahren in einen Sturm, und
das wird intensiv“, hat Herrmann
kurz nach der Tablette gesagt.
Dass das mit dem Sturm geklappt
hat, kann man an dem kleinen
Bildschirm erkennen, der jetzt vor
mir immer neue Höchstge-
schwindigkeiten auf die Brücke
funkt. 30 Knoten. 31 Knoten.
32 Knoten. Die Crew jubelt. „This
boat is crazy“, ruft einer der
Männer gegen den ohrenbetäu-
benden Lärm des knatternden
Großsegels an.
Währenddessen rollt Herrmann,
einer der besten Hochseesegler
Deutschlands, der für spekta-
kuläre Bilder an diesem Tag ab-
sichtlich in den Sturm gefahren
ist, mit einem Selfiestick über
den Boden und johlt wie ein
kleiner Junge. Wie ich (und bald
auch Greta) trägt er einen
Hochseesegleranzug mit Gummi-
kragen, ohne den man an Bord
klitschnass wäre. Meiner gehört
Pierre Casiraghi, dem Prinzen
von Monaco. Er ist Herrmanns
Segelpartner und wird bei Gretas
Reise zur UN dabei sein. Wäh-
rend die nächste Welle über das
Heck schwappt, frage ich mich,
ob dem Prinzen die roten Flecken
auf seiner Jacke auffallen wer-
den. Den Rote-Bete-Smoothie
am Flughafen hätte ich mir
sparen sollen.
Der Auftrag lautete, sich einen
Eindruck von dem Schiff zu
verschaffen, das Greta Thunberg
über den Atlantik bringen soll.
Denn die „Malizia II“, das wird
jedem klar, der einmal einen Fuß
auf das Boot gesetzt hat, ist keine
schicke Segelyacht. Sondern,
wie Herrmann sagt, „eine kom-
promisslose Rennyacht ohne jeg-
lichen Komfort“. Die „Malizia II“,
sechs Meter breit, 18 Meter lang,
kostet 5,5 Millionen Euro und
gehört einem reichen Geschäfts-
mann aus Süddeutschland. Sie
hat einen 30 Meter hohen Mast
und einen Rumpf aus Carbon.
Gebaut wurde sie eigentlich für
die „Vendée Globe“, die wohl
die Reise mit Greta lautet klar:
Stürme umfahren. Anders als
heute. Sehr viel gemütlicher wird
das die Überfahrt aber nicht
machen. Denn auch ohne Sturm
ist der Lärm unter Deck ohren-
betäubend. Einen Tisch, an dem
Greta in Ruhe ihre veganen
Campinggerichte essen könnte,
gibt es nicht. Ebenso wenig eine
Dusche oder ein Klo (Eimer-
lösung). Und das Schlafen kann
eine ziemlich feuchte und kalte
Angelegenheit werden.
Greta und ihr Vater übernach-
ten in zwei Rohrkojen, die rechts
und links vom Bordcomputer
angebracht sind und deren
Luxus darin besteht, dass man
die Vorhänge zuziehen kann.
Der Prinz, der Kameramann und
Herrmann schlafen im Bug.
Dort, wo nor malerweise Werk-
zeug und Taue liegen. Fragt man
Herrmann, ob Greta wirklich
weiß, worauf sie sich mit der
„Malizia“ einlässt, sagt er: „Greta
ist eine sehr klar kalkulierende,
analytische Person, die nicht
so schnell hysterisch wird.
Wir haben sie sehr genau über
die Situation an Bord infor-
miert.“ Auch über das Thema
See krankheit habe man ge-
sprochen. Herrmann hat Greta
Tabletten zum Testen nach
Schweden geschickt. Sicher ist
sicher. 2
härteste Segelregatta der Welt,
an der Herrmann im nächsten
Jahr teilnehmen will. Man muss
dabei etwa drei Monate rund um
den Globus segeln – allein. Was
einen zum ersten Problem führt,
mit dem Greta, ihr Vater und
der Kameramann an Bord kon-
frontiert sein werden: dem Platz.
Den gibt es nämlich kaum.
Klettert man unter Deck, steht
man in einer düsteren, nackten
Carbonhöhle, keine fünf Quadrat-
meter groß. Es gibt weder
Isolierung noch Deckenlampe,
sodass Greta eine Kopflampe
tragen muss wie ein Bergarbeiter.
Durchzogen ist das Schiff von
einem kniehohen Gerüst aus
Stringern und Spanten, an dem
man sich blaue Flecken holt.
Den meisten Platz nimmt der
Bordcomputer ein, der Herrmann
bei seiner Überfahrt mit Infor-
mationen über Winde und Strö-
mungen versorgt. Das Ziel für
15.8.2019 37